Bundestagswahl

SPD wohl knapp vor der Union

Die erste ARD-Hochrechnung zeigt die SPD knapp vor der Union. Die Kanzlerkandidaten Olaf Scholz und Armin Laschet bekräftigen beide den Anspruch auf das Kanzleramt. Eine Rot-Grün-Rote-Koalition würde danach keine Mehrheit haben.

SPD wohl knapp vor der Union

Bei der Bundestagswahl liefern sich CDU/CSU und SPD das erwartete Kopf-an-Kopf-Rennen. Nach den ersten Hochrechnungen von ARD und ZDF gegen 18.45 Uhr liegen beide annähernd gleich auf. Dahinter folgen die Grünen. Der Linken droht ein Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde.Die SPD kommt demnach auf 24,9 bis 25,8 Prozent, die Union auf 24,2 bis 24,7 Prozent. Für die Grünen entschieden sich 14,7 bis 14,8 Prozent, für die FDP 11,2 bis 11,8 Prozent. Die AfD holt 10,1 bis 11,3 Prozent. Die Linke liegt bei 5 Prozent.Daraus ergibt sich nach den Hochrechnungen der beiden Sender folgende Sitzverteilung im neuen Bundestag: Die SPD holt 197 bis 213 Mandate, die Union 198 bis 200. Die Grünen kommen auf 117 bis 121 Sitze. Die FDP zieht mit 88 bis 98 Abgeordneten in den Bundestag ein, die AfD mit 83 bis 89 und die Linke mit 40 bis 41 Abgeordneten.ARD und ZDF gehen von unterschiedlichen Größen des nächsten Bundestags aus – die ARD von 730 Abgeordneten, das ZDF von 756.

Komplizierte Regierungsbildung

Damit zeichnet sich eine komplizierte Regierungsbildung ab. Einzig denkbares Zweierbündnis wäre eine neue große Koalition, die aber weder SPD noch Union wollen. Deshalb dürfte es voraussichtlich zum ersten Mal ein Dreierbündnis im Bund geben. Rechnerisch sind mehrere Konstellationen möglich, entscheidend dürfte es dabei auf Grüne und FDP ankommen.

Sollte die SPD stärkste Partei werden, gilt es als wahrscheinlich, dass Scholz ein Ampel-Bündnis mit Grünen und FDP bilden will, wie es in Rheinland-Pfalz bereits seit 2016 regiert. FDP-Chef Christian Lindner hat aber wiederholt Vorbehalte gegen eine solche Koalition im Bund angemeldet, er zieht klar die Union als Partner vor.

Sollte die CDU/CSU vor der SPD liegen, dürfte auch Laschet versuchen, eine Regierung mit Grünen und FDP zu bilden. Ein solches Jamaika-Bündnis, wie es in Schleswig-Holstein regiert, war 2017 im Bund an der FDP gescheitert. Diesmal dürften eher die Grünen bremsen. Vor allem in der Finanz- und der Klimapolitik sind die Differenzen zwischen Grünen und FDP groß. Als Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen regiert Laschet bereits mit der FDP.Nicht ausgeschlossen ist, dass Laschet oder Scholz auch als Zweitplatzierte versuchen könnten, die Regierung zu bilden. Ein solcher Schritt wäre keineswegs neu: Willy Brandt wurde 1969 Kanzler einer sozialliberalen Koalition, obwohl die SPD nur auf Platz zwei gelandet war. Genauso war es bei Helmut Schmidt 1976 und 1980. Die CSU lehnt einen solchen Schritt allerdings ab.

Falls die Ergebnisse ausreichen, wäre auch eine rot-grün-rote Koalition denkbar. Die wird in großen Teilen von SPD und Grünen aber skeptisch gesehen, auch wegen der tiefgreifenden Differenzen mit der Linken in der Außen- und Sicherheitspolitik.

Die Linke muss nach den Prognosen zwar befürchten, dass sie die Fünf-Prozent-Hürde verpasst, dürfte aber voraussichtlich trotzdem in den Bundestag zurückkehren. Sollte sie mindestens drei ihrer zuletzt fünf Direktmandate verteidigen, darf sie laut Grundmandatsklausel entsprechend ihres Zweitstimmenergebnisses ins Parlament einziehen.

Rechnerisch möglich, aber sehr unwahrscheinlich sind ein Bündnis von SPD, Union und FDP, wie es nun in Sachsen-Anhalt unter Führung der CDU regiert (Deutschland-Koalition), oder eine Koalition von SPD, Union und Grünen nach dem Vorbild von Brandenburg (Kenia-Koalition).

Für die Union ist das Ergebnis zum Ende der Ära Merkel in jedem Fall ein schwerer Schlag – nicht nur für die CDU, sondern auch für die CSU, deren Parteichef Markus Söder sich im Frühjahr einen erbitterten Machtkampf mit Laschet um die Kanzlerkandidatur geliefert hatte.Dabei hatte die Union in Umfragen über weite Strecken klar vorn gelegen. Wegen des Höhenflugs der Grünen galt lange Schwarz-Grün als wahrscheinlich. Nach dem Machtkampf mit Söder, den Laschet nur mit Mühe für sich entschied, leistete er sich als Kanzlerkandidat aber zahlreiche Patzer, darunter sein Lachen im Flutgebiet, während Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier über die Flutopfer sprach.

Ähnlich erging es Baerbock als Kanzlerkandidatin der Grünen. Nachdem die Grünen noch im Frühjahr in Umfragen zeitweise auf Platz eins gelegen hatten, verloren sie im Sommer deutlich, als Baerbock unter anderem Fehler im Lebenslauf und zu spät gemeldete Nebeneinkünfte einräumen musste. Parallel dazu wuchs der Zuspruch zu Scholz, dessen SPD in Umfragen lange Zeit bei 15 bis 16 Prozent eingemauert schien.

Der neue Bundestag dürfte so groß werden wie nie zuvor. Schon in der abgelaufenen Wahlperiode war er auf eine Rekordgröße von 709 Sitzen angewachsen, das Soll liegt bei 598 Sitzen. Union und SPD hatten sich 2020 nur zu einer kleinen Wahlrechtsreform durchringen können. Eine größere Reform ist erst für die Wahl 2025 geplant.

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