Parlamentswahl

Wahlsieg der Postfaschisten in Rom

Die Partei der Postfaschistin Giorgia Meloni, Fratelli d‘Italia, kann zusammen mit ihren Bündnispartnern beide Kammern des Parlaments dominieren. Allerdings verfehlt das Rechtsbündnis die Zweidrittel-Mehrheit, um die Verfassung ändern zu können.

Wahlsieg der Postfaschisten in Rom

Der Wahlsieg von Giorgia Meloni und deren rechtsradikaler Partei Fratelli d‘Italia hat bei ihren rechten Verbündeten in Europa Jubel und Genugtuung, vielerorts aber vor allem Sorgen hervorgerufen. Die Nationalistin und EU-Skeptikerin wurde bei der Wahl klar stärkste Kraft, nach Hochrechnungen vom Montagmorgen kommen die „Brüder Italiens“ auf mehr als 26% der Stimmen. Die gesamte Rechtsallianz hat wegen der Besonderheiten des italienischen Wahlrechts künftig eine klare, absolute Mehrheit im Parlament – allerdings keine Zwei-Drittel-Mehrheit, mit der auch die Verfassung geändert werden könnte.

„Heute haben wir Geschichte geschrieben“, twitterte die Siegerin in der Nacht. Sie wird wohl die erste Ministerpräsidentin in der Geschichte Italien werden, wenn sich die Fratelli mit ihren in der Wählergunst klar geschrumpften Partnern Lega (knapp 9%) und Forza Italia (gut 8%) wie erwartet auf eine Regierungskoalition einigen.

Eine Mitte-Links-Allianz mit der Fünf-Sterne-Bewegung (rund 15%), einer Zentrumsgruppe (knapp 8%) und angeführt von den Sozialdemokraten (rund 26%) schaffte es nicht, die Rechten zu stoppen. „Meloni nimmt sich Italien“, titelte die liberale Tageszeitung „La Repubblica“ am Montag nach einer langen Wahlnacht.

„Nacht des Stolzes“

Meloni sprach am frühen Morgen von einer „Nacht des Stolzes“ und einer „Nacht der Erlösung“. Die Nationalistin, deren Fratelli eine Nachfolgepartei der von Faschisten und Mussolini-Getreuen gegründeten Bewegung MSI ist und die in ihrem Wappen noch heute eine an den Diktator erinnernde Flamme haben, sagte: „Wir müssen wieder stolz sein, Italiener zu sein.“ Der Wahlsieg nach einem steilen Aufstieg in den vergangenen Jahren sei „nicht das Ziel, sondern der Anfang“.

Die 45-Jährige profitierte von einer großen Politikverdrossenheit der Italiener. Eine extrem niedrige Wahlbeteiligung von nur 63,9%

– das sind 9 Prozentpunkte weniger als bei der Parlamentswahl 2018 – bedeutet einen Negativrekord. In manchen Regionen vor allem im Süden des Landes ging fast jeder zweite Erwachsene nicht zur Wahl.

Vorgehen gegen Migranten

Meloni will, wenn sie in wenigen Wochen von Staatspräsident Sergio Mattarella den Regierungsauftrag bekommt und eine Exekutive zusammenbringt, konsequent gegen Mittelmeermigranten vorgehen, die Kriminalität härter bekämpfen und in Brüssel die Konditionen des Corona-Wiederaufbaufonds nachverhandeln. Das hatte sie im Wahlkampf angekündigt. Außerdem versprachen die Rechten Steuersenkungen. Meloni ist gegen progressive Forderungen wie etwa das Recht auf Adoption durch gleichgeschlechtliche Partner. Genderthemen lehnt sie ab.

Brüssel schaut mir Sorge auf Italien

Das Ausland will nun streng auf die Entwicklung in Italien schauen. Die Sorge ist teilweise groß. „In Europa haben wir eine Reihe von Werten und natürliche werden wir aufmerksam sein, dass diese Werte hinsichtlich der Menschenrechte und des Rechts auf Abtreibung von allen respektiert werden“, sagte etwa Frankreichs Premierministerin Élisabeth Borne am Montag dem Sender BFMTV.

Die 45-jährige Meloni versuchte im Wahlkampf, Sorgen im Ausland vor einer Regierungsübernahme der Rechtsparteien zu zerstreuen und versicherte, dass Italien ein verlässlicher Partner bleiben werde. Zudem wies sie zurück, dass ein Wahlsieg der Fratelli zu einer autoritären Wende oder dem Austritt Italiens aus der Europäischen Union und der Gemeinschaftswährung Euro führen könnte.

Dennoch blicken Teile der EU sorgenvoll in Richtung Süden – auch wegen des Ukraine-Kriegs, in dem die Mitgliedsstaaten um Einigkeit ringen. Melonis „wahlkampftaktisches Lippenbekenntnis für Europa“ könne nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie eine Gefahr für das konstruktive Miteinander in Europa darstelle, sagte Katharina Barley (SPD), Vize-Präsidentin des EU-Parlaments, der „Welt“ (Montag). Der Sprecher der deutschen Grünen im EU-Parlament, Rasmus Andresen, sagte, der „beispiellose italienische Rechtsrutsch“ werde massive Auswirkungen auf Europa und auf die Europäische Union haben.

Kritik an den Institutionen in Brüssel

Meloni betont stets ihre Unterstützung für die von Russland angegriffene Ukraine, und sie gilt außenpolitisch als prowestlich sowie als Befürworterin der Nato. Jedoch ist sie auch bekannt für ihre Kritik an den Institutionen in Brüssel. Ihr Verbündeter, Lega-Chef Salvini, zweifelt öffentlich außerdem die Wirksamkeit der Sanktionen gegen Russland an und macht die EU so mitverantwortlich für die dramatisch gestiegenen Energiekosten.

Anleihen ziehen an

Ökonomen befürchten nach dem Rechtsruck bei der Wahl in Italien deutlich mehr Unsicherheit. Erwartet werden vor allem mittelfristig Konflikte in der europäischen Finanzpolitik. Kurzfristig dürfte es aber keine größeren Verwerfungen geben. An den Finanzmärkten zeigten sich Investoren am Montag dennoch nervös.

Allerdings wird es für Italien jetzt teurer, Schulden am Kapitalmarkt aufzunehmen. Die Rendite zehnjähriger Anleihen stieg am Montag auf ein Neun-Jahres-Hoch von 4,497%. Der Euro stand unter Druck und fiel zeitweise um bis zu 1,3% auf ein 20-Jahres-Tief von 0,9565 Dollar.

Thomas Gitzel, Chefökonom der Liechtensteiner VP Bank sagte, der politische Gegenwind aus Italien werde jetzt größer. Steuersenkungen seien geplant. Konflikte dürfte es beim EU-Stabilitätspakt geben, der die Schulden in Europa begrenzen soll.

Ökonomen erwarten Konflikte mit Brüssel

„Italien wird wieder zum politischen Wackelkandidaten“, sagte Jörg Zeuner, der Chefökonom der Fondsgesellschaft Union Investment. Spannend werde vor allem nächstes Jahr die Haushaltsplanung und deren Bewertung durch die EU. Auch die Auszahlung der milliardenschweren Hilfen aus dem Corona-Hilfstopf der EU könnte zum Zankapfel werden. Allerdings seien die hohen Schulden Italiens derzeit tragfähig. „Nur ein Achtel der Gesamtschulden muss jährlich am Kapitalmarkt frisch aufgenommen werden.“ Die vergangenen Jahre seien genutzt worden, um sich langfristig mit günstigen Konditionen zu refinanzieren. „Auch die hohe Inflation – wir erwarten für 2023 eine Teuerung von 6,2% für Italien – wirkt sich positiv auf die reale Schuldenlast des Landes aus.“

Marco Wagner von der Commerzbank verweist darauf, dass das Rechtsbündnis zwar auf eine komfortable Mehrheit in beiden Kammern kommt. Allerdings verfehle es eine Zweidrittelmehrheit, mit der Verfassungsänderungen möglich gewesen wären. „Dadurch ist das von manchem befürchtete Szenario vom Tisch, dass die neue Regierung mit einer solchen Zweidrittelmehrheit problemlos die Verfassung ändern und damit einen Kurs wie Ungarn und Polen einschlagen könnte.“

VP-Ökonom Gitzel verweist sorgenvoll auf den ideologischen Unterbau der Rechtsparteien, der Partei, der „in Wirklichkeit wenig auf Kooperation und Zusammenarbeit ausgelegt“ sei. An den Märkten habe man jedenfalls Zweifel, ob das italienische Rechtsbündnis die EU-Gelder in die richtigen Kanäle lenken wird, zumal die von Mario Draghi begonnen Strukturreformen nicht weitergeführt werden sollen. Gitzel: „Die europäische Energiekrise, Rezessionsrisiken und nun auch noch ein seit dem Zweiten Weltkrieg historisch einmaliges Rechtsbündnis in Italien begraben die Hoffnungen auf eine rasche Erholung des Euro. Für die weitere Entwicklung der europäischen Gemeinschaftswährung ist nun unter anderem entscheidend, wie radikal das Rechtsbündnis tatsächlich agieren wird. Die nächsten Monate werden Klarheit bringen. Bis dahin bleibt die Luft für den Euro dünn.“

Vereidigung kann Wochen dauern

Planmäßig hätte in Italien erst Anfang 2023 ein neues Parlament gewählt werden sollen. Die Fünf-Sterne-Bewegung entzog Draghi im Juli bei einem Gesetzesvorhaben jedoch das Vertrauen, woraufhin er zurücktrat. Draghi bleibt aber geschäftsführend im Amt, bis eine neue Regierung vereidigt ist – das kann etliche Wochen dauern.