RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: HENDRIK HAAG

Abschaffung des Bargelds würde elementare Grundrechte treffen

EZB hat aber hohen Gestaltungsspielraum bei Festlegung von Banknoten

Abschaffung des Bargelds würde elementare Grundrechte treffen

– Herr Haag, die Rolle des Bargelds im Wirtschaftsverkehr wird zunehmend kritisch gesehen. Dazu passend hat die Zentralbank in Indien über Nacht die 500- und 1000-Rupien-Scheine für ungültig erklärt, was zu erheblichen Turbulenzen führte. Was ist der Hintergrund?Als Begründung für diese Maßnahme hat die indische Zentralbank angegeben, Geldwäsche und Schattenwirtschaft eindämmen zu wollen. Deshalb wurden die alten Rupien-Scheine auch nicht einfach durch neue ersetzt. Ein Umtausch konnte nur über ein Bankkonto vorgenommen werden, bei dem die alten Rupien-Scheine zunächst eingezahlt wurden und dann neues Geld abgehoben wurde. In Indien verfügen viele Menschen nicht über ein Bankkonto, manche können auch gar keines bekommen. Andererseits stellten die eingezogenen Rupien-Scheine im täglichen Leben das wichtigste Zahlungsmittel dar. Viele Menschen waren daher plötzlich nicht mehr in der Lage, Gegenstände des täglichen Bedarfs zu erwerben. Dies hat zu erheblichen Protesten geführt.- Auch im Euroraum ist das Bargeld ins Gerede gekommen. Die Europäische Zentralbank hat die Abschaffung der 500-Euro-Note angekündigt. Drohen uns indische Verhältnisse?Wohl eher nicht. Zum einen ist die 500-Euro-Banknote kein Zahlungsmittel, das die Menschen in der Eurozone täglich in der Hand haben. Zum anderen denkt die EZB auch nicht daran, diese Banknote einfach für ungültig zu erklären und damit einen Zwangsumtausch zu verlangen. Bisher wurde lediglich angekündigt, die 500-Euro-Note nicht mehr nachdrucken beziehungsweise in das Zentralbanksystem zurückgelaufene Noten nicht mehr wieder ausgeben zu wollen. So verringert sich der Bestand damit nur allmählich.- Ist die Europäische Zentralbank zu einer solchen Maßnahme überhaupt berechtigt?Gemäß Artikel 128 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union hat die Europäische Zentralbank das ausschließliche Recht, die Ausgabe von Euro-Banknoten zu genehmigen. In Ausfüllung dieses Rechts hat sie in angemessenem Umfang Banknoten für den Barverkehr zur Verfügung zu stellen. Bei Festlegung der Betragsgrößen für die einzelnen Banknoten hat die EZB weitgehenden Gestaltungsspielraum. Wenn sie zu dem Schluss kommt, Banknoten mit hohen Nennbeträgen seien für die Abwicklung von Bargeschäften des täglichen Bedarfs nicht zwingend erforderlich und würden eher für illegitime Zwecke wie Geldwäsche oder Förderung der Schattenwirtschaft missbraucht, so wäre dies aus rechtlicher Sicht eine ausreichende Begründung für die Abschaffung solcher Banknoten.- Viele befürchten, die Abschaffung der 500-Euro-Note sei erst der Anfang. Am Ende drohe die völlige Einstellung des Bargeldverkehrs. Wäre dies überhaupt zulässig?Obwohl in den rechtlichen Grundlagen des Eurosystems nur die Berechtigung zur Ausgabe von Banknoten und nicht eine Verpflichtung dazu bestimmt ist, ist die Notenbank nicht in ihrer Entscheidung darüber frei, ob sie überhaupt Banknoten in Umlauf geben will. Das Recht, zumindest Geschäfte des täglichen Lebens bar und anonym abwickeln zu können, ist zumindest in Deutschland durch das Grundgesetz geschützt.- Inwiefern?Von einer Abschaffung des Bargelds betroffen wären elementare Grundpfeiler unserer Rechtsordnung wie die Vertragsfreiheit und die Privatautonomie. Auch das Grundrecht auf freie Berufsausübung kann beeinträchtigt sein. Schließlich ist auch das von den Grundrechten abgeleitete Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu bedenken. Wenn es kein Bargeld mehr gibt, müssten alle Zahlungen in der einen oder anderen Form über das Giro-System geleistet werden. Damit wird die vollständige Überwachung jeder wirtschaftlichen Betätigung ermöglicht. Ein derartig tiefer Eingriff wäre allein durch die Verfolgung legitimer Ziele wie Bekämpfung der Geldwäsche und Eindämmung der Schattenwirtschaft nicht gerechtfertigt. Auch hier gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Zunächst müssen weniger einschneidende Maßnahmen geprüft und gegebenenfalls auch ausprobiert werden.—-Dr. Hendrik Haag ist Partner von Hengeler Mueller in Frankfurt. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.