Stromerzeugung

Bei klimaneutralem Strom drängt die Zeit

Um Investitionen in die klimaneutrale Stromerzeugung anzuschieben, braucht es rechtzeitig die richtigen Anreize, unter anderem eine regulatorische Eigenkapitalverzinsung auf internationalem Niveau.

Bei klimaneutralem Strom drängt die Zeit

Die politischen Ziele sind eindeutig: Bis 2045 soll Deutschland klimaneutral werden. Den Anfang wird der Stromsektor machen – er muss bereits 2035 klimaneutral sein, um die nachgelagerten Sektoren Industrie, Verkehr und Wärmeerzeugung mittels Elektrifizierung zu dekarbonisieren. Wir dürfen jetzt keine Zeit verlieren, einen stabilen Rahmen für Investitionen zu schaffen, die wir für die angestrebte Transformation des Energiesystems brauchen.

Anstoß noch 2023

Zum einen geht es um Kraftwerke, die nach einem Kohleausstieg 2030 gesicherte Leistung bereitstellen werden. Damit ist eine zu jedem Zeitpunkt verfügbare Erzeugungskapazität gemeint. Selbst wenn sich die Windstromerzeugung bis dahin in etwa verdoppeln und die Stromerzeugung aus Fotovoltaik vervierfachen wird, bleibt an zahlreichen Tagen im Jahr eine eklatante Lücke. Erdgas als Brückentechnologie funktioniert bestenfalls noch eingeschränkt – das haben die Ereignisse des vergangenen Jahres gezeigt. Um rechtzeitig Investitionen in alternative Kraftwerke anzustoßen, muss der Rahmen dafür noch in diesem Jahr definiert werden und durch eine geeignete Gesetzgebung so klar und verlässlich sein, dass ab 2025 gebaut werden kann.

Als Übertragungsnetzbetreiber haben wir bereits im vergangenen Jahr einen Zehn-Punkte-Plan für einen erfolgreichen Kohleausstieg in den Diskurs eingebracht. Es überrascht sicherlich nicht, dass der Plan den rechtzeitigen Bau neuer Kraftwerke thematisiert: Kraftwerkskapazitäten, die aus dem Markt ausscheiden werden, sollten durch eine flexible, steuerbare und klimafreundliche Alternative ersetzt werden. Die Wahl der Technologie sollte dem Markt überlassen werden.

Das Stromnetz muss stärker berücksichtigt werden. Investoren sollten zudem Anreize erhalten, die Kraftwerke an systemdienlichen Stellen im Stromnetz zu errichten. Es macht einen Unterschied, ob ein Elektrolyseur, der mit Windstrom Wasserstoff herstellt, im Norden oder Süden Deutschlands errichtet wird. Je weiter südlich er steht, desto stärker wird das Stromnetz belastet. Das wiederum erhöht die Kosten für unplanmäßige Eingriffe in den Betrieb von Kraftwerken und Windparks – und damit die Netzentgelte. Mit dem Konzept des Systemmarkts schlägt Amprion ein Steuerungsinstrument vor, nach dem Investoren örtlich differenzierte Zahlungen für die Bereitstellung gesicherter Leistung erhalten. Damit leistet der Systemmarkt auch einen wesentlichen Beitrag zum Erhalt der einheitlichen deutschen Strompreiszone. Die Bundesregierung nimmt derzeit die Vorschläge zur Weiterentwicklung der Strommärkte mit der Plattform „Klimaneutrales Stromsystem“ unter der Federführung des Bundesklimaministeriums auf. Ich bin optimistisch dafür, dass wir in diesem Format gemeinsam zu einer guten Lösung finden.

Richtige Anreize nötig

Neben Investitionen in gesicherte Leistung brauchen wir Investitionen in Anlagen, die Systemdienstleistungen erbringen. Sie helfen dabei, die Frequenz und Spannung im Stromnetz stabil zu halten und Überlastungen von Leitungen zu vermeiden. Bisher werden sie vorwiegend von konventionellen Kraftwerken erbracht. Auch hierfür kann der Systemmarkt die nötigen Anreize liefern. Klar ist: Nur mit rechtzeitigen Investitionsanreizen in gesicherte Erzeugung und Systemdienstleistungen kann der Kohleausstieg 2030 gelingen.

Schließlich geht es aber auch um Investitionen in den Aus- und Umbau des Stromnetzes selbst. Als Übertragungsnetzbetreiber haben wir in den vergangenen Jahren zahlreiche Großprojekte umgesetzt, finanziert und Innovationen vorangetrieben. In den kommenden Jahren müssen wir jedoch schneller werden. Die Bundesregierung hat bereits erste, wirkungsvolle Maßnahmen zur Beschleunigung umgesetzt. Um die ambitionierten Ziele zu erreichen, werden wir bestimmte Projekte früher realisieren und unsere Investitionen in den kommenden Jahren deutlich steigern müssen.

Mit unserer Eigentümerstruktur sind wir der einzige deutsche Übertragungsnetzbetreiber, der sich eigenständig am internationalen Kapitalmarkt finanziert. Eine regulatorische Eigenkapitalverzinsung auf internationalem Niveau ist eine notwendige Voraussetzung, um attraktiv für Investoren zu sein. Dies wiederum ist die Basis, um auch am internationalen Kapitalmarkt den Finanzierungsbedarf zu günstigen Konditionen decken zu können.

Es gibt eine steigende Bereitschaft in der Gesellschaft, den Umbau des Energiesystems mit vollem Einsatz anzugehen. Denn es geht nicht allein um Klimaneutralität, sondern, wie wir im vergangenen Jahr schmerzhaft erfahren haben, auch um Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit von Energie. Alle Beteiligten – Politik, Behörden, Unternehmen und Netzbetreiber – sollten den gesellschaft­lichen Schwung nutzen und die richtigen Weichen für einen beschleunigten Umbau des Energiesystems stellen.

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