Spacs

Börsengänge durch die Hintertür

Mit der steigenden Zahl von mit mehr als 1 Mrd. Dollar bewerteten Start-ups wächst der Exit-Druck. Als möglicher Kanal haben sich zuletzt Börsengänge via Spacs aufgetan. In Europa haben diese leeren Börsenmäntel ihre Boomphase.

Börsengänge durch die Hintertür

Von Lisa Schmelzer, Frankfurt

Einhörner suchen vermehrt den Exit via Spac (Special Purpose Acquisi­tion Company). Eines der Highlights für diesen Börsengang durch die Hintertür war zuletzt der Feriendomizilvermittler Home To Go, der im Juli bei Lakestar, Deutschlands erstem Spac unter Führung des Investors Klaus Hommels, Unterschlupf fand. Auch das Lufttaxi-Unternehmen Lilium hat an einen Spac angedockt, allerdings in den USA. Spacs sind Mantelgesellschaften, die als leere Hülle mit dem Ziel an die Börse kommen, später ein Wachstumsunternehmen zu übernehmen und diesem einen schnelleren Sprung aufs Parkett zu ermöglichen als über ein eigenes IPO.

Der überwiegende Teil der Spac-Börsengänge findet in den USA statt, doch im bisherigen Jahresverlauf sind die Blankoscheck-Vehikel auch in Europa in Schwung gekommen. Lakestar Spac I, mit dem Home To Go verschmolzen ist, war indes im Februar die erste leere Hülle seit mehr als einem Jahrzehnt, die in Frankfurt an die Börse kam. Der Zuteilungspreis belief sich damals auf 10 Euro. Es folgten 468 Spac I und Obotech. In der ersten Hälfte des Jahres 2021 sind in Europa 19 Spacs neu an die Börse gekommen, davon sechs und damit die meisten in Amsterdam. Insgesamt wurden bei den europäischen Spac-IPOs 5,2 Mrd. Dollar für Übernahmen eingesammelt. Das geht aus einer Aufstellung der Kanzlei White & Case hervor.  

Die Ernüchterung folgt oft auf dem Fuße. Hatte Home To Go hat am 22. September noch ein solides Börsendebüt mit leichten Kursgewinnen hingelegt, geht es seitdem im Rückwärtsgang. Derzeit notieren die Aktien bei 8,20 Euro, beim Start von Lakestar im Februar waren es 11,45 Euro gewesen. Durch den Börsengang via Zusammenschluss sind Home To Go rund 250 Mill. Euro zugeflossen. Bewertet wurde der Plattformbetreiber bei der Transaktion mit rund 1,2 Mrd. Euro und stieg damit in den Club der Einhörner auf.

Mit über 1 Mrd. Euro bewertet ist das Unternehmen in Bezug auf die Umsätze eher ein Zwerg. Im vergangenen Jahr wurden Erlöse von 65,9 Mill. Euro verbucht – knapp 4 Mill. Euro weniger als im Vorjahr, was angesichts der Folgen der Coronavirus-Pandemie für das Reisegeschäft ein erstaunlich geringer Rückgang ist. Der Verlust fiel mit 23,8 Mill. Euro niedriger als 2019 aus. In den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres lag der Umsatz mit 30 Mill. Euro  über dem des Vorjahreszeitraums (23 Mill. Euro), der Verlust stieg aber rasant auf 62,5 Mill. Euro. Die Pläne von Home To Go sind ambitioniert: Bis 2023 soll der Umsatz auf 180 bis 210 Mill. Euro gesteigert werden. Ob das wirklich gelingt, erscheint angesichts des Wettbewerbsumfelds zumindest fragwürdig. Denn Home To Go konkurriert mit mächtigen Wettbewerbern wie Airbnb oder Booking. Auch Google werden Ambitionen nachgesagt, stärker in das Vermittlungsgeschäft für Ferienunterkünfte einzusteigen.

Lilium dockt bei Qell an

Andere Unternehmen aus der Reisebranche, die ebenfalls mit einem möglichen Exit über die Börse und/oder via Spac, liebäugeln, dürften erst einmal abwarten. Denn sie wurden in den vergangenen eineinhalb Jahren stark von den Folgen der Coronavirus-Pandemie für das touristische Geschäft getroffen. Als mögliche Kandidaten gelten der Tourenplaner Getyourguide und der Anbieter von Fernbus- und Bahnreisen, Flixmobility.

Auch die künftige Entwicklung beim Flugtaxi-Hersteller Lilium ist mit Fragezeichen zu versehen. Diverse Unternehmen planen und entwickeln diese Fluggeräte, wann genau wer den Marktstart wagen wird, ist noch nicht absehbar. Auch die Aussichten für die Rahmenbedingungen wie nötige Infrastruktur oder behördliche Genehmigungen sind noch nebulös. Dennoch hatten Lilium-Chef Daniel Wiegand und seine Geldgeber um den chinesischen Tencent-Konzern und den Wagniskapitalfonds Atomico im Frühjahr verkündet, an die Wall Street gehen zu wollen. Und zwar per Spac-Börsengang über das Investmentvehikel Qell, das bereits an der Börse notiert war. Nach langer Analyse hatte sich Qell-Gründer Barry Engle,  ein früherer General-Motors-Manager, für das deutsche Start-up entschieden.  

„Wir sind begeistert, dass die Qell-Aktionäre uns auf der nächsten Etappe unserer Reise begleiten werden“, freute sich Wiegand in einem Statement. Allerdings schlug ihm eine gehörige Portion Skepsis entgegen. 65% der Qell-Aktionäre gaben ihre Anteile lieber ganz zurück, als sie gegen Lilium-Papiere zu tauschen. Statt der erhofften 830 Mill. Dollar konnte Lilium deshalb nur 584 Mill. Dollar einsammeln. Damit erreicht das Unternehmen allerdings immer noch eine Bewertung von gut 2,8 Mrd. Euro. Die Aktie verzeichnete seit dem Börsenstart Mitte September zunächst leichte Kurszuwächse, musste aber in den vergangenen Tagen kräftig Federn lassen.

Der ganz große Hype, der die Bewertungen der diversen Flugtaxi-Start-ups monatelang in die Höhe getrieben hatte, scheint verpufft. Weltweit liefern sich aktuell mehr als 100 Hersteller einen Wettbewerb um das erste funktionierende Konzept. Experten äußern immer wieder Zweifel an den hochtrabenden Versprechen der Hersteller. Mit signifikanten Gewinnen rechnen viele frühestens in zehn Jahren. Hohe Rückgabequoten waren daher bei Börsengängen via Spac zuletzt eher die Regel als die Ausnahme. Beim Lilium-Konkurrent Joby etwa, der bei der Entwicklung seines senkrecht startenden Flugtaxis schon weiter ist als der deutsche Wettbewerber, machten Mitte August 62% der Spac-Aktionäre von ihrem Umtauschrecht Gebrauch. Seit Mitte August ist Joby an der Wall Street notiert, zu den Ankerinvestoren zählt der Autokonzern Toyota. Frühestens Ende 2024 rechnet CEO Joe Ben Bevirt mit einem Marktstart – und bis dahin mit einem Kapitalbedarf von 1,1 Mrd. Dollar. Auch für Joby ging es zuletzt an der Börse abwärts, die Marktkapitalisierung schrumpfte von 6,2 auf 5,5 Mrd. Dollar.

Der Kauf durch eine Spac ist für viele Einhörner eine Alternative zum traditionellen Börsengang. Gründer und Anteilseigner sparen sich damit wochen- oder monatelange Vorbereitungen für einen Börsengang und kommen schneller an Liquidität. Allerdings ist beispielsweise der Boom mit Spacs in den USA bereits deutlich abgeebbt, weil es zu wenige Unternehmen gibt, die in einen solchen Börsenmantel schlüpfen können. Weltweit suchen inzwischen Hunderte Spacs Übernahmeziele. Werden einer Firma Wachstumschancen nachgesagt, rennen ihr die Verantwortlichen dieser Vehikel deshalb die Bude ein. „Als wir dabei waren, die Voraussetzungen für einen Trade Sale oder eine Kapitalmarkttransaktion zu schaffen, kamen immer mehr Spacs auf uns zu. Das war teilweise surreal. Es gab Tage, da hätte ich die ganze Zeit mit Spacs telefonieren können. Das war Speed-Dating auf Steroiden“, sagte Home-To-Go-CFO Steffen Schneider im August im Interview der Börsen-Zeitung. Vielen sei völlig egal gewesen, was Home To Go macht. „Ihr macht sowas wie Airbnb und das ist eure Bewertung? Okay, dann lasst uns reden.“

Solange der Spac-Boom in Europa anhält, wollen weitere Einhörner ein Stück vom Kuchen abhaben. Auch Lilium-Wettbewerber Volocopter hat bereits Interesse signalisiert. In einem Interview sagte Firmenchef Florian  Reuter: „Wir prüfen ständig die verschiedenen Möglichkeiten, um herauszufinden, was für uns der beste Weg ist.“ Spacs seien sehr interessant, aber sie seien „nicht der einzig mögliche Weg, um an eine Finanzierung zu kommen“.

Allerdings könnte sich das Zeitfenster für erfolgreiche Börsengänge durch die Hintertür mittelfristig schließen, wenn die Skepsis zunimmt. Nach Ansicht vieler Branchenkenner sorgt nämlich der Spac-Boom längst dafür, dass Firmen an die Börse gehen, die dafür noch nicht geeignet sind oder die grundsätzlich nicht an die Börse gehören. 

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