General Electric

Das Vorbild Siemens hat auch seine Schattenseiten

„Made in Munich“ ist das Konzept für die Aufspaltung von General Electric. Allerdings ist die Neubewertung kein Selbstläufer. Zuletzt geriet der Wert des Siemens-Kerngeschäfts unter Druck.

Das Vorbild Siemens hat auch seine Schattenseiten

Von Michael Flämig, München

Die Blaupause für die Aufspaltung von General Electric ist „Made in Munich“. Denn Siemens hat vorexerziert, was die Amerikaner nun nachmachen. Dies gilt allerdings weder für Inhalte noch Psychologie: General Electric (GE) behält mit der Luftfahrtindustrie ein anderes Geschäft als einst Siemens und begnügt sich mit einer Minderheitsposition bei der Medizintechnik-Tochter. Zudem handelte Siemens aus einer Position der Stärke heraus, während GE immer noch einen Abwehrkampf gegen den Schuldenberg führt.

Aber beide Weltkonzerne eint ab sofort der Glauben, dass kleinere Einheiten fokussierter und damit wettbewerbsfähiger sind – und diese eher neuen Konkurrenten in Zeiten der Digitaltransformation trotzen können. Die Protagonisten dieser Agilitätsphilosophie denken auch an Marktkapitalisierung und den Wettkampf um das Eigenkapital. Wer hohe Multiples an der Börse erreicht, kann mit diesem Pfund um teure Wettbewerber wuchern – und mit Unternehmenskäufen die eigene Dominanz vergrößern.

Analysten sind verwundert

General Electric verbucht insofern allein mit der Ankündigung der Aufspaltung einen ersten Erfolg. Denn der Aktienkurs sprang in der Spitze um 7% auf 116,17 Dollar. Damit nähert sich der Kurs dem höchsten Stand seit dreieinhalb Jahren. Siemens erfuhr ähnlichen Zuspruch, zumindest nach dem Vollzug der Abspaltung von Siemens Energy. Doch am Beispiel der Münchner lässt sich auch ablesen, dass Abspaltungsgewinne kein Selbstläufer ad infinitum sind und sich sogar teilweise verflüchtigen. Denn aktuell gibt der Siemens-Aktienkurs ein Rätsel auf. Analysten können ein Lied davon singen. Nach einem Treffen mit Siemens-Vorstandschef Roland Busch im September gab Ben Uglow zu Protokoll, eines der interessantesten Gesprächsthemen sei gewesen, warum die Börse Siemens nicht jene Multiples zugestehe, die das Unternehmen klar verdiene. Die Schlussfolgerung des Morgan-Stanley-Analysten angesichts der als zu niedrig empfundenen Bewertung: „Wir sind ein wenig verwundert.“

Dieses Gefühl teilt er mit seinen Kollegen. Sie stufen Siemens als „signifikant unterbewertet“ ein (Gael de-Bray, Deutsche Bank), diagnostizieren eine „erkennbar falsch bewertete Aktie“ (Philip Buller, Berenberg) und stellen fest, der ermutigende operative Fortschritt „zeigt sich nicht in der Bewertung“ (Martin Wilkie, Citi). Derlei Einschätzungen mögen auf den ersten Blick kontraintuitiv erscheinen. Schließlich ist die Siemens-Aufteilung im kollektiven Bewusstsein als Erfolgsgeschichte verankert. Joe Kaeser hatte noch in seiner Funktion als Vorstandsvorsitzender bilanziert, die Notierung von Siemens Energy am 28. September sei ein enormer Katalysator gewesen.

Zu Recht, denn zwei Wochen danach erreichte der Siemens-Kurs das Niveau vor der Abspaltung. Anschließend eilte er von Rekord zu Rekord. Der letzte Höchststand wurde am 23. September bei 150,26 Euro verzeichnet. Am Dienstag und damit zwei Tage vor der diesjährigen Bilanzpressekonferenz schloss er mit 145,70 Euro nur leicht darunter.

Tatsächlich kann sich der Total Shareholder Return auch heute noch sehen lassen. Die Krux: Der Anstieg der Marktkapitalisierung – die blauen Balken in der Grafik in diesem Artikel – wird seit Juni ausschließlich von der Hausse der 75-Prozent-Beteiligung Siemens Healthineers getrieben. Der Wert des übrigen Siemens-Konzerns samt des operativen Geschäfts (als rote Linie dargestellt) schwankt zwischen 60 und 70 Mrd. Euro. Die Einstufung dieses Kerns von Siemens erscheint zwar nicht alarmierend niedrig, schließlich liegt das Geschäft damit im Schnitt über dem Wert der vergangenen Jahre. Aber: Kurz nach der Börsennotierung von Siemens Healthineers am 16. März 2018 sind die gut 60 Mrd. Euro bereits bei einem deutlich niedrigeren Dax-Stand erreicht worden.

Healthineers wird wichtiger

Schlimmer noch: Der Kapitalmarkt misst dem Siemens-Kern einen so niedrigen Anteil an der gesamten Marktkapitalisierung des Konzerns zu wie sonst kaum seit dem Health­ineers-IPO (außer während der Corona-Turbulenzen im Frühjahr 2020). Seit Juni stellt der Siemens-Kern weniger als 60% der Marktkapitalisierung, zuletzt waren es nur rund 56%. In anderen Worten: Der Healthineers-Anteil wird relativ immer bedeutsamer, die Rolle des Siemens-Kerngeschäfts schrumpft.

Was treibt diese Umwertung? Zeitlich fällt sie zusammen mit dem Siemens-Kapitalmarkttag am 24. Juni. Inhaltlich ist davon auszugehen, dass der Kapitalmarkt nun Nachweise braucht, dass das Versprechen steigender Margen eingelöst wird.

Vor dieser Aufgabe steht auch General Electric. Sonst wird, wie in den letzten Monaten vereinzelt im Fall Siemens zu beobachten, der Druck des Kapitalmarkts zunehmen, das Konglomerat stärker zu zerlegen.

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