ANSICHTSSACHE

Deutschland muss Steuerstandort für Unternehmen flottmachen

Börsen-Zeitung, 12.4.2019 Der Brexit, besorgniserregende geopolitische Entwicklungen oder auch die populistischen Tendenzen in weiten Teilen Europas rufen uns ins Bewusstsein: Freiheit und Wohlstand fallen nicht vom Himmel. Gesellschaft und...

Deutschland muss Steuerstandort für Unternehmen flottmachen

Der Brexit, besorgniserregende geopolitische Entwicklungen oder auch die populistischen Tendenzen in weiten Teilen Europas rufen uns ins Bewusstsein: Freiheit und Wohlstand fallen nicht vom Himmel. Gesellschaft und Wirtschaft müssen alles hart erarbeiten. Dazu gehört aber auch, dass politisch die richtigen Weichen gestellt werden. Das bedeutet für mich, sich vor allem auf die Kernkompetenzen der Politik zu besinnen: Probleme erkennen, Konzepte entwickeln und dann engagiert um die beste Lösung streiten.2014, im ersten Jahr mit schwarzer Null im Bundeshaushalt, nahmen Bund, Länder und Gemeinden 643 Mrd. Euro an Steuern ein. 2018 waren es bereits 775 Mrd. Euro, das sind 132 Mrd. Euro mehr – pro Jahr. 2023 sollen es sogar 941 Mrd. Euro sein, vielleicht etwas weniger wegen der nun schwächelnden Konjunktur. Das entspräche seit 2014 im Durchschnitt einer Steigerung von 4,3 % pro Jahr. Die volkswirtschaftliche Steuerquote soll von 22 % im Jahr 2014 auf den Rekordwert von 23,4 % im Jahr 2023 steigen.Es kann keinen Zweifel geben: Es ist genug Geld für den Staat da, um den Standort Deutschland durch Investitionen voranzubringen und den Unternehmen durch Steuersenkungen die nötigen Mittel für Investitionen zu belassen. Doch ein Blick auf die kürzlich beschlossenen Haushaltseckpunkte zeigt: Bis 2023 soll einzig das Sozialbudget kräftig expandieren. Der schon jetzt mit weitem Abstand größte Haushaltstitel soll um weitere 20 Mrd. Euro pro Jahr steigen. Statt einen guten Teil der Mehreinnahmen dafür zu verwenden, den Standort Deutschland voranzubringen, sind wir dabei, Fehler der Vergangenheit zu wiederholen – es droht ein neuer Reformstau. Rote Steuerlaterne Und in der Steuerpolitik sieht es besonders schlecht aus, vor allem im internationalen Vergleich. Sicher, Steuern sind bei weitem nicht alles. Der Brexit, das Wiederaufleben des Protektionismus, schwindelerregende Energiekosten oder ein leer gefegter Arbeitsmarkt sind nur einige der Probleme. Aber die Lösung fällt uns umso schwerer, wenn wir in Deutschland bei der Steuerbelastung die rote Laterne tragen. Entgegen dem internationalen Trend haben wir in den vergangenen zehn Jahren die Unternehmensteuern erhöht. Auch ohne große Reform zeigen die Erhöhungen der kommunalen Hebesätze bei Gewerbe- und Grundsteuer sowie der Sätze bei der Grunderwerbsteuer hier Wirkung. Im Gegenzug verfehlen die US-Tax-Reform und die Senkung der Unternehmensteuertarife der großen EU-Volkswirtschaften nicht ihre Wirkung.Hinzu kommt eine explosionsartige Zunahme der Berichts- und Transparenzpflichten und damit der Bürokratiekosten. Viele dieser Maßnahmen mögen für sich genommen gerechtfertigt sein. In Summe führen sie aber zu enormen Belastungen für die Unternehmen. Regelungen wie etwa den Finanzkonten-Informationsaustausch, das Country-by-Country Reporting, die Geldwäscherichtlinie, das Transparenzregister oder die Entsende-Richtlinie sind Beispiele, die international Wirkung entfalten. Und dass alle Unternehmen sich “compliant”, also nach den Spielregeln bewegen, ist sehr wichtig und richtig. Dazu passt aber nicht, dass man – zusätzlich zu den zur Missbrauchsvermeidung berechtigten internationalen Regelungen – den heimischen Unternehmen auch noch nationale Berichtspflichten und damit weitere bürokratische Belastungen aufbürdet.Um nicht noch mehr Boden zu verlieren, brauchen wir am Standort Deutschland dringend eine Unternehmensteuerreform. Der Steuersatz für Unternehmen muss dabei auf insgesamt effektiv 25 % sinken. Das würde uns im Steuerwettbewerb vom Tabellenende ins sichere Mittelfeld katapultieren. Internationale Investoren würden ihre Aufmerksamkeit wieder auf die unbestrittenen außersteuerlichen Standortqualitäten Deutschlands konzentrieren. Eines ist sicher: Ohne Reform geht langfristig viel mehr Steueraufkommen verloren, wenn Investitionen schleichend abwandern. Der Körperschaftsteuersatz sollte von 15 auf 10 % sinken. Die Signalwirkung kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Mit einem Schlag hätte Deutschland auch aus steuerlicher Sicht ein attraktives Investitionsumfeld.Um die in Deutschland so wichtigen Personengesellschaften zu unterstützen, sollte die Anrechenbarkeit der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer deutlich erhöht werden, z.B. vom derzeitigen Faktor 3,8 auf 4,5. Mit einer deutlich verbesserten Thesaurierungsbegünstigung könnte das Steuersystem der Personengesellschaften an die Körperschaftsteuer angenähert werden. Konsequent wäre zudem ein Wahlrecht zur Körperschaftsteuer, wie es z.B. die USA unter dem Stichwort “check-the-box” kennen. Als letzter Baustein ist es dringend geboten, die Diskussion um eine steuerliche Forschungsförderung endlich zu einem positiven Abschluss zu bringen. Nationale Reform nötigDie deutsche Steuerpolitik steht vor einer einfachen Aufgabe. Um den Steuerstandort Deutschland wieder flottzumachen, sind keine komplizierten Systemumstellungen nötig, wie etwa um die Jahrtausendwende beim Abschied vom Anrechnungsverfahren oder wie die vor zwei Jahren in den USA diskutierte “Border-adjusted Cash-flow Tax”. Es ist grundsätzlich zu begrüßen, wenn sich die Bundesregierung bei vielen Themen auf internationaler Ebene im Rahmen der OECD oder der EU dafür einsetzt, länderübergreifende Regelungen zu finden und nicht den Steuerkuchen zulasten von Deutschland oder der nationalen Unternehmen zu verschieben oder zu erhöhen. Dies allein reicht aber nicht, um international den Anschluss zu halten. Die vorgeschlagenen nationalen Maßnahmen sind konventionell und schnell umsetzbar, ihre positive Wirkung ist klar belegt und ausformulierte Vorschläge liegen auf dem Tisch. Packen wir es an!—-Dr. Henrik Ahlers ist Managing Partner Tax Germany Switzerland Austria von Ernst & Young. In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.—–Von Henrik AhlersOhne Unternehmensteuerreform wandern Investitionen schleichend ab. Es geht langfristig viel mehr Steueraufkommen verloren. —–