Christina Johansson

„Die Strategie funktioniert“

Nach Jahren der Restrukturierung und dem Verkauf von Verlustbringern nimmt Bilfinger jetzt Akquisitionen in den Blick. Was Interim-CEO Christina Johansson mit dem Industriedienstleister vorhat.

„Die Strategie funktioniert“

Helmut Kipp

Frau Johansson, Sie sind nicht nur Finanzvorstand, sondern seit Januar 2021 auch Interim-CEO von Bilfinger. Macht Ihnen die neue Rolle Freude?

Auf jeden Fall. Es ist anspruchsvoll, beide Funktionen auszufüllen, aber es macht Spaß. Ich werde die Doppelrolle so lange weiterführen, wie es notwendig ist. Ich habe aber von Anfang an klar kommuniziert, dass ich nicht vorhabe, die CFO-Funktion zu verlassen, um CEO zu werden. Im Herzen bin ich ein CFO. Das ist meine Berufung.

Es bleibt also dabei, dass Sie sich nach dem Antritt eines Nachfolgers für den Knall auf Fall ausgeschiedenen Tom Blades wieder mit der Rolle des Finanzchefs begnügen?

Ja, meine Haltung hat sich nicht geändert.

Hat Ihnen der Aufsichtsrat angeboten, dauerhaft CEO zu werden?

Es gab diese Diskussion, aber ich habe von vornherein gesagt, dass das keine Option für mich ist. Dann muss man auch kein Angebot machen.

Hat der Aufsichtsrat einen Zeitrahmen für Ihre Doppelrolle gesteckt?

Der Aufsichtsrat beschäftigt sich intensiv mit der Nachfolgeregelung für Tom Blades. Wir erwarten, dass im zweiten Halbjahr eine definitive Lösung gefunden wird. Vor diesem Hintergrund stelle ich mich darauf ein, den größten Teil des laufenden Jahres oder sogar das ganze Jahr die Doppelrolle auszuüben.

Warum gestaltet sich die Suche nach einem neuen Konzernchef so langwierig?

Eine sorgfältige Suche braucht Zeit. Es ist kein Geheimnis, dass es bei Bilfinger eine Zeit lang viele Änderungen im Vorstand gab. Jetzt möchte man eine Lösung, die passt. Daher gibt es keinen Schnellschuss.

Ein weiterer Grund dürfte sein, dass Bilfinger als Übernahmekandidat gesehen wird. Anwärter für den Chefposten müssen sich also darauf einstellen, womöglich unter einem neuen Großaktionär zu arbeiten. Im Frühjahr haben Sie klargestellt, dass der Vorstand erster Ansprechpartner für Kaufinteressenten ist. Wie viele Gespräche dieser Art haben Sie in den vergangenen Monaten geführt?

Es gibt immer wieder Spekulationen, und immer wieder sage ich, dass wir uns dazu nicht äußern. Übernahmegerüchte sind normal bei einem Unternehmen, das sich wie Bilfinger in einer Transformation befindet. Aufgabe des Vorstands ist, die Transformation so schnell wie möglich erfolgreich abzuschließen und das Unternehmen voranzubringen.

Gibt es denn nun Gespräche mit Kaufinteressenten?

Bei den meisten Unternehmen stehen solche Themen im Laufe der Jahre ab und zu mal auf der Agenda. Das ist bei Bilfinger nicht anders. Konkret kann ich mich nicht dazu äußern.

Sind Übernahmeverhandlungen an Vorbedingungen geknüpft?

Wenn man in solche Gespräche geht, hat man gewisse Erwartungen. Wir versuchen, die Aspekte in den Vordergrund zu stellen, die für Bilfinger wichtig sind.

Welche Punkte sind das?

Wir wollen die Möglichkeit haben, die Transformation weiter voranzutreiben. Dazu gehört die ein oder andere Akquisition. Dann wollen wir die Portfoliobereinigung, die größtenteils umgesetzt ist, komplett abschließen und in organisches Wachstum investieren, um Bilfinger zu stärken.

Nicht jeder Bieter kommt gelegen. Verfügt der Vorstand über eine Abwehrstrategie gegen unliebsame Interessenten?

Auf alle Situationen vorbereitet zu sein, das ist ein Thema für jedes börsennotierte Unternehmen. Die Corona-Pandemie hat die Notierungen vieler Gesellschaften zumindest im zweiten Quartal 2020 deutlich belastet. Das gilt auch für die Bilfinger-Aktie. In einer solchen Phase ist es wichtig, ein Konzept für eine positive Zukunft des Unternehmens zu haben.

Wie verstehen Sie Ihre Rolle als Interim-CEO? Mehr als Bewahrerin der Arbeit von Tom Blades oder mehr als Gestalterin, die ungeachtet einer mutmaßlich kurzen Amtszeit strategische Weichenstellungen vornimmt?

In der Mitte. Bilfinger hat sich in den letzten Jahren sehr positiv entwickelt. Das Unternehmen ist stabilisiert worden. Wir sind wieder klar profitabel, generieren 5 bis 6% Wachstum pro Jahr und haben massiv an der Strategie gearbeitet. Das ist nicht das Werk eines Einzelnen, auch wenn Herr Blades es geprägt hat. Die anderen Vorstandsmitglieder, also auch ich, haben daran mitgewirkt. Jetzt gilt es, die Umsetzung voranzubringen und die Strategie zu erweitern. Da können wir nicht warten, bis ein neuer CEO da ist. Zunächst wollen wir nach dem durch die Corona-Pandemie geprägten Jahr 2020 finanziell möglichst schnell zum Vorkrisenniveau von 2019 zurückkommen. Parallel treiben wir die M&A-Strategie ohne Verzögerung voran.

Wie sieht das Akquisitionskonzept aus?

Wir planen arrondierende Übernahmen, keine Riesentransaktion. Ziel ist, einzelne Regionen oder Industriebereiche zu stärken und schnell Synergien mit den neuen Tochterfirmen zu erzielen. Daher sollten Unternehmen, die für eine Übernahme in Frage kommen, profitabel sein. Restrukturierungsfälle scheiden aus.

Welche Regionen und Branchen haben Sie im Blick?

Regional geht es vor allem um Europa und Nordamerika. In den USA sind wir noch relativ klein, anders als in Europa, wo wir Marktführer sind. Ein oder zwei Ergänzungsakquisitionen würden unsere Marktposition in der Instandhaltung jenseits des Atlantiks stärken. In Europa ist das Thema Energiewende interessant. Hier möchten wir unsere Fähigkeiten ausbauen. Zudem bleibt Biopharma ein wichtiges Segment für Bilfinger – wenn auch die Kaufpreise in diesem Bereich sehr hoch sind.

Welches Volumen wollen Sie für Akquisitionen lockermachen?

Wir kalkulieren intern mit einer gewissen Spannweite, je nach Opportunitäten. Bilfinger generiert guten Cash-flow, und im Mai sind rund 450 Mill. Euro aus dem Weiterverkauf von Apleona zugeflossen. Zudem lässt die konservative Bilanzstruktur Spielraum für eine höhere Verschuldung. All das schafft Flexibilität für Übernahmetransaktionen, auch wenn ein Teil der Apleona-Einnahme an die Aktionäre ausgeschüttet werden wird.

Wie vertragen sich Firmenerwerbe mit der Ankündigung, beim Rating ein Investment Grade anzustreben? Derzeit liegt die Kreditwürdigkeit trotz Hochstufung auf BB noch im spekulativen Bereich.

Das Ziel, mittelfristig ein Investment Grade zu erreichen, bleibt bestehen. Das setzt gewisse Grenzen für das Zukaufvolumen. Es bleibt aber ausreichend Spielraum, um beide Ziele zu erreichen.

Steht dann eine Kapitalerhöhung ins Haus?

Das ist kein Thema.

Stellen Sie die Mindestdividende von 1 Euro je Aktie zur Diskussion?

Nein, daran wird nicht gerüttelt. Da stehen wir bei den Aktionären im Wort. Das wird schon dadurch deutlich, dass wir die Dividendenkürzung für 2019 aufgrund der Corona-Pandemie im Folgejahr wieder ausgeglichen haben. Nach der Transformation sollen 40 bis 60% des adjustierten Nettogewinns ausgeschüttet werden.

Wie wollen Sie vom Umbau des Energiesektors profitieren?

Bilfinger ist stark im Kernkraftbereich, auf den mehrere hundert Mill. Euro Jahresumsatz entfallen. Wir sind zum Beispiel Großlieferant für das neue Kernkraftwerk Hinkley Point C in Großbritannien. Der Auftrag bringt über die Jahre mindestens 500 Mill. Euro Umsatz. Im Kernkraftgeschäft erwarten wir für die nächsten fünf bis zehn Jahre sehr gute Perspektiven. Auch im Gasbereich rechnen wir damit, weitere Projekte zu gewinnen. Öl bleibt wichtig, seine Bedeutung wird aber zurückgehen. Mehr und mehr Geschäft macht Bilfinger in der Windkraft, vor allem Offshore, wenngleich die Umsätze bisher nicht riesig sind. Windparks im Meer und Ölplattformen haben Ähnlichkeiten, so dass wir von den Erfahrungen aus der Wartung von Ölförderanlagen profitieren. Zudem gibt es Überschneidungen bei den Kunden, weil Ölkonzerne verstärkt in Windenergie investieren. Auf lange Sicht verspricht Wasserstoff erhebliches Geschäftspotenzial. Diese Technologie steht erst am Anfang, aber wir sind bei vielen Themen dabei.

Sehen Sie Mängel in der aktuellen strategischen Aufstellung?

Nein. Die Zahlen der ersten drei Monate 2021 machen deutlich, dass die Strategie funktioniert. Erstmals seit Jahren haben wir im saisonal schwachen Startquartal schwarze Zahlen geschrieben. Das Geschäft in Europa, das mehr als 85% des Gesamtumsatzes ausmacht, erholt sich bereits seit dem dritten Quartal 2020. Wir haben die Kosten im vergangenen Jahr massiv reduziert. Bilfinger ist agiler und kostenbewusster geworden. Wir erwirtschaften bessere Profitzahlen aus weniger Umsatz.

Gibt es eine Zukunftsvision?

Wir arbeiten mit einer auf drei bis vier Jahre angelegten Strategie, die mit finanziellen Zielen unterlegt ist. Bis 2024 soll der Umsatz, der 2020 bei 3,5 Mrd. Euro lag, auf mehr als 5 Mrd. Euro steigen und die operative Umsatzrendite mindestens 5% erreichen. Die Ausrichtung als Serviceprovider für Chemie und Petrochemie, Energie und Versorgung sowie Öl und Gas bleibt bestehen. Diese drei Industrien bleiben unser Schwerpunkt.

Welche strategische Rolle hat das US-Geschäft? Die Synergien mit der Instandhaltung in Europa dürften gering sein.

Wir stehen zu Nordamerika. Bisher dominiert hier das Projektgeschäft mit der Chemie- sowie mit der Öl- und Gasindustrie. Da gibt es in der Tat noch geringe Synergien mit Europa. Wir versuchen jetzt, die Instandhaltung in Nordamerika, die sich im Wesentlichen auf Procter & Gamble konzentriert, breiter aufzustellen, auch um die Auslastung zu verstetigen. Dafür ist das Know-how aus Europa hilfreich.

Weltwirtschaftlich spielt die Musik aber in Asien. Ausgerechnet in dieser Region ist Bilfinger gar nicht vertreten.

In unseren Kundenindustrien befinden sich noch immer sehr viele Produktionskapazitäten in Europa. Aufgrund ihres Alters brauchen diese Anlagen relativ viel Instandhaltung. Die neuen Werke, die momentan wenig Unterhalt benötigen, entstehen vor allem in Asien. Das bedeutet: Mit der Zeit müssen wir nach Asien gehen. In fünf bis zehn Jahren wird Bilfinger dort einen Footprint haben.

Sind die Einsparrunden jetzt durch?

Das hängt davon ab, wie schnell die Umsatzeinbußen infolge der Pandemie ausgeglichen werden. Wir haben das vergangene Jahr genutzt, die Kostenstruktur noch einmal anzupassen. Die Vertriebs- und Verwaltungskosten sind weiter gesunken, die Mitarbeiterzahl wurde um 4000 reduziert, vor allem im Öl- und Gasbereich im Vereinigten Königreich und in Norwegen sowie im US-Projektgeschäft. Von den Kosten her ist Bilfinger nun gut aufgestellt. Priorität hat, den Umsatz zu steigern.

Wie lange werden die vielen Sonderaufwendungen für die Restrukturierung und die damit einhergehende Bereinigung von Ertragskennzahlen die Berichterstattung noch prägen?

2021 ist das letzte Jahr, für das wir ein Adjusted Ebita (Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Firmenwertabschreibungen) ausweisen. Ab 2022 werden wir keine bereinigten Kenngrößen mehr berichten.

Soll das bedeuten, dass die Sanierung abgeschlossen ist?

Das hoffe ich. Bilfinger hat viele Restrukturierungen hinter sich. Nun wollen wir so schnell wachsen, dass keine weitere notwendig ist.

Zwei Tochtergesellschaften stehen noch zum Verkauf. Machen Ihnen diese Firmen Kummer?

Beide Unternehmen, die zusammen auf gut 100 Mill. Euro Umsatz kommen, arbeiten mit Gewinn. Die Firmen stehen zum Verkauf, da sie nicht zur Strategie passen. Ein Unternehmen befindet sich in Südafrika, das andere in Portugal. Südafrika ist ein schwieriger Markt, daher bleibt abzuwarten, wann ein Verkauf gelingt. Bei der Firma aus Portugal bin ich zuversichtlich, dass wir noch in diesem Jahr eine Lösung finden.

Für Investoren spielen ESG-Themen, also Umwelt, Soziales und Governance, eine zunehmende Rolle. Was bedeutet das für einen Industriedienstleister?

Unser Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit entsteht in erster Linie indirekt, indem wir Kunden helfen, zum Beispiel den CO2-Ausstoß ihrer Anlagen zu verringern. Der direkte Einfluss hält sich in Grenzen, da wir als Service-Unternehmen ein People’s Business betreiben.

Hat Bilfinger unternehmensspezifische ESG-Ziele formuliert?

Wir arbeiten daran, ein komplettes ESG-Reporting aufzustellen. CO2 gehört dazu, wenngleich unser direkter Footprint gering ist. Wichtige Themen für uns sind Sicherheit, Compliance und Arbeitgeberattraktivität.

Spielen ESG-Aspekte in der Vorstandsvergütung eine Rolle?

Im kurzfristigen Incentive-System werden ESG-Themen in diesem Jahr erstmals berücksichtigt. Sie sind Teil der individuellen Zielvereinbarungen. Kriterien dafür sind die Aufstellung eines ESG-Reportings und die Arbeitgeberattraktivität. In der Gesamtvergütung haben diese Komponenten noch keine so große Bedeutung, aber das wird sich über die Jahre entwickeln.

Das Interview führte.