Dietmar Heinrich

„Die Versorgungs­sicherheit ist wichtiger als der Preis“

Der schwäbische Anlagenbauer Dürr steuert mit seinen 125 Jahren auf den höchsten Auftragseingang seiner Firmengeschichte zu. Dabei macht sich die Corona-Pandemie mit ihren Folgen für die Lieferketten in der Industrie nach wie vor bemerkbar. Doch die Zuversicht ob des Trends zu mehr Nachhaltigkeit überwiegt.

„Die Versorgungs­sicherheit ist wichtiger als der Preis“

Herr Heinrich, seit genau einem Jahr sind Sie nun für die Finanzen von Dürr verantwortlich. Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie dürfte es ein recht turbulenter Start gewesen sein. Wie haben Sie das vergangene Jahr empfunden?

Es war auf jeden Fall ein herausforderndes Jahr, das geprägt war durch die Covid-19-Pandemie. Insofern gab es schon beim Onboarding Besonderheiten, gerade weil man sich nicht einfach treffen konnte, weil viele Mitarbeiter immer wieder im Homeoffice waren und das Aufbauen der persönlichen Beziehungen letztendlich mit virtuellen Instrumenten ablaufen musste. Ich denke, es hat trotzdem gut geklappt, nicht nur von der persönlichen, sondern auch von der geschäftlichen Seite. Dürr hat frühzeitig die Maßnahmen eingeleitet, die zur Sicherung der Liquidität, aber auch zur Anpassung der Kapazität erforderlich waren. Auch beim Personal sind die Anpassungen weitestgehend umgesetzt.

Was genau waren das für Anpassungen?

In Summe sprechen wir über einen Abbau von etwa 600 Stellen im Automotive-Bereich in Europa. Das hat verschiedene Standorte betroffen, in denen wir entweder Produktionen oder kleinere Standorte ganz ge­schlos­sen haben. Auch am Hauptstandort in Bietigheim-Bissingen haben wir das Personal reduziert, um uns auf die veränderte Bedarfslage einzustellen.

2020 haben Sie für die Refinanzierung von anstehenden Fälligkeiten sowie zur weiteren Finanzierung von Zukäufen eine Wandelanleihe und zwei Schuldscheindarlehen arrangiert. Stehen in diesem Jahr noch weitere Kapitalmaßnahmen auf dem Programm?

Mit den Erlösen konnten wir die Refinanzierung der im Jahr 2021 fälligen Finanzverbindlichkeiten in Höhe von 350 Mill. Euro frühzeitig abschließen. Die Anleihe in Höhe von 300 Mill. Euro und eine Schuldschein-Tranche von 50 Mill. Euro haben wir Anfang April planmäßig zurückgezahlt. Auch die weiteren Finanzierungen sind so weit unter Dach und Fach. Unsere Kreditlinie haben wir erst kürzlich um zwei Jahre vorzeitig verlängert, so dass auch hier die Finanzierung auf längere Sicht abgesichert ist. Die nächste Fälligkeit steht erst im Jahr 2023 an. Insofern haben wir eine gute Liquiditätssituation.

Im ersten Halbjahr haben Sie sowohl beim Auftragseingang als auch beim -bestand einen Rekord erzielt, was vor allem an der guten Entwicklung bei Ihrer Holzverarbeitungstochter Homag lag. Inwiefern spielen hier Nachholeffekte aus dem Vorjahr eine Rolle?

Wir sehen den Nachholeffekt eher als untergeordnet an. Wir können ihn sicherlich nicht ganz ausschließen, sehen aber, dass gerade im Bereich Möbelproduktion wieder ein Investitionszyklus begonnen hat. Bedeutung gewonnen hat auch die Verwendung von Holz als Konstruktionsmaterial für nachhaltiges Bauen. Hier haben sich in verschiedenen Ländern entsprechende Gesetze geändert und wir sehen deshalb eine weiterhin positive Entwicklung mit starkem Wachstumspotenzial. Auch im Automobilbereich hat das Thema Nachhaltigkeit bei der Beschaffung von Produktionsausrüstung noch mehr Bedeutung gewonnen, so dass auch hier von einer weiterhin positiven Entwicklung ausgegangen werden kann.

Die gesamte fertigende Industrie kämpft zurzeit mit knapper werdenden Materialien wie Stahl und vor allem mit steigenden Preisen. Laut Branchenverband VDMA sehen bereits 70% der Unternehmen im Maschinenbau ihre Produktion durch den Materialmangel deutlich erschwert. Wie groß ist die Gefahr, dass Aufträge wegen der angespannten Lieferketten nicht abgearbeitet werden können?

Insgesamt ist das Risiko nicht von der Hand zu weisen. Wir sehen teilweise Einschränkungen in der Versorgung. Daher ist im Einkauf mehr Organisationsaufwand zu betreiben. Wir sind aber sehr zuversichtlich, dass wir da ohne größere Auswirkungen durchkommen. Wir haben das Restrisiko in der Ende Juli erhöhten Prognose berücksichtigt. Wir gehen also mit hoher Zuversicht davon aus, dass die Guidance-Werte, also zwischen 3,6 und 3,8 Mrd. Euro Umsatz und eine Ebit-Marge zwischen 4,1% und 5,1%, auch so erreicht werden.

Können Sie die höheren Kosten weitergeben?

Wir hatten uns wie viele unserer Kunden in der ersten Hälfte des Jahres zurückgehalten mit der Weitergabe von Kostenerhöhungen. In der Zwischenzeit sind wir aber auch so weit, dass wir dort, wo Preiserhöhungen kurzfristig nicht wieder weggehen, einen Teil davon an unsere Kunden weitergeben müssen.

Wird sich das nicht möglicherweise negativ auf die Nachfrage auswirken?

Im Moment nimmt jeder bis hin zum Endverbraucher wahr, dass eine Engpass-Situation da ist. Die Kunden müssen derzeit abwägen, welche Preise sie für etwas zahlen wollen, das sie zu einem bestimmten Zeitpunkt einfach benötigen. Bei Homag sehen wir beispielsweise, dass unseren Kunden die Versorgungssicherheit wichtiger ist als der Preis.

Sie wollen 100 Mill. Euro in die Hand nehmen, um das Wachstum von Homag noch weiter anzukurbeln. Es ist das größte Investitionsprogramm der Firmengeschichte. Was versprechen Sie sich von dem Markt?

Wir haben im Möbelbereich schon heute einen hohen Marktanteil von gut 30%, den wir in Richtung 40% steigern wollen. Deshalb, und um die Effizienz weiter zu steigen, investieren wir in organisches Wachstum. Zudem ist die Produktionstechnik für den Holzhausbau ein sehr attraktiver Markt, der hohes Wachstum und eine gute Profitabilität verspricht. Wir haben weltweit regulatorische Veränderungen, die die Verwendung von Holz als Baumaterial unterstützen. In den USA sind zum Beispiel seit diesem Jahr Holzhäuser mit bis zu 18 Stockwerken zugelassen. In Frankreich sollen ab dem nächsten Jahr 50% der neuen Verwaltungsgebäude in Holzbauweise errichtet werden. Was wir hier sehen, ist, dass Holz nicht mehr nur als Konstruktionsmaterial für den Bau von reinen Einfamilienhäusern verwendet wird, sondern mittlerweile auch Gebäude von bis zu 95 Metern Höhe in Holzbauweise entstehen. Das liegt daran, dass Holz ein nachwachsender Rohstoff ist, der auch noch CO2 speichert.

Inwiefern spielen Zukäufe hier eine Rolle?

Bei Homag haben wir eine Reihe von Akquisitionen durchgeführt. Das hat damit begonnen, dass wir letztes Jahr unser Joint Venture Homag China Golden Field, das für den Vertrieb in China verantwortlich ist, komplett übernommen haben. Hier hatten wir zuvor nur einen Anteil von 25%. Mit dem Schritt haben wir eine bessere Durchgängigkeit und Effektivität im Vertriebsprozess von unseren Werken aus erreicht. Außerdem haben wir unsere Wertschöpfungskette im Bereich Holzhausbau verlängert. Wir waren in der Vergangenheit lediglich bei Konstruktionselementen unterwegs, haben also Maschinen zur Verfügung gestellt, mit denen sich die Seitenwände und Dachstühle fertigen lassen. Mit dem ebenfalls im Jahr 2020 erfolgten Zukauf von System TM aus Dänemark decken wir nun auch Systeme zur Massivholzbearbeitung ab. In diesem Jahr haben wir dann noch ein zweites Unternehmen aus Dänemark erworben, das Kallesoe heißt und auf die Verleimung von Balken und Brettern mithilfe von Hochfrequenzpressen spezialisiert ist.

Was kommt als Nächstes?

Wir haben im Wachstumsmarkt Holzbau jetzt ein relativ breites Produktportfolio, das wir unseren Kunden anbieten können. Im Bereich der Massivholzverarbeitung können wir mittlerweile 70% der Wertschöpfungskette abbilden, so dass wir uns da gut gerüstet sehen. Auch hier wollen wir organisch deutlich wachsen.

Und wie sieht es in der Medizintechnik aus? Dieses Feld haben Sie sich ja erst kürzlich durch zwei Zukäufe erschlossen.

Hier gibt es definitiv Überlegungen zum weiteren Ausbau. Die Automatisierungstechnik für die Herstellung medizintechnischer Produkte ist über die Akquisition von Teamtechnik und Hekuma in unser Portfolio reingekommen und wird weiter an Bedeutung gewinnen – allein schon weil die Gesellschaft immer weiter altert. Deswegen sehen wir auch hier starkes Wachstumspotenzial und wegen der hohen Qualitätsanforderungen an die Endprodukte auch eine überdurchschnittliche Profitabilität. Der Markt für Produktionstechnik für medizintechnische Produkte hat heute ein jährliches Volumen von über 2 Mrd. Euro. Unser derzeitiger Anteil ist zwar noch klein, wir wollen ihn aber weiter steigern. Das wird sich aus zwei Schritten zusammensetzen: einmal aus organischem Wachstum, also über Hekuma und Teamtechnik. Daneben schauen wir uns weitere Ergänzungen durch Akquisitionen an.

Im Automotive-Geschäft mit Lackieranlagen hat sich der Erholungskurs von Dürr zuletzt fortgesetzt. Analysten sehen hierin Chancen durch die Elektrifizierung. Auf der anderen Seite gilt der Automarkt im Allgemeinen, zumindest in Europa, aber auch als gesättigt.

In einzelnen Regionen ist der Markt durchaus stärker gesättigt. In Europa haben wir daher auch die Kapazitäten angepasst. Wir sehen aber, dass sich der Wechsel vom Verbrennungsmotor zum Elektromotor stark beschleunigt, was für uns einen attraktiven Markt darstellt. 40% unserer Auftragseingänge im Automotive-Geschäft haben heute bereits mit Elektromobilität zu tun. Wir hatten im vergangenen Jahr in dem Bereich eine Steigerung bei den Aufträgen von über 60%, und es gibt definitiv weiterhin Wachstumspotenzial.

Das Interview führte Karolin Rothbart.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.