Nachhaltigkeit

ESG-Reporting in der Buchstaben­welle

Die ersten europäischen und globalen Standardentwürfe für die Nachhaltigkeitsberichterstattung haben eine Flut an Kommentaren ausgelöst. Vor allem Unternehmen fordern klare Begrifflichkeiten ein.

ESG-Reporting in der Buchstaben­welle

Von Sabine Wadewitz, Frankfurt

Von der Buchstabensuppe zur Buchstabenwelle: Die ersten relativ zeitgleich vorgelegten Standardentwürfe zur Nachhaltigkeitsberichterstattung auf europäischer und globaler Ebene haben eine Kommentierungsflut ausgelöst. Der International Sustainability Standards Board (ISSB) hat auf seine beiden Entwürfe 1 300 „comment letters“ erhalten, fast 700 befassen sich mit dem Standardentwurf über allgemeine Anforderungen an das ESG-Reporting, mehr als 600 Stellungnahmen beziehen sich auf die Vorschläge des globalen Standardsetzers zu klimabezogenen Angaben. Der EU-Standardisierer European Financial Reporting Advisory Group (Efrag) steht dem nicht nach. In Brüssel landeten nach Ablauf der Konsultationsfrist mehr als 750 Kommentare im Postfach.

Die Resonanz war in dem Ausmaß erwartet worden, denn für alle Stakeholder geht es zur Sache – und die Uhr tickt. Die EU-Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung werden für die ersten Unternehmen vom Geschäftsjahr 2024 an verpflichtend. Auf globaler Ebene will der ISSB seine ersten Standards bis Ende 2022 finalisieren. Da es hier anders als für das ESG-Reporting in der EU noch keine regulatorische Verpflichtung zur Anwendung der Regeln gibt, sind Unternehmen vermutlich zunächst dazu aufgefordert, freiwillig die ISSB-Standards anzuwenden – diese sind anders als die breiter angelegten EU-Regeln primär auf die Zwecke der Kapitalmärkte ausgerichtet. Den Konzernen will der ISSB die Umsetzung seiner Standards dadurch erleichtern, dass sie bei der ersten Anwendung keine Vergleichsangaben bereitstellen müssen.

Efrag und ISSB sind angetreten, die allgemein beklagte Buchstabensuppe im ESG-Reporting zu beseitigen, wobei dem ISSB die Aufgabe zukommt, globale Mindeststandards (global baseline) für die Kapitalmärkte zu entwickeln, auf denen nationale Regulierer aufbauen können. Insofern ist es das Ziel, dass auch die ESG-Reportingstandards der EU im Einklang mit den ISSB-Vorgaben stehen. Im Trilog-Kompromiss im Juni hat sich die EU verpflichtet, im Sinne der Konvergenz die Arbeit des ISSB zu unterstützen und die Gefahr inkonsistenter Berichtspflichten bei international agierenden Unternehmen dadurch zu reduzieren, indem der Inhalt der globalen Mindeststandards des ISSB in die EU-Standards integriert wird – sofern konsistent mit dem EU-Rechtsrahmen und den Zielen des europäischen Green Deal.

Vor allem auf Emittentenseite ist die Befürchtung groß, dass die neue Nachhaltigkeitsberichterstattung zum Bürokratiemonster werden könnte. Der Appell an eine Reduzierung der Komplexität wird vor allem an den EU-Standardsetzer gerichtet, wobei von Investorenseite eher Zuspruch kommt. Aus Anlegersicht sind die von vielen Konzernen bislang vorgelegten ESG-Informationen nicht ausreichend, um sich ein valides Bild zu verschaffen. Viele Unternehmen befürchten indes, dass sie eine unübersehbare Vielfalt an Informationen über ESG-Risiken liefern müssen. Angemahnt wird, dass zwar viele Umweltaspekte identifizierbar sind und sich Unternehmen explizit dazu äußern könnten, wie sie diese Risiken managen werden, doch um alle potenziellen Folgen abzuschätzen, müssten unzählige Szenarien gerechnet werden. Die eindeutige Definition relevanter ESG-Begriffe und eine Konkretisierung der Berichtsgrenzen werden von beiden Standardsetzern eingefordert – insbesondere im Hinblick auf Berichtspflichten bezüglich der – oft sehr langen – Wertschöpfungsketten.

Zu klären ist aus Sicht von Unternehmen auch, wie neue einheitliche internationale Standards in das von vielen Konzernen seit Jahren entwickelte Integrated Reporting einzufügen sind, wo klassische Finanzberichterstattung bereits mit nichtfinanziellen Informationen etwa über Nachhaltigkeit, Risikomanagement sowie Corporate Governance verknüpft ist.

Die Diskussion über die überzogene und nicht zielführende Granularität von Berichtspflichten ist vertraut aus der Zeit, als die Rechnungslegung internationalisiert wurde. Auch an den International Accounting Standards Board (IASB) war damals speziell von europäischen Konzernen der dringende Appell gerichtet worden, einem prinzipienbasierten An­satz zu folgen und nicht dem „cookbook accounting“ des US-amerikanischen Standardsetzers FASB zu folgen. Das Anliegen war damals von Erfolg gekrönt.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.