Studie

Gaskrise gefährdet die Klimaziele

In der europaweiten Gaskrise hat sich die Kohleverstromung seit Mitte 2021 als günstigere Alternative zur Energieerzeugung erwiesen. Für die Erreichung der Klimaziele stellt das eine Gefahr dar, warnt der Thinktank Ember.

Gaskrise gefährdet die Klimaziele

kro Frankfurt

Die Krise auf dem europäischen Gasmarkt hat den langjährigen Rückgang bei der Kohleverstromung auf dem Kontinent laut einer Studie zuletzt deutlich ausgebremst. Im Vergleich zu 2019 habe sich der Anteil des CO2-intensivsten aller fossilen Brennstoffe an der EU-weiten­ Stromerzeugung im vergangenen Jahr nur um 3 % verringert, heißt es in einer Analyse der Londoner Denkfabrik Ember. Im gleichen Zeitraum zwei Jahre zuvor belief sich der Rückgang dagegen noch auf 29 %.

„Die Gaskrise stellt für die Energiewende in der EU einen Paradigmenwechsel dar“, kommentiert Studienautor Charles Moore die Ergebnisse. Bislang hätten die wachsenden erneuerbaren Energieträger in Europa vor allem Kohlestrom ersetzt. Wegen der explodierenden Gaspreise in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres hätten sie nun jedoch als günstigere Alternative für den vergleichsweise CO2-armen fossilen Energieträger herhalten müssen. Dadurch habe sich auch die Reduktion von Treibhausgasen verlangsamt. In der Folge lag die EU-weite Senkungsrate der vergangenen zwei Jahre mehr als 50 % unterhalb dessen, was es eigentlich bräuchte, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, das sich die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen auf der Pariser Klimakonferenz im Jahr 2015 auf die Fahne geschrieben haben.

Der Markt richtet es nicht

An vorderster Front in Sachen Treibhausgasreduktion stand laut der Studie zuletzt Spanien. Von 2019 bis 2021 ging die kohlebasierte Stromerzeugung in dem Land um 42 % zurück, während sich die Nutzung von Erdgas um 18 % reduzierte. Gleichzeitig gehört Spanien neben den Niederlanden zu den zwei Ländern mit dem stärksten Wachstum bei erneuerbaren Energien. So habe sich die Solarstromerzeugung in beiden Ländern seit 2019 verdoppelt. Der summierte Anteil von Wind und Fotovoltaik am Gesamt-Energiemix legte um rund 10 Prozentpunkte zu − Gleiches gilt für Griechenland.

Zusammengerechnet trugen die drei Länder somit mehr als die Hälfte zum EU-weiten Wachstum bei der Wind- und Solarstromerzeugung bei, obwohl sie nur für 16 % des Stromverbrauchs standen. Die Autoren führen dies auf die darauf abzielenden politischen Rahmenbedingungen, gesunkene Gestehungskosten und auf die ambitionierten Ziele der drei Mitgliedstaaten beim Grünstrom-Ausbau zurück. Bis 2030 wollen Spanien und die Niederlande etwa zwei Drittel des Strombedarfs durch Wind- und Solarenergie decken. In Griechenland sollen es 50 % sein.

„Gesetzgebungen sind der einzige Weg um sicherzustellen, dass Kohlekraftwerke bis 2030 geschlossen werden“, sagt Moore. „Die volatilen Gaspreise haben deutlich gemacht, dass man sich nicht allein auf Marktkräfte verlassen kann.“ Die Autoren gehen denn auch davon aus, dass sich die Gaskrise noch bis über das Jahr 2023 hinaus hinziehen könnte.

Polen verbrennt mehr Kohle

In Polen, dem größten Kohleförderer der EU, soll der Ausstieg aus der Kohleverstromung nach den Plänen der dortigen Regierung bis 2049 gelingen. In den vergangenen zwei Jahren verzeichnete Deutschlands Nachbar hier allerdings den EU-weit größten Anstieg von 7 %. Durch die verstärkte lokale Produktion ist das Land im August 2021 sogar nach 53 aufeinanderfolgenden Monaten vom Nettoimporteur zum Nettoexporteur von Strom geworden. In Irland wurde ebenfalls deutlich mehr Strom aus Kohle gewonnen.

Europaweit lag der Anteil fossiler Brennstoffe an der Stromerzeugung im Jahr 2021 noch bei 37 %. Das waren nur 2 Prozentpunkte weniger als 2019. Der Strombedarf selbst ist nach dem coronabedingten Einbruch im Jahr 2020 wieder in etwa auf das Niveau von 2019 gestiegen.