IT-Compliance

Low-Code wird zur Normalität

Low-Code-Angebote, bei denen Nutzer selbst Anwendungen programmieren, halten in immer mehr Unternehmen Einzug. Das bringt Herausforderungen in der IT-Compliance mit sich. Ohne genaue Vorgaben droht Wildwuchs.

Low-Code wird zur Normalität

Low-Code wird zur Normalität

In immer mehr Unternehmen programmieren Anwender selbst – IT-Abteilung muss den Überblick behalten

Von Sabine Reifenberger, Frankfurt

Fast jede Branche klagt über Fachkräftemangel, und die IT-Branche klagt besonders laut. Umso verlockender scheint die Aussicht, Anwendungen selbst programmieren zu können, ohne erst darauf warten zu müssen, dass die IT-Abteilung dafür Kapazitäten bereitstellt. In immer mehr Unternehmen halten sogenannte Low-Code/No-Code-Angebote Einzug. Diese ähneln – vereinfacht gesagt – einem Baukasten, bei dem einzelne Bauteile zu neuen Anwendungen zusammengefügt werden können.

Dieses Prinzip soll es Nutzern ermöglichen, sich auch ohne professionelle Programmierkenntnisse zurechtzufinden. „Das Thema hat in den vergangenen zwei Jahren deutlich an Fahrt aufgenommen“, beobachtet Karsten Merschjan, Associate Director und Experte für Low-Code/No-Code-Technologien bei Accenture. In Konzernen und dem großen Mittelstand habe sich fast jeder damit schon befasst. „Mindestens 70% der Firmen in dieser Größenordnung haben Low-Code-Technologien im Einsatz oder stehen vor dem Start.“

Das IT-Analysehaus Gartner sagt dem Bereich enormes Wachstum voraus: Der Markt für Low-Code-Entwicklungen werde allein in diesem Jahr um 20% wachsen, prognostiziert Gartner. Bis 2025 dürften nach Einschätzung des Analysehauses weltweit 70% aller Unternehmen neue Anwendungen mit Low-Code- und No-Code-Technologien entwickeln.

Cloud treibt Akzeptanz

Das Angebot nimmt ständig zu, und auch weit verbreitete Standardsoftware bietet vielfach schon die Möglichkeit, sie mit Low-Code-Anwendungen zu ergänzen: Die Walldorfer SAP hat im vergangenen Herbst eine Low-Code/No-Code-Initiative vorgestellt, und auch Wettbewerber aus den USA wie Salesforce und Workday setzen immer stärker auf Eigenentwicklungen der Kunden.

Neben den Low-Code-Initiativen der großen Softwareanbieter versprechen Low-Code-Plattformen wie Mendix, Outsystems oder Simplifier aus Würzburg einen einfachen Zugang zum Programmieren. Bei diesen Plattformen können Unternehmen individuelle Anwendungen frei entwickeln. Ein großer Treiber dabei ist die zunehmende Öffnung vieler Unternehmen für die Cloud – denn dort findet auch die Low-Code-Entwicklung statt. „Der Nutzen ist für ein Unternehmen mit Cloud-basierter IT-Infrastruktur deutlich größer. Durch den Zug in die Cloud gewinnt Low-Code weiter an Bedeutung“, sagt Merschjan.

Klare Vorgaben wichtig

Als klassische Anwendungsfälle für Eigenprogrammierungen gelten abteilungs- oder unternehmensspezifische Workflows, die über Low-Code-Angebote zügig erstellt werden können. Allerdings braucht es strenge Vorgaben, um Wildwuchs zu vermeiden. Eine Landschaft, in der Fachabteilungen nach eigenem Gutdünken und ohne zentrale Regeln Anwendungen erstellen, wäre ein Albtraum für IT-Verantwortliche.

Das Thema Governance ist für Sebastian Westphal, Fachvorstand Technologie bei der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG), der zentrale Punkt bei der Eigenentwicklung von Anwendungen. „Keinesfalls dürfen Insellösungen entstehen, die dann bei einer IT-Prüfung oder bei einer Prüfung durch den Wirtschaftsprüfer für unangenehme Überraschungen sorgen“, sagt er. Rechtliche Vorgaben für den sauberen Umgang mit Daten, Compliance-Mindeststandards sowie Freigabe- und Qualitätssicherungsverfahren für die entwickelte Software sollten in einem Low-Code-Angebot integriert sein, findet Westphal.

Auch technischer Support und regel-mäßige Updates sind für ihn wichtige
Kriterien. Ein gutes Angebot ist für ihn vergleichbar mit dem Spielzeug-
system von Lego: „Die Steine kann man unterschiedlich zusammensetzen, für Form und Größe aber gibt es strenge Vorgaben.“

IT eng einbinden

Merschjan rät Kunden, neue Low-Code-Angebote und -Plattformen einmal durch die IT-Abteilung genehmigen zu lassen. „Dann habe ich die Gewissheit, dass die Compliance-Vorgaben meiner IT erfüllt sind.“ Allerdings müssten insbesondere Themen wie Datensicherheit bei jeder Entwicklung mitgedacht werden. Um für Transparenz zu sorgen, setzt Merschjan auf eine zentrale Übersicht, bei der potenzielle Neuentwicklungen über einen zentralisierten Standardbogen erfasst und eingeschätzt werden. „Anhand der Fragen kann die IT erkennen, ob die Anwendung nur intern oder auch extern genutzt wird, wo möglicherweise datenschutzrechtliche Fragen beachtet werden müssen oder ob Schnittstellen zu anderen Software-Anwendungen benötigt werden.“

Westphal, der hauptberuflich als Global Head of ERP Operations and Transformation bei Swiss Post Solutions arbeitet, sieht Anwendungsmöglichkeiten für Low-Code/No-Code-Angebote gerade auch in Unternehmen, die im Gegensatz zu großen Konzernen keine umfassenden Kapazitäten für IT-Entwicklung bereitstellen können. Im eigenen Unternehmen könnte er sich vorstellen, beispielsweise im Controlling mit Eigenentwicklungen im Berichtswesen zu arbeiten oder Prozesse für Vertragsprüfungen zu vereinfachen. Voraussetzung: „Es müssen alle Governance-Fragen geklärt sein, und sämtliche Anwendungen müssen über die Unternehmens-IT steuerbar sein.“

Für die neuen Anforderungen müssten die Kollegen zudem geschult werden. Denn auch Low-Code-Anwendungen erschließen sich nicht unbedingt von allein. „Auch dafür muss man sich Wissen aneignen – aber das dauert eben nur Wochen und nicht mehrere Monate oder Jahre“, sagt Westphal.

Ohne Schulungen entsteht Frust

Ohne umfassende Schulungen entstehe im Umgang mit Low-Code-Anwendungen schnell Frust, beobachtet Merschjan. Auch müsse man sich bewusstmachen, dass Low-Code-Anwendungen keine IT-Entwicklungen ersetzen. „Die Beschäftigten, die sich an Low-Code-Entwicklungen heranwagen, haben ja alle schon einen Job.“ Dennoch könne es bei knappen Ressourcen helfen, bestimmte Themen über Low-Code-Technologien anzustoßen. „Wenn es zu komplex wird, kann immer noch ein IT-Experte übernehmen – vorausgesetzt, die bisherige Entwicklung ist sauber dokumentiert.“

Der Begriff „Low-Code“ sollte dabei niemanden dazu verleiten, das Baukastenprinzip mit „Low Quality“ zu assoziieren, mahnt Merschjan. „Die Anwendung ist zwar vereinfacht, dennoch sind das sehr performante Technologien, mit denen man durchaus komplexe Systeme bauen kann.“

Low-Code-Angebote, bei denen Nutzer selbst Anwendungen programmieren, halten in immer mehr Unternehmen Einzug. Das bringt allerdings Herausforderungen in der IT-Compliance mit sich. Ohne genaue Vorgaben droht Wildwuchs.

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