RECHT UND KAPITALMARKT

"Say on Pay" europaweit auf dem Vormarsch

Aktionäre börsennotierter Unternehmen erhalten mehr Mitspracherechte in der Managervergütung

"Say on Pay" europaweit auf dem Vormarsch

Von Hans-Ulrich Wilsing und Jeremy Parr *)Nach dem Grundkonzept des deutschen Aktienrechts ist allein der Aufsichtsrat für die Vergütung des Vorstands zuständig. Dies ist Ausfluss seiner Personalkompetenz und gehört zum Kernbereich seiner Tätigkeit. Aufgeweicht wurde dieses Grundkonzept erstmals 2009. Unter dem Eindruck der Finanz- und Wirtschaftskrise hat der Gesetzgeber der Forderung der Öffentlichkeit nach einer verstärkten Regulierung von Managergehältern mit dem Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) nachgegeben.Seitdem haben die Aktionäre deutscher börsennotierter Unternehmen die Möglichkeit, in der Hauptversammlung über die Billigung des Systems zur Vorstandsvergütung abzustimmen, auch bekannt als “Say on Pay”. Allerdings sind die Unternehmen bislang nicht verpflichtet, einen entsprechenden Beschluss auf die Tagesordnung zu nehmen. Im Übrigen ist das Votum der Aktionäre auf der Grundlage der Regelungen durch das VorstAG rein konsultativ und damit für den Aufsichtsrat rechtlich unverbindlich. Folge ist, dass der Aufsichtsrat in Vergütungsfragen zwar formal weiterhin letztverantwortlich, angesichts des öffentlichen Drucks faktisch jedoch an das Votum der Aktionäre gebunden ist.Konzeptionell einen ganzen Schritt weiter geht nun das “Gesetz zur Verbesserung der Kontrolle der Vorstandsvergütung und zur Änderung weiterer aktienrechtlicher Vorschriften”, das der Bundestag kurz vor der Sommerpause verabschiedet hat. Danach soll die Hauptversammlung börsennotierter Unternehmen zwingend jährlich über das Vergütungssystem für den Vorstand sowie über die maximal erreichbare Gesamtvergütung der Vorstandsmitglieder abstimmen. Damit aber nicht genug: Das Vergütungsvotum der Aktionäre soll für den Aufsichtsrat in Zukunft rechtsverbindlich sein. Dies bedeutet, dass ein echter Zustimmungsvorbehalt der Hauptversammlung im Hinblick auf das Vorstandsvergütungssystem geschaffen wird.Der hiermit verbundenen Zunahme an Kompetenzen der Hauptversammlung steht naturgemäß eine Schwächung der Position des Aufsichtsrats gegenüber. Konzeptionell ist mit der Neuregelung aber auch ein erheblicher Eingriff in das bestehende Grundkonzept des deutschen Aktienrechts und das historisch gewachsene System aus “checks and balances” der Gesellschaftsorgane Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptversammlung verbunden.Aus diesem Grund wurde die geplante Neuregelung, die noch der abschließenden Beratung im Bundesrat bedarf, vor allem in der Wissenschaft nahezu einhellig heftig kritisiert. Zum Teil hieß es sogar, nach dem VorstAG spiele der deutsche Gesetzgeber nunmehr erneut den “regulatorischen Musterknaben” in Vergütungsfragen. Er entferne sich damit zum Nachteil deutscher Unternehmen immer weiter von bestehenden Marktusancen in Europa. Blick über die GrenzenWie eine rechtsvergleichende Umschau zeigt, wird diese Sichtweise den aktuellen Rechtsentwicklungen in Europa nur bedingt gerecht. Zwar ist der Vorwurf in seinem Ausgangspunkt insoweit nicht ganz unberechtigt, als der deutsche Gesetzgeber im Vergleich zu anderen Ländern bereits mit dem VorstAG die Zügel bei der Vorstandsvergütung spürbar angezogen hat. Jedoch offenbart ein Blick über die Ländergrenzen hinweg: Jedenfalls den Aktionären börsennotierter Unternehmen werden immer weiter reichende Mitspracherechte in Fragen der Vergütung des Top-Managements eingeräumt.Kurzum, die Entwicklungen der vergangenen Monate zeigen, dass sich das Vergütungsvotum der Aktionäre börsennotierter Unternehmen europaweit auf dem Vormarsch befindet. Als Katalysator für diese Entwicklung dürfte vor allem die sog. Schweizer Abzockerinitiative gewirkt haben. Unter diesem Schlagwort waren im März dieses Jahres im Rahmen eines Volksentscheids Änderungen des Schweizer Aktienrechts durchgesetzt worden. Den Aktionären wurde das letzte Wort über die Vergütung der Mitglieder des Verwaltungsrats und der Geschäftsleitung eingeräumt. Allerdings dürfen die Aktionäre auch in der Schweiz zukünftig nicht über die individuelle Vergütung der einzelnen Verwaltungsratsmitglieder beziehungsweise Geschäftsleiter abstimmen. Gegenstand des für den Verwaltungsrat rechtsverbindlichen Vergütungsvotums wird allein das dem Verwaltungsrat zur Verfügung stehende Gesamtvergütungsbudget sein. Vorbehaltlich etwaiger Übergangsregelungen ist mit einem Inkrafttreten der neuen Regelungen ab dem Geschäftsjahr 2014 zu rechnen. Damit hätten Aktionäre in der Schweiz ab dem kommenden Jahr erstmals die Möglichkeit, unmittelbaren Einfluss auf die Höhe der Vergütung zu nehmen.Anders als in der Schweiz haben in Großbritannien Aktionäre börsennotierter Unternehmen schon seit dem Jahr 2002 deutlich mehr Mitspracherechte in Vergütungsfragen. Auf der Grundlage der Directors’ Remuneration Report Regulations können sie für jedes Geschäftsjahr über einen von der Verwaltung vorzulegenden Vergütungsbericht abstimmen. Unter der aktuellen Regelung ist das Aktionärsvotum allerdings nur konsultativ und bezieht sich ausschließlich auf die im abgelaufenen Geschäftsjahr gewährte Vergütung.Die rein retrospektive Beteiligung der Aktionäre war zunehmend kritisiert worden, was die britische Regierung im Frühjahr 2012 zu einem Konsultationsverfahren veranlasste. In Übereinstimmung mit dessen Ergebnissen wird die geltende Regelung nunmehr ab Oktober dieses Jahres durch einen bindenden Hauptversammlungsbeschluss über die anzuwendenden Vergütungsgrundsätze ergänzt.Einzuholen ist der Beschluss im Abstand von drei Jahren; bei zwischenzeitlichen Änderungen der Vergütungsgrundsätze ist eine frühere Beschlussfassung erforderlich. Begleitet werden diese Änderungen durch verschärfte Berichtspflichten der Verwaltung. Für Gesellschaften mit regulärem Geschäftsjahr greifen diese Pflichten bereits für die im laufenden Geschäftsjahr gewährten Vergütungen. Über die Vergütungsgrundsätze können Aktionäre erstmals in Hauptversammlungen ab Oktober dieses Jahres abstimmen.Die Schweiz und Großbritannien sind nicht die einzigen europäischen Staaten, die Aktionären die Möglichkeit eröffnen, mit bindender Wirkung über die Vergütung des Top-Managements abzustimmen. Rechtlich bindende Say-on-Pay-Beschlüsse gibt es auch in Schweden (seit 2006), Norwegen und Dänemark (beide seit 2007) sowie in den Niederlanden (seit 2004). Dabei ist zu beachten, dass es sich in allen Fällen um Best-Practice-Empfehlungen handelt, die mit entsprechender Begründung zur Disposition der Unternehmen stehen. Andere Länder, wie zum Beispiel Frankreich, sind in Sachen “Say on Pay” deutlich zurückhaltender. Ein rein konsultatives Aktionärsvotum wurde dort erst im Juni dieses Jahres im Zuge der Reform des Afep-Medef Corporate Governance Code eingeführt. Kein MusterknabeAls “regulatorischer Musterknabe” in Vergütungsfragen kann der deutsche Gesetzgeber im europäischen Vergleich demnach kaum bezeichnet werden. Vielmehr scheint in Europa länderübergreifend eine deutliche Tendenz zu mehr Aktionärsmitsprache zu bestehen, wenn es um die Vergütung des Top-Managements börsennotierter Unternehmen geht. Hiervon losgelöst ist die Frage zu beantworten, ob ein rechtlich bindendes Vergütungsvotum der Hauptversammlung in Corporate-Governance-Systemen mit monistischem und dualistischem Verwaltungssystem gleichermaßen erforderlich beziehungsweise zweckmäßig ist.Insoweit wäre auch mit Blick auf die vom Bundestag beschlossene Neuregelung des “Say on Pay” eine deutlich intensivere Auseinandersetzung des Gesetzgebers mit den Besonderheiten der Corporate Governance des deutschen Aktienrechts wünschenswert gewesen. Vor allem hätte dabei ein Blick auf unsere europäischen Nachbarn gezeigt, dass sich ein gesetzlich verankertes und mit bindender Wirkung ausgestattetes Vergütungsvotum aus gutem Grund bislang nur in monistischen Corporate-Governance-Systemen durchgesetzt hat.—-*) Dr. Hans-Ulrich Wilsing ist Partner und Leiter der deutschen Corporate Praxis, Jeremy Parr ist Partner und Global Head of Corporate von Linklaters.