Im InterviewBernhard Osburg, Wirtschaftsvereinigung Stahl

Strompreis wird zur Transformationsfalle für Stahlindustrie

Für Europas Stahlindustrie liegt die Zukunft in grünem Stahl. Ohne wettbewerbsfähige Strompreise kann die Transformation jedoch nicht gelingen, warnt Bernhard Osburg, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl.

Strompreis wird zur Transformationsfalle für Stahlindustrie

IM INTERVIEW: BERNHARD OSBURG

Grüner Stahl vervielfacht den Strombedarf

Der Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl fordert Entlastung bei den Energiekosten – Ohne wettbewerbsfähige Preise sei der Green Deal in Gefahr

Für Europas Stahlindustrie liegt die Zukunft in grünem Stahl. Doch für dessen Produktion wird ein Vielfaches an Strom benötigt. Ohne wettbewerbsfähige Strompreise endet die Transformation nach Einschätzung von Bernhard Osburg, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, bevor sie begonnen hat.

Die in Deutschland ansässigen Stahlhersteller haben aus Brüssel positive Beihilfebescheide zum grünen Umbau ihrer Anlagen erhalten oder stehen kurz davor. Jetzt kommt der nächste Ruf nach staatlicher Unterstützung, Stichwort: Industriestrompreis. Das sieht nach Fass ohne Boden aus. Rücken Sie die Dinge mal ins rechte Licht.

Im Kern geht es doch darum, den Weg in die grüne Stahlproduktion abzusichern und damit die Weichen für eine klimaneutrale Zukunft unserer Industrie und ihrer vielen Abnehmer zu stellen. Ohne Förderung wäre der Einstieg in die grüne Stahlproduktion im Vergleich zum internationalen Wettbewerb gar nicht machbar. Wir gehen raus aus der Kohle und elektrifizieren stattdessen. Strom wird für uns zum Energieträger der Zukunft. Wenn wir hier eine verzerrte Wettbewerbssituation inner- und außerhalb Europas haben, steuern wir in ein Szenario, in dem wir massiv in Vorleistung gehen, viel investieren, Tempo machen und all das trotz elementarer noch unklarer Rahmenbedingungen. Transformation heißt im Grunde Elektrifizierung, und das kann nur aufgehen, wenn die notwendige Elektrizität preislich wettbewerbsfähig ist.

Welchen Anteil an den variablen Kosten macht Elektrizität in der „alten“ Stahlwelt aus?

Hier muss man die beiden Wege der Stahlerzeugung unterscheiden. Der eine Weg ist die Elektrolichtbogenroute, bei der Stahl aus Schrott erzeugt wird. Auf dieser Route sind vornehmlich mittelständisch geprägte Unternehmen unterwegs. Diese Unternehmen sind dem hohen Strompreis heute schon massiv ausgesetzt. Die Elektrostahlhersteller haben in diesem Jahr schon 12% an Produktion verloren.

Wie sieht es auf der Hochofenroute aus?

Auf der Primärroute, auf der die Transformation mit Blick auf die CO2-Bilanz sehr viel relevanter ist, sieht es etwas anders aus. Heute erzeugen wir den benötigten Strom zum Großteil selbst. Er wird aus den Prozessgasen der Hochöfen generiert. Damit haben wir eine große Eigenstromproduktion. In meinem Unternehmen Thyssenkrupp Steel sind das fast 3,5 Terawattstunden.

Könnten Sie das mal in Relation stellen?

Ganz grob liegt der Energiekostenanteil für eine Bramme, ein Zwischenprodukt aus Stahl, heute bei 5%. In der neuen Welt mit einer Direktreduktionsanlage wird sich der Energiekostenanteil auf etwa 45% bis 50% erhöhen. Es ist also wesentlich, dass dieser Kostenblock nicht zu stark vom internationalen Wettbewerb abweichen darf.

Findet die grüne Transformation ohne Strompreisdeckelung nicht statt?

Wir gehen die Transformation bewusst und sehr konsequent an. Alle, angefangen bei der europäischen und deutschen Politik über die Unternehmen bis hin zur Gesellschaft, wollen eine neue, klimaneutrale Welt, die in sich wettbewerbsfähig ist. Aber dorthin müssen wir eine Brücke bauen, damit grüner Stahl seine Rolle als Fundament einer starken und CO2-freien Wirtschaft spielen kann.

Der Green Deal hängt massiv davon ab, ob es gelingt, einen Strommarkt zu schaffen, der wettbewerbsfähige Preise hergibt.

Bernhard Osburg

Und wenn nicht?

Wir bauen und realisieren als Gesellschaft Projekte in Milliardengröße, allein die Stahlindustrie investiert 30 Mrd. Euro in die grüne Transformation. Das macht aber nur Sinn, wenn der riesige Strombedarf – wir reden von einer Vervier- bis Verfünffachung allein bei der Primärroute im Vergleich zu heute – zu international wettbewerbsfähigen Kosten verfügbar ist. Der Preis muss nicht dort liegen, wo er weltweit gesehen am billigsten ist. Aber er muss so sein, dass wir im Wettbewerb mitschwimmen können. Die gesamte Idee des Green Deal hängt ganz massiv davon ab, ob es gelingt, in Deutschland und Europa einen Strommarkt zu schaffen, der diese wettbewerbsfähigen Preise hergibt.

Also ohne Industriestrompreis keine grüne Transformation?

In Übereinstimmung mit der Politik sind wir der Überzeugung, dass mit dem beschleunigten Zubau von regenerativen Energien die günstigeren Gestehungskosten am Ende des Tages bei den Verbrauchern und insbesondere den Großverbrauchern ankommen. Nur für die Zeit, bis ausreichend grüner Strom verfügbar ist, brauchen wir Entlastung auf der Energiekostenseite. Ansonsten büßen wir weiter an Wettbewerbsfähigkeit ein, und die geschwächten Unternehmen gelangen an einen Punkt, an dem sie nicht mehr wirtschaftlich arbeiten können. Das will niemand, denn zwei Drittel der deutschen Industrieproduktion sind stahlintensiv, zwei Drittel der Exporte sind stahlintensive Güter.

Sie sprachen es an: In der Elektros­tahlerzeugung ist die Produktion im bisherigen Jahresverlauf um 12% zurückgegangen. Ist das tatsächlich die Folge der hohen Energiekosten oder nicht vielmehr die Folge der konjunk­turellen Lage?

Es ist ein Effekt aus beidem. Es wird so sein, dass die konjunkturelle Lage sehr stark mit dem Strompreis zusammenhängt. Die Primärhersteller haben knapp 1% verloren, die Elektrostahlhersteller 12%, und das in vergleichbaren Märkten und Strukturen. Der konjunkturelle Effekt trifft uns beide, aber die Betroffenheit mit Blick auf die Stromkosten ist bei den Elektrostahlherstellern um ein Vielfaches höher. Es ist grotesk, denn es trifft mit den Elektrostahlunternehmen gerade die Produzenten mit einem schon heute deutlich kleineren CO2-Footprint.

Ohne gezielte Entlastungen werden wir die Transformation nicht leisten können.

Bernhard Osburg

Anders als die großen Chemiekonzerne, die am lautesten nach Strompreishilfen rufen, dürfte die Abwanderung für die Stahlindustrie nicht machbar sein. Was wäre die Folge?

Niemand will jetzt seine Siebensachen packen und anderswo wieder aufbauen. Aber ohne gezielte Entlastungen werden wir die Transformation nicht leisten können, denn sie muss bezahlt werden. Dafür brauchen wir gesunde, wirtschaftlich funktionierende Unternehmen, die auch dann noch Mühe haben werden, die hohen Investitionen zu stemmen. Das wird nicht gelingen, wenn wir in einer Dauerkrise verharren, in der wir die Margen, die wir für die Investitionen brauchen, gar nicht erwirtschaften können.

Gefühlt befindet sich die deutsche Stahlindustrie auch ohne Transformation schon seit Jahren in der Krise.

Aufgrund der hohen Energiekosten haben deutsche Stahlproduzenten geringere Exportchancen. Das Ausland ist schlicht nicht bereit, unser Energiekostendelta zu bezahlen. Zugleich zieht der europäische Stahlmarkt außereuropäische Wettbewerber an. Deshalb stammt mittlerweile jede vierte Tonne Stahl in der EU von Importen aus Drittländern.  

Ist die Stahlindustrie heute schon nicht mehr wettbewerbsfähig?

Unsere heimische Stahlindustrie ist technologisch führend, hocheffizient und -produktiv. Aber auf sie entfallen eben 30% der Industrieemissionen. 55 Millionen Tonnen CO2 jährlich, die wir einsparen können und die dann bei unseren Abnehmern gar nicht mehr ankommen werden. Unter den heutigen Rahmenbedingungen wird es aber nicht gelingen, die Welt grün zu gestalten. Vielmehr stehen unsere Mengen im Wettbewerb mit neuen grauen Mengen aus China, Indien und anderswo und drohen von diesen abgelöst zu werden. Dort werden heute noch neue Hochöfen errichtet, die mit fossiler Kohle arbeiten. Das ist nicht nur für unsere Wirtschaft eine fatale Situation, sondern auch für das Klima.

Ein Diskussionspunkt in der Debatte ist die Ausgestaltung der Beihilfe, damit sie mit EU-Recht konform ist. Einschlägige Rechtsgutachten halten das für unproblematisch. Die Realität mag anders aussehen. Wie ist Ihre Einschätzung dazu?

Es gibt in ganz Europa verschiedene Modelle der Strompreisförderung. Nach meinem Dafürhalten muss der gedeckelte Strompreis dort greifen, wo Unternehmen im globalen Wettbewerb stehen und hohe Energiekosten ihre Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen. Mit der richtigen Ausgestaltung des Förderinstruments kann die Unterstützung der energieintensiven Wirtschaft gelingen. Wo ein Wille, da ein Weg. Das hat die Strompreisbremse im vorigen Jahr gezeigt. Diesmal muss aber auch darauf geachtet werden, dass – anders als bei der Strompreisbremse – die betroffenen Unternehmen auch effektiv Zugang erhalten. Noch einmal: Es geht um den Erhalt energieintensiver Industrien in unserem Land – einem wesentlichen Kern unserer Wertschöpfung.

Das Interview führte Annette Becker.

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