Wann CEOs besser den Mund halten

Studie der Uni Stanford: Politik und Religion sind heikle Themen - Weniger Fettnäpfchen bei Umweltschutz

Wann CEOs besser den Mund halten

ds Frankfurt – Klappe aufmachen oder Mund halten? CEOs, die sich zu politischen oder sozialen Fragen öffentlich zu Wort melden, bewegen sich auf dünnem Eis. Sollten sich Topmanager ein Beispiel nehmen an Siemens-Chef Joe Kaeser, der öffentlich Stellung gegen die AfD bezog und andererseits im Lichte der Khashoggi-Krise lange wartete, bis er seine Teilnahme an einer Investorenkonferenz in Saudi-Arabien absagte?Die Meinungen darüber sind sehr geteilt. Für Aktionäre ist diese Frage zentral: Nutzen oder schaden politische Stellungnahmen des CEO dem Unternehmen? Sammeln Topmanager Punkte in der Gesellschaft und bei Kunden, wenn sie sich zu Themen abseits des Kerngeschäfts äußern? Forscher der Universität Stanford haben das untersucht und sind zu bemerkenswert klaren Befunden gekommen. Öffentlichkeit ist gespalten”Wir stellen fest, dass die Öffentlichkeit eine sehr gespaltene Meinung hat zu CEOs, die lautstark Positionen zu sozialen, ökologischen oder politischen Themen beziehen”, sagt David F. Larcker, Professor an der Stanford Graduate School of Business. “Während einige jenen CEOs applaudieren, die sich zu Wort melden, missbilligen andere das sehr stark.” CEOs könnten so zwar die Loyalität zu Beschäftigen oder Kunden stärken, aber gleichzeitig versehentlich wichtige Teile der Gesellschaft befremden. “Die Kosten für solchen CEO-Aktivismus könnten höher sein, als vielen Vorstandschefs, Unternehmen und Boardmitgliedern klar ist”, so Larcker.In den USA hat man deutlich mehr Erfahrung als hierzulande mit Top-Führungskräften, die sich zu gesellschaftlichen Themen äußern. Mancher eckt offensichtlich gewaltig an, wie die Stanford-Studie zeigt, für die im Sommer und Herbst 2018 in den USA 3544 Personen befragt wurden – repräsentativ nach Geschlecht, ethnischer Herkunft, Alter, Haushaltseinkommen und Wohnsitz.Der Erhebung zufolge stoßen sich etwa besonders viele Menschen daran, was Dan Cathy, CEO der Fastfoodkette Chick-fil-A, zum Thema gleichgeschlechtlich Ehe vom Stapel ließ. Mit politischen Äußerungen sammelte Charles Koch, CEO des Mischkonzerns Koch Industries, bei vielen Minuspunkte. Koch betätigt sich politisch im libertär-konservativen und rechtspopulistischen Lager als Unterstützer der Tea-Party-Bewegung. Auch Äußerungen zu sozialen Fragen aus den Mündern von Mark Zuckerberg (Facebook), Howard Schultz (Starbucks), Elon Musk (Tesla), Tim Cook (Apple), Jeff Bezos (Amazon), Bill Gates (Microsoft) und Doug McMillon (Walmart) kamen bei vielen Menschen überhaupt nicht gut an.Während zwei Drittel (65 %) der Öffentlichkeit der Meinung seien, dass die CEOs großer Unternehmen ihre Position und ihren potenziellen Einfluss nutzen sollten, um sich für soziale, ökologische oder politische Themen einzusetzen, sei ein Drittel (35 %) der gegenteiligen Ansicht, lautet ein weiteres Ergebnis der Erhebung. Jüngere weniger skeptisch Die Meinungen gehen je nach Alter der Befragten allerdings stark auseinander. Eine große Mehrheit (71 %) der Millennials (unter 38 Jahre) und zwei Drittel (63 %) der Generation X (39 bis 53 Jahre) befürworteten solchen CEO-Aktivismus. Baby Boomer (über 53 Jahre) dagegen sind eher skeptisch. Einer Zustimmungsquote bei den Älteren von 46 % stehen 54 % Ablehnung gegenüber.Insgesamt am ehesten geschätzt werden Äußerungen von CEOs zu Umweltfragen wie saubere Luft oder Wasser (78 %), erneuerbare Energien (68 %), Nachhaltigkeit (65 %) und Klimawandel (65 %). Auch Themen wie Gesundheitsversorgung (69 %), Einkommensungleichheit (66 %), Armut (65 %) und Steuern (58 %) werden generell positiv bewertet. Produktboykott drohtStatements zu Politik (33 % Zustimmung, 43 % Ablehnung, 24 % indifferent) und Religion (31 % Zustimmung, 45 % Ablehnung, 23 % indifferent) lösen in der Nettobetrachtung hingegen klar ungünstige Reaktionen aus.Auf die Frage nach konkreten Fällen, in denen die Befragten ihr eigenes Kaufverhalten aufgrund von CEO-Äußerungen geändert haben, war es der Stanford-Studie zufolge deutlich wahrscheinlicher, dass sich die Befragten an Produkte erinnerten, die sie aufgrund einer Äußerung des CEO nicht mehr oder weniger verwendet haben, als dass sie Produkte nennen konnten, die sie wegen einer Äußerung des CEO zu verwenden begannen oder häufiger verwendeten. Konkret konnten 35 % der Befragten ein Produkt oder eine Dienstleistung nennen, die sie weniger nutzen, während sich nur 20 % an ein Produkt erinnern konnten, dass sie häufiger nutzen.Die Befragten erklärten der Studie zufolge, dass Meinungsverschiedenheiten mit dem CEO über ein ökologisches, soziales oder politisches Thema dazu geführt hätten, dass sie ihre Ausgaben für die Produkte dieses Unternehmens im Durchschnitt um 50 % gesenkt hätten – statistisch betrachtet im Schnitt von 124 Dollar auf 62 Dollar pro Monat. Ganze 69 % behaupteten, dass sie das Produkt oder die Dienstleistung gar nicht mehr genutzt hätten. Umgekehrt erklärten die Befragten, dass ihre Zustimmung zu Äußerungen des CEOs zu einem ökologischen, sozialen oder politischen Thema dazu geführt hätten, dass sie ihre Ausgaben im Durchschnitt um 91 % erhöhten – von 80 Dollar auf 152 Dollar pro Monat. Schaden überwiegt Nutzen”Unternehmen müssen die demografische Struktur ihrer Mitarbeiter und Kunden beachten und herausfinden, ob ihre CEOs mehr Schaden oder Nutzen anrichten, wenn sie sich zu kontroversen Themen äußern”, schlussfolgert Brian Tayan, Corporate-Governance-Forscher an der Universität Stanford und Co-Autor der Studie.Drei Faustregeln lassen sich nach wissenschaftlicher Erkenntnis somit aufstellen: CEOs von Unternehmen mit jüngerer Zielgruppe können eher Punkte sammeln, wenn sie zu gesellschaftlichen Themen abseits des eigenen Geschäfts den Mund aufmachen. Bei Themen wie Umweltschutz, Gesundheit und Einkommensungleichheit läuft der Chef auch nicht so schnell Gefahr, ins Fettnäpfchen zu treten. Geht es um heiße Eisen wie Politik oder Religion, scheint es dagegen meist klüger, sich auf die Zunge zu beißen – zumindest, wenn man ökonomische Kriterien für die Entscheidung heranzieht, den Mund aufzumachen oder ihn lieber zu halten.