Lieferkettengesetz

Weltretter in den Startlöchern

Wie die Umsetzung des Lieferkettengesetzes gelingen und global Arbeits- und Lebensbedingungen nachhaltig verbessern kann, analysiert Johannes Weichbrodt von der Kanzlei Mayer Brown.

Weltretter in den Startlöchern

Die deutsche Wirtschaft muss sich ihrer Verantwortung für die weltweite Einhaltung der Menschenrechte stellen. Auf freiwilliger Basis haben das bisher einige, aber nicht genug Unternehmen getan. Daher ist das im Sommer beschlossene Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) richtig. Es verpflichtet Unternehmen einer bestimmten Größe, die in Deutschland eine Niederlassung oder ihren Sitz haben, menschenrechts- und umweltbezogene Risiken im eigenen Geschäftsbereich und bei Lieferanten vorzubeugen.

Dazu gehören u.a. ein Risikomanagement-System, Risikoanalysen, Präventions- und ggf. Abhilfemaßnahmen, ein Beschwerdemechanismus und weitgehende Dokumentationspflichten. Für Unternehmen ab 3000 Mitarbeitern in Deutschland gilt das Gesetz ab Januar 2023, für kleinere mit mehr als 1000 ein Jahr später. Spätestens dann müssen die Unternehmen ihren neuen Sorgfaltspflichten nachkommen. Sonst droht u.a. ein empfindliches Bußgeld von bis zu 2% des Jahresumsatzes.

Es bleibt ein knappes Jahr, um ein gesetzeskonformes Risikomanagement-System einzurichten. Wenig Zeit, besonders für Unternehmen, die bislang wenig Augenmerk auf Sozial- und Umweltstandards in ihrer Lieferkette gelegt haben.

Viele Unternehmen arbeiten bereits an der Umsetzung des Gesetzes, das aber noch eine Reihe von Unklarheiten enthält. Die zuständige Behörde wird deshalb Handreichungen herausgeben. Einstweilen müssen die Unternehmen aber ihr Risikomanagement ohne amtliche Hilfestellung bewerkstelligen. Das wird nicht immer einfach. Die vom Gesetzgeber veranschlagten jährlichen Mehrkosten von ca. 44 Mill. Euro und die Einmalkosten von über 100 Mill. Euro für die knapp 3000 betroffenen Unternehmen sind wohl auch zu niedrig bemessen.

Trotzdem ist Panik fehl am Platz. Denn die Unternehmen sind nur zu angemessenen Maßnahmen verpflichtet. Was angemessen ist, richtet sich nach Art und Umfang des Unternehmens, dessen Einfluss auf den Verursacher der Risiken, der Schwere der Verletzung und wie stark das Risiko auf das Unternehmen zurückgeht. Und das Gesetz verlangt nur ein Bemühen, Erfolg ist nicht geschuldet. Daraus ergibt sich, dass ein Handelsunternehmen mit hunderttausend Lieferanten anders an die Risikoanalyse herangehen darf als ein Monoprodukt-Hersteller mit wenigen Lieferanten.

Leider können manche schwere Risiken wohl kaum abgestellt werden, weil das rechtlich unmöglich ist. Wo Gewerkschaften verboten sind, kann ein deutscher Kunde nicht auf sie bestehen. Maßnahmen gegen chinesische Zulieferer steht u.U. das chinesische Anti-Sanktionsgesetz entgegen, das bei derartigen Einmischungen eines ausländischen Unternehmens dieses einem Boykott der chinesischen Wirtschaft aussetzen kann – was oft wirtschaftlichem Selbstmord gleichkäme.

Viele größere Unternehmen können auf eine Corporate-Social-Responsibility-Abteilung (CSR) zurückgreifen, die schon Prozesse zur Lieferantenanalyse implementiert hat, Zertifizierungen nutzt und andere Nachhaltigkeitsprojekte umgesetzt hat. Diese Unternehmen werden Vorteile u.a. bei der Risikoanalyse haben, dem ersten und schwierigsten Schritt der Umsetzungsmaßnahmen. Das Gesetz verpflichtet zu einer umfangreichen Bestandsaufnahme der menschenrechts- und umweltbezogenen Risiken, übrigens auch und gerade im eigenen Geschäftsbereich, bspw. eigene Fabriken im In- und Ausland. Für diese Unternehmen liegt der Kern der Umsetzung in einer umfassenden Gap-Analyse ihrer bisherigen CSR-Maßnahmen zum vom LkSG geforderten Standard. Dabei zeigt sich häufig, dass die Prozesse bisweilen schon recht gut sind, aber noch besser dokumentiert und kommuniziert werden müssen, um den Anforderungen des LkSG zu ge­nügen.

Wie der Bund helfen könnte

Mittelständlern ohne CSR-Abteilung fällt es schwerer, Lieferkettenrisiken zu bestimmen und zu priorisieren. Beschäftigt der malaysische Zulieferer Kinder oder werden dort Frauen benachteiligt? Selbst nachsehen ist nicht nur während Corona oft unmöglich. Jeden Zulieferer (z.B. vom TÜV) auditieren zu lassen ist weder praktikabel noch erforderlich. Ein gewisses Maß an Orientierung gibt z.B. ein Tool der vom Bund geförderten Agentur für Wirtschaftsethik. Der sog. KMU-Kompass soll Firmen bei der Risikoabschätzung und im Lieferkettenmanagement unterstützen. Er kann aber nur einen ersten Anhaltspunkt liefern. Es gäbe noch bessere Möglichkeiten: Außenhandelskammern (AHK) könnten helfen. Sie haben beste Kontakte vor Ort, zu Unternehmen, zu Gewerkschaften und NGOs. Die AHKs könnten sich auf einen einfachen, standardisierten Supplier-Screening-Prozess verständigen. Die Ergebnisse solcher Lieferantenprüfungen sollten öffentlich zugänglich sein.

Schließlich bleibt die Bundesregierung auch nach Verabschiedung des LkSG in der Pflicht. Sie muss durch ihr außenpolitisches Wirken darauf hinwirken, dass Menschenrechtsstandards weltweit eingehalten werden. Z.B., indem das Bundeswirtschaftsministerium Zertifizierungsstandards und -prüfungen durch die von ihm mitfinanzierten AHK fördert, etwa mit Mitteln für Personal. Das wäre ein weiterer Schritt, mit dem die Bundesrepublik und die deutsche Wirtschaft ihrer Verantwortung für die Menschenrechte in aller Welt besser nachkommen könnten.

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