GASTBEITRAG

Weniger ist in der Zwischenberichterstattung mehr - aber nichts ist keine Lösung

Börsen-Zeitung, 25.3.2020 Einzelne Emittenten aus der Dax-Familie erwägen, künftig auf Quartalsmitteilungen zum ersten und dritten Quartal (Q1/Q3) zu verzichten. Ihre Begründung im Kern: Der Mehrwert für ihre Adressaten sei aufgrund von in der Regel...

Weniger ist in der Zwischenberichterstattung mehr - aber nichts ist keine Lösung

Einzelne Emittenten aus der Dax-Familie erwägen, künftig auf Quartalsmitteilungen zum ersten und dritten Quartal (Q1/Q3) zu verzichten. Ihre Begründung im Kern: Der Mehrwert für ihre Adressaten sei aufgrund von in der Regel nicht vorhandenen Neuigkeiten gering. Hinzu komme, dass ausländische Peers in bestimmten Branchen auch nicht berichten würden. Zudem seien sie zurzeit an anderen Stellen mit steigenden Reporting-Belastungen konfrontiert. Dies binde erheblich zusätzliche Zeit und Ressourcen. Die Konsequenzen eines solchen Schritts wären gewichtig: Denn ohne die Mitteilungen zum ersten und dritten Quartal würden diese Unternehmen gemäß § 53 der Börsenordnung (BörsO) der Frankfurter Wertpapierbörse aus dem Prime Standard ausscheiden – und infolgedessen auch aus der Dax-Familie.Daran hat keiner ein Interesse: Nicht der Anleger, der sich für ein Wertpapier mit einem hohen Transparenzanspruch entschieden hat. Nicht die Börse, die als Handelsplattform für ein entsprechendes Qualitätsversprechen steht und in ihren Indizes die entsprechenden Unternehmen vertreten sehen möchte. Und auch nicht das einzelne Unternehmen selbst, das durch die Notiz in der Dax-Familie mitunter deutlich von der erhöhten Wahrnehmung im Anlegerkreis profitiert.Dass professionelle Kapitalmarktarbeit für Wertpapieremittenten von elementarer Bedeutung ist, da sie den Unternehmen die wirtschaftliche Grundlage ihres Handels liefert, wird auch von den oben genannten Unternehmen nicht bestritten. Die Frage lautet lediglich: Braucht es dafür auch Emittenten-Informationen zu Q1 und Q3?Zur Beantwortung der Frage gehe ich zunächst zurück ins Jahr 2015: In der letzten größeren Diskussion um das Thema unterjährige Berichterstattung vor fünf Jahren hat der DIRK (Deutsche Investor Relations Verband) mit Nachdruck den Standpunkt vertreten, dass es nicht um Menge, sondern um die Qualität der Informationen geht. Dementsprechend haben wir uns auch für die letztlich umgesetzte Regelung starkgemacht. Im Gegensatz zu den bis dahin verpflichtenden Quartalsberichten mit teilweise mehr als 80 Seiten (die kaum ein Mensch gelesen hat) reichen heute kurze Quartalsmitteilungen, in denen in Kürze die wesentlichen Informationen zum abgelaufenen Quartal dargestellt werden müssen.Heute sind regulatorischen Anforderungen an eine Quartalsmitteilung denkbar niedrig: Im Zweifel genügen lediglich qualitative Aussagen und ein Umfang von weniger als einer Seite. Diese Regelung hat sich in den vergangenen Jahren sehr gut bewährt und wird mittlerweile in der Financial Community voll anerkannt. Und das offenbar ohne wirkliche Qualitätseinbußen: Denn gemäß den Ergebnissen einer noch unveröffentlichten Studie der DVFA ist die Qualität der Quartalsveröffentlichungen seit Einführung der neuen Regelung auch aufgrund der Verschlankung – zumindest in weiten Teilen – gestiegen.Dass aber nichts eine Lösung sei, meinen nur die wenigsten. Auch im Ausland: Selbst in anderen europäischen Ländern, in denen keine Quartalsveröffentlichungspflicht besteht, berichtet die überwältigende Mehrheit der börsennotierten Unternehmen zu Q1 und Q3. In Großbritannien zum Beispiel sind es über 90 %. Hier ist das Format des sogenannten Trading Statement weit verbreitet. Auch dieses Informationsformat erfüllt die Anforderungen an eine Quartalsmitteilung.Gegen ein Nichtberichten zu Q1 und Q3 spricht auch der dann verhältnismäßig lange Berichtszwischenzeitraum: Wesentliche Abweichungen der tatsächlichen Entwicklungen von der Prognose – und damit vom Anlegerkonsens – wären von den Unternehmen ad hoc zu veröffentlichen. Bei einem Berichtsrhythmus von einem halben Jahr würde sich die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Fall eintritt, insbesondere in Branchen mit hohen saisonalen Schwankungen, erhöhen. Dies wiederum würde die Anleger verunsichern. Das kann nicht im Interesse der Emittenten sein. Wir brauchen also Emittenten-Informationen zu Q1 und Q3. Das ist auch der Tenor der DIRK-Mitglieder.Der DIRK hat im Rahmen der jüngsten Mitgliederversammlung im Februar 2020 die IR-Beauftragten seiner Unternehmensmitglieder nach ihren Prioritäten befragt. Dabei wurde neben der Beibehaltung der geltenden Regelung (mit der Folge, dass Unternehmen” die Q1/Q3 nicht mehr berichten, aus Prime Standard und Dax-Indizes ausscheiden) und der Streichung des § 53 BörsO (und damit der faktischen Abschaffung des Prime Standard) die Option vorgeschlagen, die Verpflichtung des § 53 BörsO beizubehalten, dafür aber die Notierung im Prime Standard als Voraussetzung für die Aufnahme bzw. den Verbleib in einem der Dax-Indizes aufzuheben. Letzteres würde bedeuten, dass Unternehmen, die zu Q1 und Q3 nicht berichten, zwar aus dem Prime Standard ausscheiden, aber in der Dax-Familie verbleiben würden.Das Ergebnis der Umfrage war eindeutig: Die Mehrheit der Unternehmen hält eine regelmäßige unterjährige Berichterstattung weiterhin für wichtig. Alle bis auf zwei der Befragten (n=44) sagen: Der § 53 BörsO sollte weiter gelten. An einer Verknüpfung der Index-Zugehörigkeit mit den Status Prime Standard halten die Unternehmen weniger strikt fest. Dabei taten sich MDax-Unternehmen mit einer Änderung der Indexregeln leichter (77 %) als die Small Caps. Von letzteren sprachen sich 80 % für die vollumfängliche Beibehaltung der aktuellen Regulationslage aus. Zumutbarer AufwandDarüber hinaus ergab sich auf dem abgefragten Stimmungsbild folgender Tenor: Aufgrund der sehr geringen Anforderung sei der Aufwand jedem Unternehmen zumutbar. Wer sich darauf beruft, diese Angaben nicht zur Verfügung zu haben, muss sich die Frage gefallen lassen, wie er denn sein Unternehmen führe. Das ist eine harte, aber klare Ansage.Die IR-Arbeit deutscher Unternehmen genießt insbesondere auch auf dem internationalen Parkett einen sehr guten Ruf. Dies unter anderem, weil wir so stringent, wohlorganisiert und regelmäßig berichten. Warum sollen wir diesen Reputationsvorteil grundlos gefährden?Im Vergleich zu Unternehmen aus dem Dax oder MDax ist die Zugehörigkeit zum Prime Standard für kleinere Unternehmen von erhöhter Bedeutung. Der Prime Standard ist für sie ein Qualitätssiegel und eine Tür, die ihnen – auch bei einer vergleichsweise geringen Marktkapitalisierung bzw. Liquidität – die Zugehörigkeit zur Dax-Familie ermöglicht. Eine Abschaffung der Index-Anforderungen wird von ihnen entsprechend negativ gesehen. Bei der Abschaffung der Prime-Standard-Notierung als Voraussetzung für die Notiz in der Dax-Familie müssten einige von ihnen den Unternehmen weichen, die bisher im General Standard notiert waren und eine höhere Marktkapitalisierung bzw. Liquidität ausweisen können.Ein weiterer und nicht zu unterschätzender Punkt ist: Die regelmäßige IR-Arbeit und mit ihr die regelmäßige Berichterstattung helfen, das Thema Kapitalmarktzugehörigkeit und ihre Bedeutung in den Unternehmen selbst zu verankern. Sie und der sich daran anknüpfende Austausch helfen, die Stimmungen und Erwartungen am Markt einzufangen und in das Unternehmen hinein zu kommunizieren. Diese Aufgabe zu erfüllen würde ungemein erschwert, wenn die Pflicht zur Abgabe von Quartalsmitteilungen entfiele.Auf der Grundlage dieser Argumente plädiert der DIRK weiterhin vehement für die Beibehaltung des § 53 BörsO in der aktuellen und in der Praxis bewährten Form! Sollte die Deutsche Börse eine Änderung der Indexregeln dahingehend beschließen, dass die Zugehörigkeit zum Prime Standard zukünftig keine Voraussetzung für ein Listing in einem der Dax-Indizes mehr sein wird, so hielte der DIRK dies für eine vorstellbare – wenngleich nicht präferierte – Vorgehensweise.Last but not least: Alle Welt macht sich Sorgen um die Zukunft des Kapitalmarkts. Wenn wir die Kultur nicht angemessen pflegen, ist diese Sorge berechtigt. In den vergangenen zehn Jahren (2010 bis 2019) hat sich die Zahl der an der Deutschen Börse gelisteten Unternehmen von 1 516 auf 656 mehr als halbiert. IPOs lassen auf sich warten. Und wer Kapital sucht, geht heute eher auf Private als auf Public Capital zu.Das hat zahlreiche Gründe: Neben des derzeit sehr hohen Liquiditätsangebots am Markt und der starken Anziehungskraft der Weltbörsen zählt der DIRK auch die zunehmende Überregulierung am Kapitalmarkt dazu. Daher wehren wir uns weiterhin gegen überzogene Regelungen auf gesetzlicher und regulatorischer Ebene! Aber bei der Suche nach Vereinfachung an einer Stelle anzusetzen, die sich in der Praxis erwiesenermaßen bewährt, erscheint nicht zielführend. Im Gegenteil: Damit würde man den Kritikern in die Hände spielen, die Emittenten eh für “Totalverweigerer” halten.Bei aller Uneinigkeit, die auch unter institutionellen Investoren hinsichtlich der Anforderungen an Emittenten herrscht – u. a. hinsichtlich der Definition guter Corporate Governance, zur Gestaltung der Vorstandsvergütung, zur zeitlichen Besetzung von AR-Mandaten -, sind auch sie sich einig: Auf quartalsweise Mitteilungen zu verzichten ist nicht zielführend. Zu Recht, wie ich finde. Kay Bommer, Geschäftsführer des DIRK – Deutscher Investor Relations Verband e.V.