Christian Stein

„Wir teilen uns das unterneh­merische Risiko“

Umsatzbasierte Finanzierung für Wachstumsunternehmen ist in den USA längst etabliert. Aber auch für Gründer in Europa hat Revenue-Based Financing Vorteile, erklärt Christian Stein, Partner von Riverside Acceleration Capital.

„Wir teilen uns das unterneh­merische Risiko“

Von Stefan Paravicini, Berlin

Als der US-Investor Riverside Acceleration Capital vor etwas mehr als einem Jahr mit dem Angebot umsatzbasierter Finanzierung für Wachstumsunternehmen in Europa startete, waren die Erwartungen vorsichtig optimistisch. „Die Europäer sind Fremdkapital gegenüber eher abgeneigt. Das Negativszenario war, dass die Gründer das ablehnen und Revenue-Based Financing (RBF) in Amerika bleiben wird. Wir haben uns deshalb kein konkretes Finanzierungsvolumen vorgenommen“, sagt Christian Stein, Partner bei Riverside, der das in Europa noch relativ neue Finanzierungsinstrument auch in Deutschland etablieren will.

Doch die Erfahrungen aus den ersten zwölf Monaten sind positiv: „Die Leute verstehen, wie wichtig es ist, unterschiedliches Kapital reinzuholen“, resümiert Stein. Viele Marktteilnehmer hätten zwar noch wenig Kenntnis von Revenue-Based Financing oder noch gar nie davon gehört. „Aber vor allem die Gründer verstehen sofort, dass sie ihre Freiheit wiedergewinnen und mehr Optionen behalten, wenn sie in einer frühen Phase keine Anteile abgeben müssen“, beschreibt Stein einen der wesentlichen Vorteile von umsatzbasierter Finanzierung für Start-ups in einer frühen Wachstumsphase.

Drei Finanzierungen in Deutschland mit jeweils siebenstelligem Volumen hat Riverside Acceleration Capital bereits abgeschlossen, in Europa sind es mittlerweile zwölf. Dazu zählt unter anderem Casavi, ein Anbieter von Immobilien-Verwaltungs-Software aus München. Softwareunternehmen, die im Software-as-a-Service (SaaS)-Modell verlässlich modellierbare Umsätze generieren, stehen im Fokus von Riverside Acceleration Capital und den meisten anderen Anbietern von RBF.

In den nächsten zwei bis drei Jahren will die Investmentfirma ihr Engagement in Europa deutlich ausbauen. Angaben über die Größe des von der US-Börsenaufsicht SEC regulierten Investors und genaue Renditeerwartungen macht Stein nicht. In der Datenbank des Informationsdienst Crunchbase findet man zwei Fonds von Riverside Acceleration Capital, die zusammen knapp 230 Mill. Dollar eingesammelt haben, wobei der RAC II, der im August 2019 angekündigt wurde, knapp 180 Mill. Dollar schwer ist.

In den USA ist RBF längst etabliert und Riverside Acceleration Capital gehört mit mehr als 40 Finanzierungen in den vergangenen fünf Jahren zu den etablierten Kräften im Markt. Das Informationsportal Techcrunch zählte zuletzt knapp 60 Fonds, die mehr als 4 Mrd. Dollar für RBF-Finanzierungen eingesammelt haben. Nach Einschätzung von Marktbeobachtern wurde 2020 in den USA ein Finanzierungsvolumen von 2 Mrd. Dollar mit RBF gestemmt. Bis 2027 trauen sie dem Markt ein jährliches Wachstum von durchschnittlich mehr als 60% auf ein Volumen oberhalb von 40 Mrd. Dollar zu. „Vor etwa fünf Jahren war Revenue-Based Financing in den USA ein großer Trend, mittlerweile ist es dort eine gelernte Art der Finanzierung in einem fast schon wieder reifen Ökosystem“, beobachtet Stein.

In Europa backt nicht nur Riverside Acceleration Capital bislang noch kleinere Brötchen. „Das Modell ist wahnsinnig einfach“, sagt Stein, der vor seinem Wechsel zu Riverside mehr als zwölf Jahre Erfahrung mit klassischem Venture Capital gesammelt hat. „Wir investieren zwischen 1 Mill. und 5 Mill. Euro und wollen dafür je nach Unternehmen, Situation und Risikoprofil zwischen dem 1,5- bis 1,9-Fachen des Einsatzes zurück. Dieses Geld holen wir uns über eine Umsatzbeteiligung, die wir in den meisten Fällen zwischen 2% und 7% festlegen, damit die Finanzierung in vier bis fünf Jahren zurückgezahlt wird.“ Es handle sich um langfristiges Kapital wie Venture Capital, und auch die Rückzahlungscharakteristik sei für ein junges Unternehmen von Vorteil, erklärt Stein. „Wenn das Unternehmen einmal nicht so gut läuft, bedeuten 4% von weniger Umsatz auch weniger Rückzahlung. Wir teilen uns das unternehmerische Risiko. Das ist echtes Venture Capital, obwohl wir keine Anteile nehmen“, wirbt Stein für umsatzbasierte Finanzierung.

Das Modell mag einfach sein, Selbstläufer ist es keines, wie man zuletzt bei dem Berliner Fintech Remagine festgestellt hat, das sein Ende 2020 gestartetes Angebot von Revenue-Based Financing nach wenigen Monaten zumindest vorläufig wieder zurückgezogen hat und sich bis auf Weiteres auf ein Firmenbankangebot für Start-ups fokussiert. Mit Uplift1 bietet ein anderes Jungunternehmen aus Berlin weiterhin Revenue-Based Financing an.

„Ich erwarte, dass sich die Landschaft weiter ausdifferenziert“, sagt Stein. Neben einem Venture-Capital-ähnlichen Modell wie bei Riverside hätten sich bereits kurzfristigere umsatzbasierte Finanzierungen von Working Capital etabliert. „Auch Revenue-Based Financing funktioniert nicht nach dem Prinzip ‚One Size Fits All‘“, sagt Stein. Er sieht in RBF kein besseres oder schlechteres Instrument als Venture Capital (VC), sondern ein neues Finanzierungsangebot, das für Start-ups in bestimmten Situationen besser passt als der klassische VC-Ansatz. „Es gibt ganz unterschiedliche Unternehmen und deshalb brauchen wir auch ein ausdifferenziertes Finanzierungsangebot“, erklärt der gelernte Wirtschaftsinformatiker, der seine Karriere selbst als Gründer startete, später in die Beratung wechselte und sich 2007 der VC-Seite anschloss.

Mehr Optionen für Gründer

„Ich habe irgendwann gemerkt, dass der ‚Cookie-Cutter-Ansatz‘ nur auf einen kleinen Teil des Marktes anwendbar ist und man viel differenzierter auf unterschiedliche Situationen antworten muss“, sagt Stein, der vor seinem Wechsel zu Riverside den staatlich geförderten Risikokapitalgeber Coparion aufgebaut hat, den Schritt zur Erweiterung des klassischen VC-Modells.

Mittlerweile stünden Nachwuchsunternehmen neben Venture Capital auch in Europa unter anderem Venture Debt, Revenue-Based Financing zur Finanzierung von Wachstum und Working Capital sowie in wenigen Einzelfällen auch klassische Bankdarlehen zur Verfügung, sagt Stein. Vor zehn Jahren hätten von diesen fünf Finanzierungsinstrumenten für die meisten Gründer in Europa vier noch nicht in Reichweite gelegen. „Das ist eine gute Nachricht, und wir wollen einen signifikanten Teil zu dieser Entwicklung beitragen“, sagt der Riverside-Partner.