Tarek Robbiati

„Wir werden aggressiver auf Kundenfang gehen“

Der CFO von Hewlett Packard Enterprise äußert sich im Gespräch zu den Nebenwirkungen der Cloud, dem Bewertungsrückstand gegenüber anderen Tech-Unternehmen und der höheren Vorratshaltung in der Chipkrise.

„Wir werden aggressiver auf Kundenfang gehen“

Von Sebastian Schmid, Frankfurt

Mit der Coronakrise hat sich für die meisten IT-Dienstleister ihr ohnehin schon gut laufendes Geschäft im Grundsatz zwar weiter beschleunigt. Zuletzt sorgten allerdings gemischte Zahlen verschiedener Tech-Unternehmen unter den Anlegern für Ernüchterung. Vor allem die globalen Halbleiterengpässe, die Experten noch bis 2023 als ständigen Begleiter erwarten, bremst die Unternehmen in ihren Ambitionen. So ist Hewlett Packard Enterprise (HPE) in den ersten neun Monaten zwar um 3% gewachsen. Allerdings hätte das Unternehmen auch mehr Umsatz erzielen können, „wie man an unserem Auftragseingang sieht, der um 11% zugelegt hat“, erzählt CFO Tarek Robbiati im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.

Halbleitermangel erwartbar

Vom Halbleitermangel sei HPE nicht überrascht worden. „Wir hatten das erwartet, denn die Pandemie hat die Produktionsnetzwerke und Lieferketten dazu gezwungen, zu schrumpfen und das weltweit“, sagt Robbiati. Vor der Pandemie seien die Lieferketten primär auf ihre Kosten optimiert worden. „Woher etwas geliefert wurde, war im Prinzip egal.“ Heute sei die Lage eine andere. Lieferketten müssten neben Kosten auch auf Geschwindigkeit und Resilienz optimiert werden. Das Produktionsnetzwerk von HPE sei sehr weit verzweigt mit Produktionszentren in verschiedenen Weltregionen. Diese müssten pünktlich mit den richtigen Teilen versorgt werden. „Wir haben früh realisiert, dass das ein Problem werden könnte und haben uns daher entschlossen, die Vorratshaltung substanziell hochzufahren“, so der CFO. Innerhalb eines Jahres seien die Vorräte um 1,3 Mrd. Dollar „über das normale Level“ hochgefahren worden. Das höhere Niveau plant Robbiati mindestens für die erste Hälfte 2022 zu halten.

Digitalisierung keine „Wahl“

Trotz der Herausforderungen bleibt der Finanzchef für die mittelbare Zukunft zuversichtlich. Zwar sei das Umsatzniveau noch nicht zurück auf dem Level von vor der Pandemie. „Das Momentum ist aber gut und ich blicke optimistisch auf die kommenden 12 bis 24 Monate angesichts der anhaltend starken Nachfrage nach IT-Infrastruktur.“ An einem Punkt, an dem sich die Nachfrage bereits abflacht oder diese gar nach unten geht, sei der Markt noch nicht. Und das gelte nicht nur mit Blick auf das sich füllende HPE-Orderbuch. Wichtiger sei, dass wirklich jeder sein Geschäft digitalisieren müsse. „Es gibt überhaupt keine andere Wahl. Das ist ein strategischer Imperativ. Wenn uns die Pandemie eines gezeigt hat, dann dass Unternehmen widerstandsfähig sein müssen, um nicht von externen Events auf dem falschen Fuß erwischt zu werden“, ist Robbiati überzeugt.

Bei allen Vorteilen, die Cloud-Anwendungen bieten, sieht Robbiati Software as a Service nicht für jedes Geschäftsmodell als geeignet an. Die großartige Erfahrung der Cloud komme mit fünf Nebenwirkungen. „Die erste ist der Verlust der Datensouveränität. Man weiß nicht mehr genau, wo die Daten sind und das ist für manche Geschäfte entscheidend“, sagt der HPE-Manager, der vor seinem Wechsel zu dem amerikanischen IT-Dienstleister Finanzvorstand der mittlerweile von der Telekom übernommenen US-Mobilfunkgesellschaft Sprint war.

„Ein zweites Problem ist, dass die Performance für die Nutzererfahrung einiger Firmen essenziell ist. Die Cloud wird allerdings nie schnell genug sein, um für Anwendungen, die eine minimale Latenz erfordern, in Frage zu kommen.“ Beispielhaft nannte er autonom fahrende Autos. „Man kann sich unmöglich darauf verlassen, dass Informationen zuverlässig und schnell genug zwischen Fahrzeug und der Cloud ausgetauscht werden. Die Intelligenz muss im Auto sein.“

Eine dritte Herausforderung sei das Thema Cybersicherheit, da Unternehmen von verschiedenen Seiten immer öfter im Kern ihres Geschäfts angegriffen und von einer Unterbrechung ihres Geschäfts bedroht werden. Ein viertes Problem der Cloud seien steigende Kosten. „Es scheint zwar zunächst attraktiv, lediglich ein paar Euro im Monat für einen Cloud-Dienst zu zahlen, aber wenn die Zahl der Nutzer und der Preis steigen, kann das schnell sehr teuer werden.“ In den USA stellten dies gerade viele Unternehmen fest, die frühzeitig auf die Cloud gesetzt hätten, so Robbiati. Hinzu komme als fünfte Herausforderung, operative Kontinuität sicherzustellen. „Wie geht das, wenn man sich voll auf die Cloud verlässt?“

HPE erwartet aus diesen Gründen, dass die Bedeutung hybrider IT-Infrastrukturen in den kommenden Jahren wieder wachsen wird. „Wir sehen, dass immer mehr Unternehmen sich mit bestimmten Teilen ihres Geschäfts wieder aus der Cloud zurückziehen“, erklärt er. „Viele Start-ups starten in der Cloud, weil sie da schnell skalieren können. Dann werden sie größer und realisieren, wie viele Daten und Kosten sie haben und entscheiden sich, einiges aus der Cloud zurückzuholen.“

Allerdings nimmt auch bei HPE der Anteil planbarer Umsätze stetig zu. Im dritten Quartal des bis Ende Oktober laufenden Geschäftsjahres stiegen die jährlich wiederkehrenden Erlöse (ARR) um 33% und damit etwa zehnmal so schnell wie der Konzernumsatz. Die durchschnittliche Service-Vertragslaufzeit liegt bei HPE laut Robbiati zwischen drei und fünf Jahren. Dabei ist die Bruttomarge auf das rekordhohe Niveau von 34,7% gestiegen. „Ich denke, es gibt deutlich mehr Potenzial“, zeigt sich der CFO überzeugt. „Unser As-a-Service-Geschäft kommt heute schon auf eine deutlich höhere Bruttomarge als unser gesamtes Geschäft.“

Halbiertes Multiple

Am Aktienmarkt hat HPE damit zum Unmut Robbiatis zuletzt kaum reüssiert. „Wir haben unser Ergebnis je Aktie binnen drei Jahren verdoppelt, aber unser Kurs ist unverändert. Das bedeutet, unser Multiple hat sich halbiert und das ist natürlich höchst frustrierend für uns.“ Der Markt bevorzuge derzeit Wachstumswerte gegenüber Value-Investments. „Aber das ist eben die Realität, der wir uns stellen müssen. Ich denke nicht, dass sich das kurzfristig ändern wird.“ Um die Bewertung zu drehen, müsse HPE ein Wachstumsunternehmen werden. „Erst wenn wir mehr Wachstum liefern können, wird unser Aktienkurs stärker zulegen.“

Das wachstumsstarke Geschäft mache mittlerweile gut ein Viertel der Erlöse aus (siehe Grafik). Das beginne sich jetzt auch konzernweit bemerkbar zu machen und werde mit zunehmender Größe noch mehr der Fall sein. „Das Geschäft ist schon sehr ordentlich gewachsen. Aber wir werden mit Blick nach vorne noch aggressiver auf Kundenfang gehen. Denn die Möglichkeiten sind derzeit sehr groß.“

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.