J&J-Put

Überzogene Zinserwartungen

Im Grunde genommen ist die Sachlage an den Anleihemärkten, d. h. bei den US-Staatsbonds­ und Bundesanleihen, ziemlich klar: Eigentlich müssten die Zinsen, d. h. die Anleiherenditen, steigen. So ist auch die Auffassung vieler Zinsanalysten. Mit...

Überzogene Zinserwartungen

Im Grunde genommen ist die Sachlage an den Anleihemärkten, d. h. bei den US-Staatsbonds­ und Bundesanleihen, ziemlich klar: Eigentlich müssten die Zinsen, d. h. die Anleiherenditen, steigen. So ist auch die Auffassung vieler Zinsanalysten. Mit dem Eigentlich ist das aber so eine Sache.

In den USA wurde zum Jahreswechsel ein 900 Mrd. Dollar schweres Konjunkturpaket auf den Weg gebracht, der neue Präsident Joe Biden legte nach. Nun sollen es US-Konjunkturhilfen von 1,9 Bill. Dollar werden – schuldenfinanziert natürlich. Das damit ansteigende Risiko in Form immer höherer Verschuldungen müsste zu höheren Zinsforderungen als Entgelt führen. Allerdings wird die US-Notenbank Fed den Kurs der neuen Finanzministerin Janet Yellen, die die Notenbank bis 2018 führte und dann an Jerome Powell abgab, wohl kaum über höhere Leitzinsen konterkarieren. Im Gegenteil: Yellen kann sich der Schützenhilfe von Powell sehr sicher sein. Powell wird über niedrige Leitzinsen und Bondkäufe quasi zu einer Zinskurvenkontrolle übergehen und die enormen Kraftanstrengungen des US-Finanzministeriums zu günstigen Konditionen ermöglichen. Das ist der J&J-Put. Einem gewissen Aufwärtsdruck der US-Renditen, der auch in der Eurozone zu spüren wäre, wird somit schnell die Luft ausgehen.

Aber nicht nur in den USA gibt es gigantische Konjunkturprogramme. Auch weltweit und speziell in der Eurozone bringen die Staaten(gemeinschaften) umfangreiche Hilfen auf den Weg, um der pandemiebedingten Wirtschaftsmisere zu begegnen. Hinzu kommt, dass die Impfprogramme angelaufen sind, die im Zeitablauf selbstredend zu einer gewissen Impfquote führen und dann sukzessive ein Hochfahren des privaten und öffentlichen Lebens sowie der Wirtschaftstätigkeit auslösen sollten. Unternehmen sollten zurückgestellte Investitionen nachholen, was Preisanstiege bei Investitionsgütern auslösen sollte. Private Haushalte konsumieren womöglich wieder mehr, es könnte Nachholeffekte nach Monaten des Lockdowns geben. Auch das sollte die Teuerung, die in der Eurozone im Dezember noch leicht im Minusbereich lag, befeuern. Mancher Analyst hält es sogar für möglich, dass die hohen Ersparnisse der vergangenen Monate in Freude über die Rückkehr des normalen Lebens ein Stück weit abgebaut werden, was die Inflation zusätzlich antreiben sollte. Diese Gemengelage würde für höhere Zinsen etwa im Euroraum sprechen. Anleiherenditen sollten das vorwegnehmen und somit steigen – eigentlich.

Zu berücksichtigen ist, dass die Europäische Zentralbank (EZB) die Konjunkturprogramme der Staaten genauso wie die Fed begleiten wird – und das noch geraume Zeit. Sollten die Impfprogramme womöglich nicht die gewünschte Wirkung zeigen, sollten die Firmen nicht wie erwartet ihre Zurückhaltung sofort ablegen und sollten Haushalte womöglich nicht den Konsum erheblich steigern, ist damit zu rechnen, dass sich die erhofften Wirkungen an der Inflationsfront nicht einstellen. Hinzu kommt, dass – vielfach unbemerkt – die EZB längst zu einer faktischen Zinskurvensteuerung übergegangen ist, wie auch die Commerzbank-Zinsstrategen festhalten, nur hat sie es noch nicht so formuliert. Die günstigen Finanzierungsbedingungen müssten erhalten werden – preserving favourable financing conditions –, hat EZB-Präsidentin Christine Lagarde wiederholt klargestellt. Gut möglich, dass die EZB krisenbedingt noch nachlegen muss. Dann wird aus dem Zinsanstieg erst recht nichts.

Und mal ehrlich: So mancher im geldpolitischen Rat der EZB wäre doch froh, wenn die Teuerung mal Richtung Zielwert von um die 2% gehen würde. Da ist doch nicht ernsthaft mit einem Abwürgen via höhere Leitzinsen zu rechnen. Zudem sollte berücksichtigt werden, dass viele Investitions- und Konsumeffekte einmaliger Natur sein werden und sich damit nicht zum dauerhaften Inflationstreiber entwickeln. Des Weiteren wird in Unternehmens- und Konsumentenkreisen auch die Unsicherheit hoch bleiben. Es wird dann gespart. Auch an den Märkten bleibt die Unsicherheit hoch und damit die Nachfrage nach sicheren Assets bestehen. Das hält den Renditeanstieg auch im Zaum. Zudem darf nicht unbeachtet bleiben, dass Renditeanstiege schnell Käufer auf den Plan rufen, etwa wenn im zehnjährigen Bundbereich wieder eine positive Rendite eingestrichen werden kann. Auch diese Käufe bremsen Renditeanstiege ab oder kehren sie um.

Es ist also sehr wahrscheinlich, dass aus dem vielfach prognostizierten nachhaltigen Inflations- und Renditeanstieg wieder nichts wird. Das war auch bei der Subprime-/Bankenkrise und der Staatsschuldenkrise schon so.

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