Luftfahrt

Airlines wollen bis 2050 klimaneutral fliegen

Die Luftfahrtindustrie hat sich verpflichtet, bis 2050 klimaneutral zu sein, doch der Weg dahin könnte sehr steinig werden. Schnelle oder gar billige Lösungen gibt es nicht.

Airlines wollen bis 2050 klimaneutral fliegen

Von Lisa Schmelzer, Frankfurt

Ryanair-Chef Michael O’Leary hat den schnellsten Weg hin zu einer nachhaltigeren Luftfahrt-Industrie schon gefunden: „Fliegen Sie alle mit Ryanair statt mit den großen Luft-Verschmutzern wie British Airways oder Lufthansa“, rief er kürzlich den Zuhörern bei einer Luftfahrt-Konferenz zu. „Denn unsere Flugzeuge sind sehr gut gefüllt, wir verschwenden keinen Platz für eine Business Class, Langstreckenflüge haben wir nicht und wir sind mit den neuesten, emissionsärmsten Flugzeugen unterwegs.“

Ganz so einfach ist es leider nicht. Die Luftfahrtindustrie hat sich kürzlich verpflichtet, 2050 klimaneutral zu sein, doch der Weg dahin könnte sehr steinig werden. Zumal die Branche für die Zeit nach der Pandemie von Wachstum ausgeht, so dass die Emissionen zunächst einmal weiter steigen dürften. Auch der Anteil an den weltweiten Gesamtemissionen – derzeit bei rund 2% – dürfte ansteigen, wenn andere Branchen den Ausstoß von klimaschädlichen Gasen gleichzeitig reduzieren. Wobei der Anteil von rund 2% deutlich geringer ist, als die Debatte über die luftverschmutzende Airline-Industrie es vermuten ließe. „Die Wahrnehmung unserer Branche ist nicht gut”, stellt denn auch der Chef des weltweiten Airlineverbandes IATA, Willie Walsh, fest. Man sei zwar nur für gut 2% der globalen CO2-Emissionen verantwortlich, stehe aber dennoch ganz vorn in der Kritik von Klimaschützern und nachhaltigkeitsbewegten Kapital-Anlegern, ergänzt der Chef der Flugsicherungsbehörde Eurocontrol, Eamonn Brennan. Seiner Ansicht nach besitze die Branche einen sehr konkreten Plan für den Weg zur Klimaneutralität – verkaufe diesen aber sehr schlecht nach außen.

Zu den Instrumenten, die die Airlines nutzen wollen, gehörten neue Technologien und nachhaltige Kraftstoffe ebenso wie eine effizientere Steuerung der Verkehrsflüsse. Schnelle oder gar billige Lösungen gibt es aber nicht. Der frühere British-Airways-Chef Walsh ist sich der Dimension der Aufgabe bewusst: „Es wird Billionen von Dollars kosten, die Luftfahrt CO2-neutral zu machen.”

Schon der simpelste Lösungsvorschlag, die Beimischung nachhaltig produzierten Kerosins (SAF), braucht voraussichtlich viele Jahre bis zur breiten Umsetzung. Airlines wie die Lufthansa, die sich SAF-Kontrakte über 250 Mill. Euro gesichert hat, stehen aber schon heute unter Druck. Denn ihre Geschäftskunden fragen immer stärker Möglichkeiten zum Emissionsausgleich nach und wollen auch Daten zum Ausstoß. Auch wird immer häufiger der Ruf nach klimaneutralen Tickets laut. Der aktuell größte Hebel, um CO2 einzusparen, sind neue Flugzeuge. Sie verbrauchen im Vergleich zu Vorgängermodellen bis zu 30% weniger Treibstoff und stoßen entsprechend weniger CO2 aus. Lufthansa beispielsweise investiert rund 2 Mrd. Euro jährlich in die Erneuerung ihrer Flotte und wird bis zum Jahr 2030 rund 180 Kurz-, Mittel- und Langstreckenflugzeuge in Betrieb nehmen. „Allein in den nächsten drei Jahren sparen wir rund 1 Mill. Tonnen CO2 durch neue Flugzeuge“, heißt es bei der deutschen Airline-Gruppe.

In den Kinderschuhen

Mittel- und langfristig setzt die Branche bei ihrem Ziel, Klimaneutralität zu erreichen, dennoch vor allem auf nachhaltig erzeugtes Kerosin, denn Flugzeuge, die ohne Kerosin auskommen, wird es so schnell nicht geben.  Die erwartete Größe der Industrie im Jahr 2050 wird es laut IATA nötig machen, 1,8 Gigatonnen Kohlenstoff aus dem Kreislauf zu nehmen.

„Ein mögliches Szenario sieht vor, dass 65 % davon durch nachhaltige Flugkraftstoffe gemindert werden. Wir gehen davon aus, dass neue Antriebstechnologien wie Wasserstoff für weitere 13% sorgen werden. Weitere 3% entfallen auf Effizienzsteigerungen. Der Rest könnte durch Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (11%) und Kompensationen (8%) bewältigt werden“, rechnete der IATA-Präsident bei der Jahrestagung im Herbst in Boston vor.  Die tatsächliche Aufteilung und der Weg dorthin würden davon abhängen, welche Lösungen zu einem bestimmten Zeitpunkt am kosteneffizientesten sind.

Dafür, dass den nachhaltig erzeugten Kraftstoffen schon bald eine derart große Bedeutung zukommen soll, steckt deren Entwicklung und Produktion noch in den Kinderschuhen. Kürzlich wurde im Emsland eine erste Pilotanlage für Kerosin aus Windstrom eröffnet. Der Regelbetrieb ist für das erste Quartal 2022 geplant, dann sollen dort pro Tag acht Fässer voll Rohkerosin produziert werden – die dann erzeugte Jahresmenge reicht gerade mal für einen Flug von Frankfurt nach Singapur. 

Ein Problem ist die Verfügbarkeit von erneuerbaren Energien. Alle Branchen versuchen, mit Hilfe von regenerativen Energien ihre Dekarbonisierung voranzutreiben. Längst ist ein Wettbewerb um diese Ressourcen ausgebrochen. Experten appellieren deshalb an die Politik, auch Verfahren unter Einbeziehung fossiler Energieträger zu akzeptieren, um etwa den CO2-Ausstoß der Flugzeuge schrittweise zu reduzieren, anstatt sofort die Einsparungen von 80% anzustreben, die Schätzungen zufolge durch den Einsatz der alternativen Treibstoffe möglich sind. Zudem sind die neuen Flugbenzine noch sehr teuer; in Studien wird bisher von einem Kostenniveau für E-Kraftstoffe von rund 5 Euro pro Liter ausgegangen. Der Preis für herkömmliches Kerosin liegt unter 50 Cent pro Liter.

Die IATA spricht beim Thema nachhaltiges Kerosin von einer „enormen Herausforderung“, denn will man Klimaneutralität erreichen, müsste die Produktion von aktuell rund 100 Mill. Litern auf rund 449 Mrd. Liter im Jahr 2050 gesteigert werden. Der Verband hält es für möglich, mit „angemessener  staatlicher Unterstützung“ die SAF-Produktion bis 2025 auf voraussichtlich knapp 8 Mrd. Liter (2% des gesamten Kraftstoffbedarfs) zu steigern. Schritt für Schritt soll die Herstellung ausgeweitet werden auf eine SAF-Produktion von 449 Mrd. Liter oder 65% des gesamten Kraftstoffbedarfs bis 2050. Für Zuversicht sorgte kürzlich die Ankündigung der USA, die Versorgung mit SAF bis 2030 auf 11 Mrd. Liter zu erhöhen. Zudem gibt es Willensbekundungen großer Energieversorger, „in naher Zukunft“ Milliarden von zusätzlichen Litern SAF zu produzieren.

Die Airline-Branche fordert gebetsmühlenartig „wettbewerbsfähige Preise“ und sieht dabei staatliche Stellen in der Pflicht. Eine Idee, für die auch die Lufthansa wirbt, ist die Erhebung einer Klimagebühr bei den Passagieren, die in den Ausbau der SAF-Produktion fließen könnte. Allerdings müsste diese so gestaltet sein, dass die europäischen Airlines nicht benachteiligt wären. Möglich wäre das beispielsweise, wenn die Gebühr abhängig vom Zielort ist und nicht das Umsteigen etwa an nichteuropäischen Flughäfen berücksichtigt. 

Allzu viel Zeit haben die Fluggesellschaften in Sachen nachhaltiger Treibstoff nicht mehr, denn der jüngst vorgelegte Klimaplan der EU sieht vor, dass es für Airlines eine verpflichtende, sukzessiv steigende Beimischungsquote für das nachhaltige Kerosin geben soll. Der Prozentsatz dafür steigt schrittweise von 2% im Jahr 2025 auf 63% im Jahr 2050. Derzeit ist die Beimischungsquote technisch mit 50% begrenzt, es laufen aber Versuche von Airbus, dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR, Rolls-Royce und dem Treibstoffhersteller Neste mit 100% nachhaltigen Treibstoffen.

„Besondere Risiken“

Die Ratingagentur Moody’s machte kürzlich für die Branche wegen der von der EU-Kommission in ihrem „Fit -for-55“-Klimaplan vorgesehenen Maßnahmen „besondere Risiken“ aus. Die Lufthansa rechnet vor, dass bis 2030 Mehrkosten von 2 bis 2,5 Mrd. Euro jährlich auf  das Unternehmen zukommen könnten – und das bei einem Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) von im Durchschnitt rund 1,6 Mrd. Euro „in den sehr erfolgreichen Jahren“ 2010 bis 2019. Laut Analysehaus Bernstein werde alleine der im EU-Klimaplan vorgesehene Wegfall der kostenlos zugeteilten Emissionszertifikate die Kosten für den Emissionshandel in der Branche vervierfachen.

Deutlich schneller als mit nachhaltigem Kerosin wäre ein geringerer Ausstoß von schädlichen Gasen zu schaffen, wenn ein einheitlicher europäischer Luftraum verwirklicht werden würde. Dieses ist allerdings seit Jahren trotz einhelliger Forderungen nicht gelungen. Bei einer effizienten und deregulierten Organisation der Flugsicherungen könnten aus seiner Sicht bis zu 20% Kerosin gespart und 95% der Verspätungen beseitigt werden, sagte Ryanair-Chef O’Leary. Dies könne man schnell umsetzen, wenn die Staaten denn mitziehen würden.

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