RECHT UND KAPITALMARKT

Blindflug mit Übernahmeangeboten

Entscheidungen über die Änderungen von Offerten unter Druck - Arbitrageure, Online-Broker und ETF als Herausforderungen

Blindflug mit Übernahmeangeboten

Von Hartmut Krause *)Das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) ist vor mehr als 15 Jahren in Kraft getreten. In der Rechtswissenschaft gilt es als ein gelungenes Werk des Gesetzgebers, das einer Vielzahl von Übernahmevorhaben einen rechtlichen Rahmen gegeben, den jeweiligen Betroffenen Rechtssicherheit geschenkt und sich in der Praxis bewährt hat. Wer mit der Beratung von Übernahmevorhaben befasst ist und Erfahrungen mit den übernahmerechtlichen Rahmenbedingungen in anderen EU-Mitgliedstaaten gesammelt hat, wird diese Einschätzung jedoch nicht uneingeschränkt teilen. Unter Praktikern mit diesem Erfahrungshorizont gilt das rechtliche Umfeld in Deutschland als vergleichsweise schwierig. Nicht zu Unrecht wird darauf verwiesen, dass in Deutschland selbst solche Übernahmeangebote gescheitert sind, bei denen die gebotene Gegenleistung nach allgemeiner Einschätzung professioneller Kapitalmarktteilnehmer angemessen bis großzügig war. Die InnovationenSucht man nach den Gründen, fällt auf, dass Bieter, die ihr Übernahmevorhaben erfolgreich abschließen wollen, in Deutschland vor vergleichsweise schwierige Herausforderungen gestellt sind. Diese Herausforderungen waren bereits im WpÜG aus dem Jahr 2002 und der bald danach etablierten Verwaltungspraxis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) angelegt, sind jedoch inzwischen wegen dreier Innovationen am Kapitalmarkt deutlicher zu Tage getreten: Erstens haben sich Investoren etabliert, die sich auf Merger-Arbitrage spezialisiert haben, d. h., noch nach der Ankündigung eines Übernahmeangebots Aktienpakete zusammenkaufen und auf eine Erhöhung der Gegenleistung oder eine noch höhere Abfindung im Rahmen eines späteren Squeeze-outs oder anderer Integrationsmaßnahmen spekulieren. Zweitens stehen Online-Broker zur Verfügung, die breiten Kreisen einen günstigen und schnellen Zugang zum Kapitalmarkt vermitteln und nicht nur bei Assetmanagern, sondern auch in der herangewachsenen technologieaffinen Generation von Privatanlegern großen Zuspruch finden. Und drittens haben passiv gemanagte Investmentfonds (ETF), deren Anlageziel darin besteht, die Wertentwicklung eines Börsenindex möglichst präzise abzubilden, einen wahren Siegeszug angetreten. Ungewissheit gestiegenDie vielleicht schwierigste Herausforderung: Bieter, die den Vollzug ihres Angebots vom Erreichen einer (qualifizierten) Mehrheitsbeteiligung abhängig gemacht haben, wissen regelmäßig auch kurz vor Ende der Annahmefrist noch nicht, ob ihr Angebot Erfolg haben wird oder nicht. Dies hat mehrere Gründe:Aktionäre, die günstig eingestiegen sind und einen sicheren Gewinn realisieren wollen, verkaufen ihre Aktien an der Börse – sie entziehen sich damit dem Risiko, dass das Angebot scheitern könnte, verzichten aber gleichzeitig auf die Chance, einen noch höheren Gewinn einzustreichen, wenn der Bieter die Gegenleistung erhöht. Aktionäre, die die Chance auf Erhöhung der Gegenleistung ausreizen wollen und das Risiko nicht scheuen, dass das Angebot scheitern könnte, halten sich regelmäßig alle Optionen offen und entscheiden erst am letzten Tag, manchmal erst in den letzten Stunden der Annahmefrist, ob sie das Angebot annehmen oder nicht. Selbst Privatanleger können sich so verhalten, wenn sie – etwa über einen Online-Broker – schnellen Zugang zum Kapitalmarkt haben.Passiv gemanagte Fonds, die einen Index wie den Dax, den MDa oder einen vergleichbaren Index abbilden, entscheiden sich in der Regel überhaupt nicht – jedenfalls nicht während der Annahmefrist, die das für das Erreichen der Akzeptanzschwelle maßgebliche Zeitfenster definiert: Die Fonds, die den Index physisch (das heißt über ein Portfolio der im Index vertretenen Aktien) nachbilden, können sich von den Aktien der Zielgesellschaft sinnvollerweise nur dann trennen, wenn sie hinreichend sicher sind, dass die Gesellschaft kurzfristig aus dem Index herausfällt. Dies wird in der Regel nur geschehen, wenn das Übernahmeangebot vollzogen wird. Dann nämlich hält der Bieter eine Mehrheitsbeteiligung, und die Marktkapitalisierung des Streubesitzes ist typischerweise für den Index zu klein. Ob das Angebot Erfolg hat und vollzogen wird, weiß der Fondsmanager aber am letzten Tag der Annahmefrist genauso wenig wie der Bieter. Fonds, die die Wertentwicklung des Index synthetisch (das heißt über Swaps) abbilden, haben bei Übernahmeangeboten regelmäßig überhaupt nichts zu entscheiden – im Regelfall halten sie keine Aktien der Zielgesellschaft. Was kann ein Bieter angesichts der Unsicherheiten tun, um seine Erfolgschancen zu verbessen? Grundsätzlich bestehen drei Möglichkeiten: Er kann die Annahmeschwelle senken, die Gegenleistung erhöhen oder beide Maßnahmen kombinieren. Jeder dieser Fälle ist eine Änderung des Angebots, der die Veröffentlichung einer Ergänzung der Angebotsunterlage erfordert. Diese Veröffentlichung muss spätestens einen Tag vor Ablauf der Annahmefrist erfolgt sein. In anderen Worten: Zwischen der Veröffentlichung der Änderung und dem Ablauf der Annahmefrist müssen mindestens 24 Stunden liegen. Erhebliche KonsequenzenGenau hier liegt das Problem: Die Entscheidung über die Änderung des Angebots muss hiernach spätestens am vorletzten Tag der Annahmefrist, wenn nicht noch früher, getroffen werden. Weil jedoch die Annahmeerklärungen der verkaufswilligen Aktionäre regelmäßig erst am letzten Tag der Annahmefrist eingehen, muss der Bieter quasi im “Blindflug” entscheiden, ob und wie er sein Angebot ändern will.Entscheidet sich der Bieter dafür, das Angebot zu ändern, hat dies für ihn erhebliche Konsequenzen:Erstens verlängert sich die Annahmefrist um zwei Wochen. Folglich haben die Aktionäre Zeit, auf die Änderung zu reagieren und sich gegebenenfalls umzuentscheiden. Aktionäre, die bislang gezögert haben, können in der verlängerten Frist noch annehmen. Aber auch Aktionäre, die das Angebot schon angenommen haben, können sich umentscheiden und von der Annahme zurücktreten.Von diesem Rücktrittsrecht wird freilich kaum Gebrauch gemacht. Aktionäre, die das Angebot bereits vor der Änderung als attraktiv empfunden haben, werden kaum Gründe haben, dies anders zu sehen, wenn die Gegenleistung erhöht wird. In der Praxis ist es auch nicht erforderlich, von der Annahme zurückzutreten, um das Angebot sogleich wieder zu den verbesserten Konditionen anzunehmen. Zwar schuldet der Bieter nach dem Wortlaut des Gesetzes eine erhöhte Gegenleistung nur den Aktionären, die das Angebot annehmen, nachdem die entsprechende Ergänzung der Angebotsunterlage veröffentlicht ist. Jedoch haben bisher alle Bieter zugesagt, die erhöhte Gegenleistung allen Aktionären zu bezahlen, die das Angebot angenommen haben – gleich zu welchem Zeitpunkt. Nach den faktischen Gegebenheiten können sie gar nicht anders: Bei der Abwicklung über Clearstream lässt sich nicht unterscheiden, welche Aktionäre das Angebot vor und welche es nach der Erhöhung angenommen haben.Zweitens kann der Bieter sein Angebot nicht noch einmal ändern. Der Schuss muss also ins Schwarze treffen. Schon in den letzten Jahren sind verschiedene Angebote so zur Zitterpartie geworden – McKesson etwa scheiterte bei Celesio im ersten Anlauf, ACS konnte die Hürde bei Hochtief nur ganz knapp überspringen. Es gibt weitere Beispiele. Anderswo praktikablerDie Abhängigkeit des Bieters davon, dass er die Konditionen seines Angebots im Blindflug richtig ändert, ist eine Eigenheit des deutschen Übernahmerechts. In anderen EU-Mitgliedstaaten kann der Bieter, der die Akzeptanzschwelle verfehlt, innerhalb kurzer Frist entscheiden, ob er das Angebot gleichwohl gegen sich gelten lassen und den Aktionären ihre Aktien abkaufen will – eine praktische Regelung, die es den verkaufswilligen Aktionären ermöglicht, sich zu einem attraktiven Preis von ihren Titeln zu trennen, auch wenn ein erheblicher Teil ihrer Mitaktionäre in der Zielgesellschaft investiert bleiben will. Es wäre bestimmt nicht verkehrt, wenn der deutsche Gesetzgeber darüber nachdächte, diese Regelung bei Gelegenheit zu übernehmen.—-*) Dr. Hartmut Krause ist Partner von Allen & Overy.