WAS BLEIBT VON "MADE IN GERMANY"?

Compliance erfordert Kulturwandel

Volkswagen unter Reformdruck - Ethische Dimension von Regeln wird in vielen Unternehmen unterschätzt

Compliance erfordert Kulturwandel

Von Sabine Wadewitz, FrankfurtEs ist ein Freundschaftsdienst unter Konkurrenten, der seinesgleichen sucht und als Signal weit über die Branche hinausgeht. Daimler überlässt in einem wohl einmaligen Fall seine Compliance-Vorzeigefrau Christine Hohmann-Dennhardt dem durch den Abgasskandal in Misskredit geratenen Volkswagen-Konzern und demonstriert, dass die gesamte deutsche Autoindustrie einen Imageschaden befürchtet und zusammensteht, um diesen so schnell wie möglich zu beheben.VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch hatte den obersten Daimler-Kontrolleur Manfred Bischoff darum gebeten, die frühere Verfassungsrichterin vorzeitig gehen zu lassen, damit sie bei der Aufarbeitung von Dieselgate unterstützt und dafür sorgt, dass Compliance-Regeln eingehalten werden. Im Wolfsburger Automobilkonzern war die Verantwortung für Recht und/oder Compliance bislang nicht explizit auf Vorstandsebene angesiedelt – so wie in vielen anderen Unternehmen. Es gibt keine gesetzlichen Vorschriften, wie Compliance-Systeme zu organisieren und zu strukturieren sind. Zu wenig RessourcenVW folgt Konzernen wie Daimler und Siemens, die im Zusammenhang mit Korruptionsaffären erstmals für Compliance einen separaten Aufgabenbereich in der obersten Führungsriege einrichteten. So kam Hohmann-Dennhardt 2011 zu Daimler, nachdem der Konzern einen langen Rechtsstreit wegen Schmiergeldzahlungen in den USA beigelegt hatte. Die Juristin baute ein System auf, das Rechtsverstöße verhindern soll, unter anderem durch ein Whistleblower-System. Während Siemens die Themen Recht und Compliance inzwischen bei Vorstandschef Joe Kaeser verankert und das 2007 eigens aus der Taufe gehobene Vorstandsressort Ende 2013 wieder abgeschafft hat, hat Daimler “Integrität und Recht” nach dem Weggang von Hohmann-Dennhardt neu besetzt und die bisherige Leiterin der Rechtsabteilung, Renata Jungo Brüngger, mit dieser Verantwortung in den Vorstand bestellt.Vor allem der Siemens-Korruptionsskandal hatte den Blick auf das Thema Compliance geschärft und die Risiken von Missständen vor Augen geführt – für Berater und Anwälte seitdem eine große Spielwiese. Kein Unternehmen kann es sich erlauben, seine Standards für gute Unternehmensführung und seine internen Kontrollmechanismen nicht ständig zu überprüfen. Doch wie Umfragen belegen, ist man noch nicht überall am Ziel.Nach einer Studie der Kanzlei CMS Hasche Sigle hat fast die Hälfte der großen deutschen Unternehmen die personellen und finanziellen Compliance-Ressourcen in den vergangenen Jahren erhöht. Gleichwohl halten sich nur 42 % der Befragten für gut ausgestattet. Nicht einmal ein Drittel der Firmen hat eine eigenständige Compliance-Abteilung. Doch die Unternehmen sehen sich unter wachsendem Druck: durch zunehmende Regulierung, verschärfte Haftung und ein strengeres Durchgreifen der Behörden. Druck kommt aber nicht allein von staatlicher Seite: Für Unternehmen wird es immer wichtiger, den Geschäftspartnern ein eigenes Compliance-System nachweisen zu können. Frage der Risiko-AbwägungCompliance ist als Thema angekommen, ob es gelebt wird, steht auf einem anderen Blatt. Der Großteil der Unternehmen betrachtet es immer noch als größte Herausforderung, bei Mitarbeitern wie Management ein echtes Bewusstsein für die ethische Dimension zu etablieren, damit das Einhalten von Regeln kein Lippenbekenntnis bleibt.Mit dem VW-Skandal dürfte sich auch der Blick auf die wichtigsten Compliance-Risiken neu fokussieren. Denn bei Großkonzernen stehen bislang die Vermeidung von Korruption und das Einhalten des Kartellrechts im Mittelpunkt, während im Mittelstand Datenschutz Priorität hat. Produkthaftung wurde aber auch bislang schon als zweitwichtigstes Compliance-Risiko eingestuft (siehe Grafik). Ja-Sager unerwünschtEinen Kulturwandel hat inzwischen auch der neue VW-Konzernchef Matthias Müller ausgerufen. Es gehe darum, offener zu diskutieren, enger zusammenzuarbeiten und Fehler zuzulassen. Der ehemalige Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch, der nun als Aufsichtsratschef die Aufarbeitung des Skandals vorantreiben soll, nannte im ersten Fazit drei Faktoren als Ursachen für die Misere: Es habe “individuelles Fehlverhalten” einzelner Mitarbeiter gegeben, “Schwachstellen” in den Prozessen und in einigen Bereichen eine Haltung, Regelverstöße zu tolerieren. Strukturen und Denkweisen müssten sich nun im Konzern ändern. Das Top-Management werde künftig weniger zentralistisch führen.Auch wenn in Wolfsburg betont wird, dass der Vorstand von den Manipulationen nichts gewusst habe, ist keineswegs sicher, dass die Führungsriege aus dem Schneider ist. Aus Sicht von Anwälten wird es entscheidend für die Haftungsfrage sein, ob die Compliance-Strukturen bei VW effizient waren. Seit dem vielbeachteten Urteil des Landgerichts München gegen den ehemaligen Siemens-Finanzchef Heinz-Joachim Neubürger ist klar, dass der Vorstand auch in Unkenntnis von Fehlverhalten schadenersatzpflichtig wird, wenn die Compliance-Systeme unzureichend ausgestaltet wurden. Sollte sich dies bewahrheiten, dürfte es schwierig werden, Ersatzansprüche abzuwehren.