mRNA-Impfstoff

Der mühsame Kampf um den Patenterhalt

Im Kampf um Patente stehen sich forschende Pharmaindustrie und Generikahersteller unversöhnlich gegenüber. Das verwundert nicht, geht es doch um viel Geld.

Der mühsame Kampf um den Patenterhalt

Von Annette Becker, Düsseldorf

Gut ein Jahr ist es her, dass der mRNA-Impfstoff aus dem Labor der Mainzer Biontech die Zulassung der Europäischen Kommission erhielt. Nur wenige Wochen später begann die Diskussion über die Freigabe der Impfstoffpatente. Bis heute gibt es zu diesem Thema auf Ebene der Welthandelsorganisation WTO keine Einigung.

Während die Debatte um die Impfstoffpatente besonders laut und öffentlichkeitswirksam geführt wird, gehört der Kampf um den Patenterhalt in der forschenden Pharmaindustrie allerdings zum Tagesgeschäft. Ganz weit abstrahiert bestehe das Geschäftsmodell der Pharmaforscher darin, Patente zu erarbeiten, sagt ein Patentrechtsexperte. Umgekehrt besteht das Geschäftsmodell der Generikahersteller darin, Patente zu umgehen oder kaputtzumachen. Beide Seiten sind daher entsprechend ausgestattet, um vor Patentgerichten über den Schutz des geistigen Eigentums zu streiten.

Der Thrombosehemmer Xarelto, das umsatzstärkste Medikament aus der Pharma-Pipeline von Bayer, ist dafür ein Paradebeispiel. Ende Oktober hatte das Europäische Patentamt eine erstinstanzliche Entscheidung aus dem Jahr 2018 aufgehoben und gewährt dem Medikament in seiner am breitesten genutzten Dosierung nun bis Januar 2026 – und damit zwei Jahre länger als bislang er­wartet – Schutz vor Nachahmerkonkurrenz.

Doch was auf den ersten Blick wie eine weitreichende Errungenschaft aussieht, entpuppt sich bei Lichte besehen nur als Etappensieg. Denn das Schutzrecht kann auf der Ebene einzelner EU-Länder erneut angegriffen werden.

Nach Einschätzung von Dorian Immler, der bei Bayer die Abteilung Patents Pharma & Consumer Health leitet, dürften im kommenden Jahr einzelne Generikahersteller versuchen, das Schutzrecht erneut vor Gericht auszuhebeln, vorzugsweise in Deutschland und Großbritannien. „Deutschland und das Vereinigte Königreich genießen im Patentrecht eine extrem hohe Reputation. Deshalb sind gerichtliche Auseinandersetzung mit Generikaherstellern in diesen Ländern besonders häufig. Denn man hofft, mit einem positiven Entscheid in anderen Ländern vergleichbare Entscheidungen zu erlangen“, erläutert Immler.

Langer Weg zur Vermarktung

Den größten Schutz vor Konkurrenz bietet das Stoffpatent, das wie jedes Patent 20 Jahre läuft. Allerdings steht das Wirkstoffpatent am Beginn des Lebenszyklus eines Medikaments und läuft von daher auch am frühesten ab. Das ist insofern ein Problem, als in der Regel viele Jahre ins Land ziehen, bevor ein Medikament auf den Markt kommt. Nach Angaben des Verbands der forschenden Arzneimittelhersteller (VFA) vergehen zwischen Projektbeginn und Markteinführung im Durchschnitt mehr als 13 Jahre. Das heißt, mehr als die Hälfte der Patentlaufzeit ist vergangen, bevor das Produkt erstmals Geld einspielt. Zwar gibt es neben dem Stoffpatent weitere Patente wie das Formulierungs- oder das Verfahrenspatent, die im Laufe der Medikamentenentwicklung angemeldet werden, sie haben jedoch einen deutlich engeren Schutzbereich. Damit die Pharmaindustrie dennoch zur Forschung ermuntert wird, gibt es daher in vielen Ländern Regelungen, die eine Patentlaufzeitverlängerung um längstens fünf Jahre ermöglichen.

In diesen Genuss kommen grundsätzlich jedoch nur Produkte, die auch ein staatliches Zulassungs­verfahren durchlaufen müssen – also vornehmlich Pharmazeutika. An­schließend kann nochmals ein halbes Jahr herausgeholt werden, sofern Studien mit Kindern durchgeführt werden. Da diese Studien aus Sicht der forschenden Industrie in der Regel ein Zuschussgeschäft sind, haben manche Länder ein entsprechendes Anreizsystem geschaffen, um den pädiatrischen Einsatz zu ermöglichen.

Beispiel Xarelto: Der Stoffschutz für Rivaroxaban begann im Jahr 2000 und lief folglich in vielen Ländern, darunter auch in China, im Dezember 2020 ab. In Europa dagegen läuft der Stoffschutz für Xarelto bis 2023 und wurde letztlich mithilfe einer pädiatrischen Studie bis April 2024 verlängert. „Solange der Wirkstoff geschützt ist, kann grundsätzlich kein Generikahersteller das Patent umgehen“, erklärt Immler.

Für eine bestimmte Formulierung und Darreichungsform läuft der Schutz für Xarelto nun sogar bis Januar 2026. Um einen Wirkstoff herum kann also ein ganzes Patentportfolio aufgebaut werden. Den Vorwurf des Evergreenings will Immler jedoch nicht gelten lassen: „Das Patentsystem hat eine weitere positive Wirkung, über die oft wenig gesprochen wird. Die Patente werden spätestens anderthalb Jahre nach ihrer Anmeldung veröffentlicht, wodurch ein enormer öffentlicher Wissenstransfer stattfindet.“ Das heißt, von diesem Zeitpunkt an, ist der Wirkstoff für jeden einsehbar.

Zwar räumt Immler ein, dass in dem Patent in der Regel mehrere Substanzen aufgeführt sind, so dass der Leser nicht auf den ersten Blick erkennt, welche Substanz der Medikamentenkandidat ist. Gerade für Generikahersteller dürften die Patentveröffentlichungen jedoch zur Pflichtlektüre gehören. Häufig beginnen sie mit der Publikation der Patente an den Nachahmerprodukten zu arbeiten.

Hinausschieben birgt Risiken

Die naheliegende Strategie, die Anmeldung eines neuen Wirkstoffs hinauszuzögern, damit die Uhr erst später zu ticken beginnt, ist allerdings nur ein bedingt probates Mittel im Lebenszyklusmanagement eines Medikaments. Denn ein solches Vorgehen birgt das Risiko, von anderen Pharmaunternehmen überholt zu werden, arbeiten die forschenden Arzneihersteller doch häufig an denselben, großen Indikationen. Daher verfolgen alle die aktuelle Forschung in diesen Therapiegebieten, und sobald ein neuer Wirkmechanismus als medizinisch vielversprechend identifiziert ist, stürzen sich die F&E-Abteilungen darauf.

Daher werden Wirkstoffe relativ zügig nach ihrer Identifikation zum Patent angemeldet. „Üblicherweise findet die Patentanmeldung ein bis zwei Jahre vor Beginn der ersten klinischen Erprobung statt. Parallel dazu werden weitere Aspekte entwickelt, die fortlaufend angemeldet werden“, erläutert Immler. „Die finale Formulierung steht dagegen häufig erst gegen Ende der klinischen Phase II fest. Dazwischen können locker acht bis neun Jahre liegen.“

Unterlagenschutz

Neben dem Patentschutz gibt es für Arzneimittel aber auch noch den Unterlagenschutz. Dadurch sind Zulassungsunterlagen als Geschäftsgeheimnis geschützt, in Europa für die Dauer von acht Jahren. Während dieser Zeit ist es keinem Generikahersteller möglich, ein vereinfachtes Zulassungsverfahren zu beantragen. Erst nach Ablauf dieser Frist können sich Hersteller von Nachahmerprodukten, die ebenfalls zugelassen werden müssen, auf die Unterlagen des Originators beziehen. Die Zulassung darf allerdings erst nach zehn Jahren erfolgen. Während es in Europa für neue Indikationen oder neue Formulierungen keinen Unterlagenschutz gibt, sind die USA in dieser Hinsicht generöser. Dort gibt es für jede neue Formulierung oder Indikation noch einmal drei Jahre Unterlagenschutz.

Dass der Kampf um Patente mit harten Bandagen ausgefochten wird, hat einen einfachen Grund: „Nach Ablauf eines Patents bricht der Umsatz des Produkts binnen eines Quartals im Schnitt um mehr als die Hälfte ein“, weiß Immler. 2020 hat Bayer mit Xarelto 4,5 Mrd. Euro umgesetzt, das war mehr als ein Viertel des Gesamtumsatzes der Pharma-Division. Das Wort Patentklippe ist also durchaus wörtlich zu nehmen.

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