Deutschland braucht kein Unternehmensstrafrecht
Angesichts der Abgasmanipulationen bei Volkswagen werden Forderungen laut, auch in Deutschland ein Unternehmensstrafrecht einzuführen. Aber das ist Unsinn.Zum einen gibt es in Deutschland ein umfassendes Unternehmenssanktionsrecht. Wenn Mitarbeiter bei Verrichtung ihrer Arbeit für das Unternehmen Straftaten oder Verstöße gegen das Ordnungsrecht begehen, haftet das Unternehmen entweder, weil das Mitarbeiterhandeln dem Unternehmen direkt wie eigenes Handeln zugerechnet wird oder weil – so dies nicht der Fall ist – dem Unternehmen und seinen Leitungspersonen (und der Begriff meint einen weiten Kreis von Personen mit Leitungsaufgaben) mangelnde Organisation bei der Verhinderung entsprechender Geschehnisse vorgeworfen werden kann. Strafzahlungen und Gewinnabschöpfungen haben Unternehmen in der Vergangenheit bereits Hunderte von Millionen Euro abverlangt und werden dies voraussichtlich auch künftig tun. BedrohungsszenarioDarüber hinaus kann ein Management nach geltender Rechtslage und der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs belangt werden, wenn mit Unternehmenswerten nicht im Sinne ordnungsmäßiger Unternehmensführung umgegangen wurde (Untreue) oder rechtswidriges Verhalten aus dem Unternehmen wissentlich in Kauf genommen wurde (Geschäftsherrenhaftung). Organisationsmängel können zudem zu siebenstelligen Strafzahlungen der zuständigen Unternehmensleiter führen.Dessen ungeachtet können auf ein Unternehmen mitunter gewaltige Schadenersatzansprüche, Aufarbeitungs- und Prozesskosten sowie Gewinneinbußen beziehungsweise Imageschäden zukommen. Gegebenenfalls kann vom Management die Erstattung dieser Kosten verlangt werden, was wiederum für die betroffenen Unternehmen und Führungspersonen eine schwere Krise auslösen oder gar eine Existenzbedrohung darstellen kann. Schließlich potenziert sich diese Folgenbetrachtung um die Anzahl der vom Fehlverhalten betroffenen ausländischen Rechtssysteme, die ja ihrerseits mit Sanktions- und Rechtsfolgen aufwarten. Es mangelt bei Compliance-Verstößen im deutschen Rechtsraum demnach wahrlich nicht an einem massiven Bedrohungsszenario für Unternehmen und Unternehmensleiter. Warum also ein Unternehmensstrafrecht?Die Verfechter des Unternehmensstrafrechts halten dagegen, dass weite Teile unseres Sanktionenrechts sich im Ordnungswidrigkeitenrecht befinden und es sich bei diesen Fällen ja wohl kaum um Ordnungswidrigkeiten, sondern um massive Verstöße handele, die strafrechtlich verfolgt werden müssten. Zudem engagierten sich die Verfolgungsbehörden, so die Befürworter, derzeit nicht wie ihnen möglich, weil Ordnungswidrigkeiten nach dem gesetzlichen Rahmen nicht zwingend verfolgt werden müssen. Ginge es um Straftaten, wäre dies anders. Schließlich sei man im Ausland auch deutlich schärfer in der Mittelwahl als in Deutschland – Deutschland sei hier gewissermaßen “Entwicklungsland”.Für den Praktiker stellt sich der Befund ganz anders dar. Deutschland ist keineswegs “Entwicklungsland”. Wirft man einen vergleichenden Blick ins Ausland, so existiert das deutsche Sanktionssystem nicht nur schon deutlich länger als fast alle möglichen Vergleichskandidaten, auch der Geltungsanspruch und die Rechtsprechung sind hier deutlich weiter. Die meisten der wirtschaftlich im Fokus stehenden Rechtssysteme entwickeln ihre Systeme dagegen gerade erst, und das auch keineswegs mit so umfassendem Anspruch wie in Deutschland, sondern beschränkt auf Korruption. Viel wichtiger: Wer möchte, dass die Verfolgungsbehörden weitergehend tätig werden, sollte ihnen mehr Mittel zur Hand geben. Es sind nicht die Kompetenzen, die fehlen – Fälle möglichen Organisationsverschuldens aufzuarbeiten, ist aufwendig, und dazu bedarf es ausreichender Ressourcen. StörgefühlVerständlich ist noch am ehesten die Irritation darüber, dass der Compliance-Verstoß eines Unternehmens mit gewaltigen Auswirkungen in dieselbe Kategorie “Ordnungswidrigkeit” fällt wie ein Verstoß gegen Verkehrsregeln und somit beide Fälle scheinbar gleichgesetzt werden. Aus diesem Störgefühl heraus aber eine in der Praxis immens schwierige und Jahrzehnte dauernde Umgestaltung des deutschen Straf- und Strafprozessrechts folgen zu lassen, erscheint übertrieben: Das deutsche Strafrecht lässt bislang nur bei natürlichen Personen eine strafrechtliche Verurteilung zu, und selbst bei angenommener Strafbarkeit von Unternehmen wäre die Folge eine Geldzahlung, da Unternehmen ja nicht ins Gefängnis gehen können. Wirklich ändern würde sich auf dieser Seite also auch nichts. Sanktionen kein AllheilmittelEs sind deshalb auch erhebliche Zweifel angebracht, ob die Überführung unseres bestehenden Verbandssanktionenrechts in das Unternehmensstrafrecht – außer viel rechtlicher Unsicherheit und erheblichem Rechtsentwicklungsaufwand – mehr Präventionswirkung entfalten könnte. Und nur darum kann es doch gehen. Vielleicht ist hier eine Änderung der Begrifflichkeit “Ordnungswidrigkeit” in “Verbandssanktion” oder “Verbandsbuße” mit einer kleinen Weiterentwicklung des bestehenden Rechts dann doch eher der richtige Schritt. Zudem sollte nicht nur in Sanktionen gedacht werden. Manager großer Unternehmen sind schon heute extrem gefordert. Aus ihrer Perspektive scheint es eher gerechtfertigt, ihnen konkreter an die Hand zu geben, welche Pflichten sie haben. Hier könnte eine Fortentwicklung am meisten leisten.Am Ende bleibt ohnehin die Erkenntnis: Die lückenlose systematische Aufarbeitung von Missständen sorgt dafür, dass die möglichen Konsequenzen gegenüber den tatsächlich Verantwortlichen und dem Unternehmen in aller Deutlichkeit auch öffentlich sichtbar werden. Gerade und vor allem dann hält jeder Verantwortliche inne und fragt sich, ob diese oder andere Verstöße nicht auch im eigenen Unternehmen vorkommen könnten und ob das Unternehmen genug tut, um sie zu vermeiden.—-Konstantin von Busekist, Rechtsanwalt, Steuerberater sowie Leiter der Practice Group Compliance & Investigations bei KPMG Law