IM BLICKFELD

Ein Paradies für die Wafer-Industrie

Von Joachim Herr, München Börsen-Zeitung, 8.11.2017 Die Wafer-Hersteller fühlen sich wie im Schlaraffenland: Die Produktionskapazitäten sind voll ausgelastet, Kunden zahlen im Voraus, Lieferverträge lassen sich für ein bis drei Jahre abschließen...

Ein Paradies für die Wafer-Industrie

Von Joachim Herr, MünchenDie Wafer-Hersteller fühlen sich wie im Schlaraffenland: Die Produktionskapazitäten sind voll ausgelastet, Kunden zahlen im Voraus, Lieferverträge lassen sich für ein bis drei Jahre abschließen und die Preise sind hoch. An diesem paradiesischen Zustand dürfte sich so schnell auch nichts ändern. “Wir haben gute Gründe anzunehmen, dass die Nachfrage im nächsten Jahr weiterhin stärker wächst als das Angebot”, sagt Christoph von Plotho, der Vorstandsvorsitzende von Siltronic. Das heißt: Wafer werden noch knapper.Die Siliziumscheiben mit einem Durchmesser von 150, 200 oder 300 Millimeter sind die Basis für die Produkte der Halbleiterindustrie. Aber wird deren Boom nicht irgendwann abebben? Und welche Folgen hätte dann der nun forcierte Ausbau der Kapazitäten in der Wafer-Fertigung?Siltronic erreicht gerade eine entscheidende Schwelle: Die mit den Kunden verhandelten Durchschnittspreise sind innerhalb eines Jahres um mehr als 30 % gestiegen. Das löste den Beschluss des Münchner Unternehmens aus, die Produktionskapazität zu vergrößern. Die frühere Tochterfirma von Wacker Chemie folgt dem japanischen Konkurrenten Sumco, der schon vor drei Monaten ankündigte, seine Fertigung um 110 000 Wafer im Monat zu erhöhen. Siltronic packt 70 000 Scheiben im 300-Millimeter-Segment dazu. Die aktuellen Zahlen nennen die Unternehmen nicht. Verglichen mit der gesamten Produktion der Branche von derzeit 5,4 Millionen Wafer im Monat entspricht die zusätzliche Menge zusammen gerade einmal 3,3 %. Das klingt nach einem Ausbau mit Augenmaß.Gemessen an den Marktanteilen liegen die japanischen Branchenführer Shin-Etsu und Sumco klar vorn (siehe Grafik). Die fünf großen Anbieter teilen sich mehr als 90 % des Marktes, der 2016 ein Volumen von rund 7 Mrd. Dollar hatte. Welche Expansionspläne Shin-Etsu verfolgt, lässt der Chemiekonzern im Unklaren. Wafer sind nur eine Sparte, und Investitionen muss das börsennotierte Unternehmen nicht getrennt ausweisen. Im jüngsten Zwischenbericht heißt es allgemein, der Konzern verfolge das Ziel, ein stabiles Angebot seiner Produkte sicherzustellen. Deshalb werde die eigene Finanzkraft für passende Investitionen rechtzeitig genutzt. Die Vermutung liegt nahe, dass auch Shin-Etsu angesichts der Marktstärke die Kapazitäten zumindest behutsam erweitert. Noch Platz in SingapurDer taiwanische Konkurrent Global Wafers, der im vergangenen Jahr Sun Edison in den USA übernommen hat, konzentriert sich auf kleinere Durchmesser. “Wir glauben, Global Wafers hat keine Pläne für einen Ausbau der 300 Millimeter”, meint Siltronic-Chef Plotho. Anders dagegen SK Siltron in Südkorea. Plotho ist davon überzeugt, dass die ehemalige Tochterfirma von LG einen Teil ihrer freien Fabrikflächen nutzen wird, um neue Produktionsanlagen aufzustellen.Siltronic selbst hat noch Platz in Singapur. Bis in diesem Werk mehr produziert werden kann, vergehen allerdings 15 bis 18 Monate. Mitte 2019 soll es so weit sein. Von der Investition profitiert zum Beispiel das hessische Unternehmen TVA Tepla, das nach Einschätzung der Analysten von Hauck & Aufhäuser für Siltronic der einzige Lieferant von Produktionsausrüstung ist. Für die 70 000 zusätzlichen Wafer im Monat würden 13 Maschinen zum Preis von je 2 Mill. Euro gebraucht, rechnen die Analysten vor. Siltronic kündigte Investitionen von 140 Mill. Euro an.Die Frage, ob die Branche ein Überangebot schafft, drängt sich auf. Es wäre nicht das erste Mal. Vor der Finanz- und Konjunkturkrise im vergangenen Jahrzehnt waren – begleitet von allzu optimistischen Prognosen von Beratern und Marktforschern – viel zu viele neue Kapazitäten entstanden. Davon erholte sich die Branche lange nicht. Aber nun soll alles anders werden – auf der Angebots- und der Nachfrageseite. Die Wafer-Hersteller schienen viel disziplinierter zu sein als in der Vergangenheit, meinen die Beobachter von Mainfirst.Zudem ist die Gefahr gering, dass ein chinesisches Angebot schon bald den Markt überfluten könnte. Dort ist die Wafer-Industrie offenbar noch längst nicht so weit. “Ich glaube nicht, dass im Jahr 2018 ein Premium-Wafer aus China auf den Markt kommen wird”, sagt Plotho.Auf der Nachfrageseite scheint weiterhin die Sonne. Zwar erwartet der Industrieverband SEMI ein Abflachen des Wachstums, aber die für nächstes Jahr prognostizierten 3,2 % und 3,6 % für 2019 blieben auf stattlichem Niveau. Maßstab ist die Fläche aller verkauften Wafer. Das für dieses Jahr von SEMI erwartete Plus von 8,2 % ragt heraus. Neue AnwendungenGrund für die Zuversicht des Verbands und der Hersteller ist der zunehmende Einsatz von Halbleitern, etwa in Autos. Zum einen weil neue Fahrzeuggenerationen immer mehr Rechenleistung und Sensoren brauchen, zum anderen sorgen Elektromotoren und autonomes Fahren für wachsenden Bedarf. Hinzu kommen andere große Trends wie die Industrie 4.0 und das Internet der Dinge. Auch Smartphones, Medizintechnik und Elektronik in der Kleidung lassen die Nachfrage nach Halbleitern und somit nach Wafer steigen.Spiegel der traumhaften Lage sind für Siltronic höhere Umsätze und noch stärker wachsende Margen – und der Aktienkurs. Mit einem Plus von rund 340 % in den vergangenen 52 Wochen ist die Aktie der beste aller 110 HDax-Werte. Seit dem Tief im Februar 2016 hat sich der Kurs sogar mehr als verzehnfacht. Ein Paradies für die Aktionäre – aber ohne Garantie, dass das ewig so bleibt.