„Eine reine Selbstauskunft reicht nicht“
Im Gespräch: Vanda Rothacker und Peter Henning
„Eine reine Selbstauskunft reicht nicht“
Die Corporate-Governance-Experten über die Qualifikationsmatrix für Aufsichtsräte und Mängel in der Praxis
Sind Aufsichtsräte kompetent besetzt? Um diese Frage zu beantworten, soll eine Qualifikationsmatrix helfen. Aktuell jedoch funktioniert diese Matrix noch nicht so, wie sie sollte – zu diesem Ergebnis kommen Vanda Rothacker und Peter Henning vom DVFA-Fachausschuss Governance & Stewardship.
fed Frankfurt
Durch rechtliche Vorgaben und Kodexempfehlungen sind Unternehmen gehalten, Anforderungsprofile für die Besetzung ihrer Führungsgremien zu entwickeln und zu dokumentieren. Für den Aufsichtsrat steht dabei eine so genannte Qualifikationsmatrix im Zentrum. „In ihrer bisherigen Form stiftet die Qualifikationsmatrix nicht den Mehrwert, den sie haben könnte“, kritisieren Vanda Rothacker und Peter Henning im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Die beiden Experten gehören dem Fachausschuss Governance & Stewardship an, der sich gerade intensiv mit dieser Qualifikationsmatrix beschäftigt hat – und jetzt ein Positionspapier vorlegt.
Das deutsche Recht kenne seit einigen Jahren Anforderungsprofile für die Besetzung vor allem von Vorstand und Aufsichtsräten in Banken, erläutert Henning. Ergänzt werde das durch freiwillige Regelungen, etwa im Deutschen Corporate Governance Kodex, in dem seit 2022 explizit die Qualifikationsmatrix für den Aufsichtsrat auftauche.
Internes und externes Werkzeug
Über „comply or explain“ haben die Unternehmen die Aufgabe, ein Kompetenzprofil für den Aufsichtsrat zu erstellen und dieses Profil auf die Mitglieder anzuwenden – eben in Form einer Qualifikationsmatrix, ergänzt Rothacker. Aus Sicht der Investoren solle diese Matrix nicht nur intern ein Werkzeug für Bewertung und Analyse sein, sondern auch für die externen Stakeholder. Sie fügt an, dass Investoren die Matrix zwar wahrnehmen. Aber in der aktuellen Form sei die Matrix nicht sehr hilfreich. „Das Werkzeug ist gut, aber es muss noch richtig aufgesetzt werden“, erklärt die Senior ESG-Strategin von Union Investment.
Henning, Partner der Beratungsgesellschaften Headsahead und Onboard 360 sowie Honorarprofessor an der Goethe-Universität Frankfurt, weist auf einen zentralen kritischen Punkt hin: „Es handelt sich um Selbsteinschätzungen.“ Das führe regelmäßig zu Debatten. Denn Aufsichtsräte verglichen sich auch mit anderen Mitgliedern des Gremiums. Und da werde oft noch nachjustiert, meistens übrigens nach oben, erzählt Henning aus seiner Praxis.
Verlust an Glaubwürdigkeit
„Ich spreche viel mit Aufsichtsratsvorsitzenden“, berichtet Rothacker. Die Mehrheit der Matrizen zeige, etwa beim Kompetenzkriterium Nachhaltigkeit, sehr positive Werte für fast alle Aufsichtsräte. Auf Nachfrage räumten AR-Vorsitzende oft ein, dass es sich um eine reine Selbsteinschätzung handele. Das aber mindere die Glaubwürdigkeit der ganzen Übung. Oft lasse sich übrigens anhand des Lebenslaufs nicht nachvollziehen, warum die Bewertungen so positiv seien.
„Eine reine Selbstauskunft reicht nicht“, ist Rothacker überzeugt. „Wir empfehlen, dass der Nominierungs- oder Präsidialausschuss oder der Aufsichtsratsvorsitzende ebenfalls eine Einschätzung vornimmt, also dass es eine Überprüfung gibt.“ Diese könne auch auf externe Fachleute übertragen werden.
Henning betont noch einen anderen Punkt. Die Rechtsprechung habe schon vor vielen Jahren festgehalten, dass jedes Aufsichtsratsmitglied Mindestkenntnisse auf allen relevanten Gebieten haben müsse. „Diese gehören unserer Ansicht nach nicht in die Matrix rein. Das wollen wir vor die Klammer ziehen.“ Schließlich solle die Matrix gerade zeigen, inwieweit über Mindestkenntnisse hinausgehende Expertise vorhanden sei.
Identifizierung von Lücken
Rothacker erinnert an das Ziel der gesamten Übung: Es gehe nicht allein darum, die Eignung einzelner Aufsichtsräte zu beobachten, sondern die Gesamtzusammensetzung des Aufsichtsrats. Entscheidend sei, dass das Unternehmen verstehe, welche Kompetenzen es künftig brauche – und wo es derzeit noch Lücken gebe.
Henning unterstreicht, dass es nicht um tiefste Detailkenntnisse in einem Fachgebiet gehe: „Nehmen Sie das Beispiel IT-Sicherheit: Im Aufsichtsrat brauchen Unternehmen keine Programmierer, aber jemand, der IT-Entscheidungen beurteilen kann.“ Und Rothacker verweist abschließend noch einmal auf die Plausibilität von Angaben. Es müsse eine Verknüpfung mit den jeweiligen Lebensläufen geben. „Es muss nachvollziehbar sein, wie und wo sich Aufsichtsräte Kompetenzen erarbeitet haben.“