Im GesprächNils Kuhlwein über Zombie-Firmen

„Es gibt eine massive Fehlallokation von Kapital“

Zombie-Unternehmen halten sich zwar am Markt, arbeiten aber wenig wertschaffend. Die Zinswende könnte bald für einige von ihnen zum Problem werden, erwartet Kearney-Partner Nils Kuhlwein.

„Es gibt eine massive Fehlallokation von Kapital“

Im Gespräch: Nils Kuhlwein

„Es gibt eine massive Fehlallokation von Kapital und Arbeitsplätzen“

Kearney-Partner Nils Kuhlwein über die volkswirtschaftlichen Schäden durch Zombie-Unternehmen und anstehende Herausforderungen bei der Refinanzierung

sar Frankfurt
Von Sabine Reifenberger, Frankfurt

Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel – nach diesem Leitsatz agierten im vergangenen Jahr weltweit fast 2.000 börsennotierte Unternehmen, zeigt eine aktuelle Auswertung der Unternehmensberatung Kearney. Für die Erhebung wurden Datensätze von etwa 70.000 Unternehmen analysiert. Weltweit ist der Anteil der Zombie-Unternehmen demnach 2022 im Vergleich zum Vorjahr um 5% gestiegen. Als Zombie gilt ein Unternehmen, wenn es drei Jahre in Folge nicht in der Lage ist, mit dem operativen Ergebnis die laufenden Zinsverbindlichkeiten zu decken.

Die Analyse bezieht sich auf börsennotierte Firmen, doch das Phänomen ist keineswegs auf diese beschränkt. „Bei weniger kapitalmarktnahen Unternehmen ist der Zombie-Anteil eher noch höher“, sagt Nils Kuhlwein, Partner und Restructuring-Experte bei Kearney, der Börsen-Zeitung. Die Zombies sieht er als volkswirtschaftliches Problem: „Es gibt eine massive Fehlallokation von Kapital und Arbeitsplätzen, die in Zombie-Firmen gebunden sind, obwohl sie an anderer Stelle wertschaffender eingesetzt wären.“

Mehr Insolvenzen

In Deutschland stuft Kearney derzeit 4,2% der Unternehmen als Zombies ein, ein leichter Rückgang gegenüber 2021, als es 4,3% waren. Dass die Zahl der Zombies in Deutschland gesunken ist, hängt mit den gestiegenen Insolvenzzahlen zusammen: Von den Zombie-Unternehmen des Vorjahres sind 28% in die Insolvenz gerutscht, ein Plus von 7 Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr. Kuhlwein rechnet damit, dass sich die Insolvenzzahlen vom zuletzt sehr niedrigen Niveau aus weiterhin dem langjährigen Mittelwert annähern.

Zu einem weiteren Anwachsen des Zombie-Heeres in der nächsten Zeit dürfte nach Einschätzung der Kearney-Analysten das veränderte Zinsumfeld beitragen. Sie gehen davon aus, dass ein Anstieg der Zinsen um den Faktor 1,5 den Anteil der Zombies in Deutschland auf 5,1% ansteigen lassen könnte. Bei einem Zinsanstieg um den Faktor 2 könnte der Anteil der Zombies auf 5,5% klettern.

Entsprechende Stresstests hat das Beratungshaus auch in den vergangenen Jahren bereits gerechnet, bislang blieb ein solcher Effekt allerdings aus. „In den vergangenen Jahren blieb die Zinsbelastung immer auf einem sehr niedrigen Niveau um 1,5%“, sagt Kuhlwein.

Die ‚Wall of Maturity‘ kommt in großen Schritten näher.

Nils Kuhlwein, Kearney

Viele Unternehmen profitierten zurzeit noch von günstigen Finanzierungen, die sie in der Niedrigzinsphase für mehrere Jahre abgeschlossen haben. Doch nach und nach liefen die Finanzierungsverträge mit diesen günstigen Konditionen nun aus. „Die ‚Wall of Maturity‘ kommt in großen Schritten näher.“ Wer in schwierigem Fahrwasser unterwegs ist, müsse zudem mit überproportional stark anziehenden Finanzierungskosten rechnen. „Diese Unternehmen haben oft eine schlechte Risikoeinstufung und schwache Ratings“, sagt Kuhlwein. Außerdem könnten sie höhere Refinanzierungskosten in aller Regel auch nicht umfassend auf ihre Kunden abwälzen.

Weniger Finanzierungsoptionen

Für nicht börsennotierte Unternehmen sei das Problem der Refinanzierungen sogar noch dringlicher. „Sie haben ihren Geldgebern gegenüber häufig eine schwache Verhandlungsmacht und verfügen über weniger Finanzierungsoptionen als börsennotierte Wettbewerber“, sagt Kuhlwein. Auch in diesem Segment droht das Heer der Zombie-Unternehmen weiter anzuwachsen.

Sorgen bereitet dem Kearney-Partner darüber hinaus noch eine andere Entwicklung: „Die Geldmenge M1 ist in der Eurozone seit Oktober 2022 um rund 8% eingebrochen, deutlich stärker als beispielsweise in der Finanzkrise“, sagt er. Ob dieser Rückgang von der Angebots- oder der Nachfrageseite ausgehe, lasse sich nicht sagen. „In jedem Fall aber erschwert dies Refinanzierungen.“

Zur Person
Nils Kuhlwein ist Partner bei der Unternehmensberatung Kearney und spezialisiert auf Restrukturierungen. Er ist zudem Mitglied im erweiterten Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Restrukturierung (TMA).