„ESG-Analysen stehen im Sport immer noch am Anfang“
Im Gespräch: Christian Hartmann
„ESG-Analysen stehen im Sport immer noch am Anfang“
Der Gründer der Global Sustainability Benchmark in Sports über Fanbewegungen, Nachhaltigkeitsdaten und die Vorreiterrolle der DFL
Von Sabine Reifenberger, Frankfurt
Während Industriekonzerne ihre Nachhaltigkeitsperformance regelmäßig erheben, hat die Sportindustrie noch Nachholbedarf. Christian Hartmann, Geschäftsführer der Global Sustainability Benchmark in Sports, will das ändern. Die Deutsche Fußball Liga sieht er in einer Vorreiterrolle.
Seit Wochen fiebern Fußballfans auf das Champions-League-Finale hin, am Samstag spielen Inter Mailand und Paris Saint-Germain in München um den Sieg in der Königsklasse. Vor Ort werden Zehntausende Fans dabei sein. Was selten in den Fokus rückt: Wenn Sportveranstaltungen große Arenen füllen, sind die Fanmassen oft von weither angereist, mit dem Zug, dem Auto, dem Flugzeug. „Der größte Faktor in der CO2-Bilanz von Unternehmen in der Sportindustrie sind diese Fanbewegungen“, sagt Christian Hartmann, Gründer und Geschäftsführer der Global Sustainability Benchmark in Sports (GSBS).
GSBS analysiert ESG-Daten
Hartmann hat die GSBS 2020 in London gegründet. Die Idee kam ihm während eines MBA-Studiums in Sport-Management. „Den MBA haben auch ehemalige Profi-Fußballer absolviert. Wir haben uns gefragt, warum man nicht bei Unternehmen der Sportindustrie stärker auf die Nachhaltigkeitsperformance schaut – so wie in der Finanzindustrie oder bei produzierenden Unternehmen.“ Die Organisation bewertet die Nachhaltigkeitsperformance professioneller Sport-Adressen, darunter einzelne Vereine, aber auch Dachorganisationen wie die Formula E und die Uefa. In das Rating gehen Unternehmensdaten ein, etwa zur Nachhaltigkeitsstrategie und zum Risikomanagement, sowie Angaben zu den klassischen ESG-Säulen Environment, Social und Governance. Am Ende werden die bewerteten Organisationen auf einer Skala zwischen 0% und 100% eingeordnet.

Die GSBS arbeitet international, doch die Datenlage ist sehr unterschiedlich, sagt Hartmann. Je nach Verfügbarkeit werden für jeden Club über 1.700 Datenpunkte für das Rating einbezogen – wenn Daten unvollständig sind, fällt das Rating oft schlechter aus. Besonders gut ist die Datenlage bei börsennotierten Organisationen wie Borussia Dortmund, die 2024 mit einem Rating von 80% in der Spitzengruppe sind. Besonders schwierig ist es in den USA, wo Nachhaltigkeitsinitiativen politisch derzeit Gegenwind verspüren. Die meisten Unternehmen der US-Sportindustrie seien zu Veröffentlichungen nicht verpflichtet, Angaben müssten freiwillig erfolgen. „Die politischen Entwicklungen sind da nicht zuträglich“, sagt Hartmann.
Wirtschaftliche Relevanz
Oft fehle es auch noch am Bewusstsein für die wirtschaftliche Relevanz der Nachhaltigkeitsdaten: „ESG-Analysen stehen im Sport immer noch am Anfang“, sagt Hartmann. „Es gibt Fußballvereine, die jeden Tag 30 Rasenplätze bewässern, aber ihren Wasserverbrauch nicht kennen.“ Die Daten zu erheben sei ein erster Schritt, um daraus Strategien und mögliche Einsparungen abzuleiten. Die Deutsche Fußball Liga (DFL) erlebt er als sehr aktiv im Bereich Nachhaltigkeit. Seit der Saison 2023/24 müssen Vereine, die das Lizenzierungsverfahren für den Profifußball durchlaufen, eine Nachhaltigkeitsrichtlinie vorweisen können. Von der Saison 2025/26 an müssen die Clubs einen unabhängigen Nachweis für die Erfüllung der Nachhaltigkeitskriterien vorlegen, bisher reichte für Manches eine Selbstauskunft. „Damit ist die DFL international in einer Vorreiterrolle.“
„Es gibt Fußballvereine, die jeden Tag 30 Rasenplätze bewässern, aber ihren Wasserverbrauch nicht kennen.“
Christian Hartmann, GSBS
Die GSBS will in diesem Jahr erstmals alle Vereine der 1. Bundesliga in ihren Report aufnehmen. Andere große Ligen wie die Premier League und LaLiga sollen folgen. Zuletzt umfasste der Report 64 Unternehmen aus der Sportindustrie. Die GSBS ist eine Non-Profit-Organisation und laut Hartmann noch in der „Investitionsphase“. „Unser Rating ist für die Clubs kostenfrei. Das ist eine strategische Entscheidung, die uns nicht leichtgefallen ist, denn andere Anbieter nehmen Geld für ihre Ratings“, erklärt der Gründer.
GSBS will Zahl der Analysen steigern
Es sei der GSBS wichtig, allen Organisationen unabhängig von Größe und Ressourcen die Teilnahme zu ermöglichen und die Eintrittsbarriere niedrig zu halten. Industriepartner von der Kanzlei bis zur PR-Agentur arbeiten Hartmann zufolge pro bono für die GSBS. Bei Datenanalysen unterstützen Freiwillige.
In einem nächsten Schritt will Hartmann nicht nur die Zahl der analysierten Unternehmen ausbauen, sondern auch die Monetarisierung vorantreiben. „Wir haben einen einzigartigen Datensatz zusammengetragen. Nun sind wir an dem Punkt, wo wir GSBS weiter professionalisieren müssen und sich auch verschiedene Umsatzströme entwickeln.“ Denkbar seien vertiefte Analysen für einzelne Unternehmen, um Verbesserungen aufzuzeigen. Anonymisierte Auswertungen seien zudem auch für Sponsoren und Versicherungen interessant.
Motivation für Nachahmer
Die GSBS-Veröffentlichungen zeigen, welche der analysierten Organisationen besser oder schlechter abschneiden. „Diese Tabellen heizen den Wettbewerb an und motivieren auch Nachahmer“, beobachtet Hartmann. Er setzt darauf, dass die Sportindustrie darüber hinaus auch eine Vorbildfunktion für größere Teile der Gesellschaft einnehmen kann. „Sport kann Emotionen kreieren, das schafft keine andere Industrie.“ Hinderlich ist der sportliche Ehrgeiz aus seiner Sicht, wenn es um Best-Practice-Ansätze geht: „Um noch stärker voneinander zu lernen, sollten die Clubs ihre Rivalität beim Thema Nachhaltigkeit öfter ausblenden.“
Die beiden Champions-League-Finalisten zählten im Nachhaltigkeitsranking 2024 der GSBS übrigens noch nicht zu den Spitzenreitern. Mit einer Gesamtbewertung von 30% liegt Inter Mailand knapp vor Paris Saint-Germain (25%).