Gute Corporate Governance lebt von der Unternehmenskultur
Ansichtssache
Gute Corporate Governance lebt von der Unternehmenskultur
Vor 15 Jahren war Corporate Governance für viele Unternehmen ein Nischenthema – heute ist sie aus der modernen Unternehmensführung nicht mehr wegzudenken. Der steigende Druck von Investoren, Regulierern und einer kritischen Öffentlichkeit hat dafür gesorgt, dass Fragen der Transparenz, Kontrolle und Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt gerückt sind. Zeit für eine Zwischenbilanz – und einen Blick nach vorn.
Zunächst ein Rückblick: Der Deutsche Corporate Governance Kodex, eingeführt im Jahr 2002, markierte einen Meilenstein der Selbstregulierung der Wirtschaft. In einer Zeit, die von Unternehmensskandalen und Vertrauensverlust geprägt war, sollte er Vertrauen zurückgewinnen. Union Investment darf sich bei diesem Thema als einer der Pioniere einer aktiv gelebten Corporate-Governance-Kultur bezeichnen. Ausgehend von dem Selbstverständnis und der Kultur der genossenschaftlichen Familie sowie als relevanter institutioneller Anleger haben wir wesentlich unsere treuhänderische Verpflichtung wahrgenommen. Denn Auftritte von Vertretern unseres Hauses auf Hauptversammlungen der Dax-Konzerne reichen bis in die Mitte der 1990er Jahre zurück. Bereits als Vorstandsmitglied habe ich das Thema Corporate Governance weiter forciert und vor allem seit 2010 als Vorstandsvorsitzender ist das Thema ergänzt um Umweltaspekte sowie Sozialem zu meiner Herzensangelegenheit geworden.

Union Investment
Was hat sich verändert? In den vergangenen 15 Jahren wurden Transparenzstandards erhöht, Compliance-Regeln verschärft und die ethische Verantwortung von Unternehmensführungen in den Fokus gerückt. Doch gute Governance ist mehr als Regelbefolgung. Sie lebt von der Unternehmenskultur, klaren Werten und konsequenter Umsetzung. Als Reaktion auf das immer breiter werdende Spektrum der Corporate Governance haben wir signifikante Investitionen in diesem Bereich getätigt, um auch hier als eines der führenden Häuser in Deutschland und Europa wahrgenommen zu werden. Einhergehend mit den immer umfangreicheren Berichtspflichten und regulatorischen Anforderungen haben wir den Wandel in dem Thema nicht nur reaktiv abbilden wollen, sondern aktiv mitgestaltet.
Sicht eines aktiven Investors
Wir bei Union Investment verstehen uns als aktiver Aktionär – aber nicht als aggressiver Aktivist. Jährlich führen unsere Fondsmanager und ESG-Analysten rund 4.000 Unternehmensdialoge, stimmen auf etwa 1.700 Hauptversammlungen ab und treten dort auch öffentlich auf. Unser Ziel ist nicht die Konfrontation, sondern die konstruktive Einflussnahme im Sinne langfristiger Wertsteigerungen für die Anleger. Im Zentrum stehen dabei vier Themenfelder:
- Risikomanagement: Unternehmen sollen geopolitische Risiken erkennen und bewältigen – etwa durch klare Strategien bei Handelsbarrieren.
- Transparenz: Entscheidungen basieren auf klaren und verlässlichen Informationen. Unternehmen müssen offen kommunizieren.
- Nachhaltigkeit: ESG-Kriterien sind keine Kür mehr, sondern Pflicht. Union Investment fordert Klimastrategien und Mitspracherechte – etwa ein „Say on Climate“.
- Unabhängigkeit: Aufsichtsräte sollen mehrheitlich unabhängig sein und Vergütung nach dem Pay-for-Performance-Prinzip erfolgen.
Auch über die Hauptversammlungen hinaus engagiert sich Union Investment, etwa im Präsidium des Deutschen Aktieninstituts oder durch öffentlichkeitswirksame Studien zur Corporate Governance bei Dax- und MDax-Unternehmen.
Politischer Gegenwind
Doch die Fortschritte in Sachen Governance stehen zunehmend unter Druck. Politische Bewegungen wie Populismus oder Anti-Woke-Kampagnen versuchen, Errungenschaften wie Diversity oder soziale Verantwortung in Frage zu stellen. Unternehmen und Investoren müssen hier standhaft bleiben – und ihre Überzeugungen vertreten. Nur wer klar kommuniziert, welche ökonomischen Vorteile nachhaltige und gute Unternehmensführung bringt, kann diesen Gegenströmungen begegnen. Die Anforderungen werden also noch umfangreicher und somit auch das Profil der agierenden Personen, insbesondere der Aufsichtsräte. Kenntnisse des Kapitalmarktes gepaart mit unternehmerischen Erfahrungen werden gebraucht. Denn im Rahmen des immer volatileren ökonomischen und politischen Umfelds werden aktive und vor allem schnelle Anpassungsstrategien notwendig sein. Neben dieser fachlichen Expertise spielen auch Kriterien wie Altersgrenzen, Mandatsbeschränkungen und Diversität eine immer größere Rolle. Geeignetes Personal für Aufsichtsgremien zu finden, wird daher zunehmend zur Herausforderung.
Fazit: Corporate Governance ist kein Modethema, sondern ein Fundament erfolgreicher Unternehmensführung. Wer heute auf Transparenz, ethisches Verhalten und nachhaltige Entwicklung setzt, wird auch morgen noch das Vertrauen von Investoren, Kunden und Gesellschaft genießen. Gerade in politisch unruhigen Zeiten braucht es einen klaren Kompass – und den Mut, Kurs zu halten.
Corporate Governance ist kein Modethema, sondern ein Fundament erfolgreicher Unternehmensführung.
Hans Joachim Reinke ist Vorstandsvorsitzender der Union-Investment-Gruppe. In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.