IM BLICKFELD

It's about Big Data, stupid

Von Stefan Paravicini, Frankfurt Börsen-Zeitung, 30.10.2012 "It's the economy, stupid", lautete eine der Kernbotschaften, die der Politikberater James Carville im US-Präsidentschaftswahlkampf 1992 den Helfern von Bill Clinton mit auf den Weg gab....

It's about Big Data, stupid

Von Stefan Paravicini, Frankfurt”It’s the economy, stupid”, lautete eine der Kernbotschaften, die der Politikberater James Carville im US-Präsidentschaftswahlkampf 1992 den Helfern von Bill Clinton mit auf den Weg gab. In den Gesprächen mit potenziellen Wählern am Telefon und auf der Straße sollten sie sich ganz auf die volkswirtschaftliche Bilanz der Regierung von George Bush sen. und die Lage auf dem Arbeitsmarkt konzentrieren. “Es geht um die Wirtschaft, Blödmann” gilt auch in der diesjährigen Auseinandersetzung um das Weiße Haus, die in einer Woche entschieden wird. Das Duell zwischen dem amtierenden demokratischen Präsidenten und Mitt Romney steht im Zeichen einer schwächelnden US-Konjunktur und einer für den Amtsinhaber am Ende womöglich zu langsamen Erholung auf dem Arbeitsmarkt. Im Kopf-an-Kopf-Rennen mit seinem republikanischen Herausforderer könnten neben den jüngsten, leicht verbesserten Arbeitsmarktdaten aber vor allem riesige Mengen persönlicher Daten von potenziellen Wählern den Ausschlag für Barack Obama geben.Mit Blick auf die Möglichkeiten der Auswertung von großen Datenmengen, die die IT-Industrie heute unter dem Begriff “Big Data” behandelt, hat Obamas Wahlkampfzentrale in Chicago nämlich Vorteile. Das Kampagnenmanagement hat in den vergangenen Jahren Mathematiker, Informatiker und Programmierer rekrutiert, die auf Basis von großen Datenbeständen – zum Teil noch aus dem Wahlkampf von 2008 – unter dem Arbeitstitel “Narwhal” eine mächtige Datenbank aufgebaut haben, die Grundlage ist für die statistischen Modelle, nach denen die Obama-Strategen ihre Wahlkampfaktivitäten und den damit verbundenen Mitteleinsatz steuern.Wahlkampfhelfer und Unterstützer des Präsidenten in den wenigen Bundesstaaten, in denen der Ausgang der Wahl bis zuletzt offenbleiben wird, werden auf dieser Basis mit Details über mutmaßlich noch unentschiedene Wähler versorgt, von den statistisch abgeleiteten persönlichen Präferenzen bis hin zur nächstgelegenen freundschaftlichen Verbindung über das soziale Netzwerk Facebook. Bei einer Wahl, die wegen der Besonderheiten des amerikanischen Wahlrechts am Ende wohl in wenigen Countys entschieden wird, könnte das ebenso einen entscheidenden Vorteil bringen wie die zielgenaue Ansprache dieser Wählergruppen.Um die Botschaften der Kampagne auf ihre verschiedenen Zielgruppen abzustimmen, spürt Obamas Wahlkampfteam unter dem Projektnamen “Dreamcatcher” daher schon seit Monaten in unstrukturierten Daten – etwa in Abschriften von Interviews mit Wahlberechtigten oder Einträgen auf der Homepage der Kampagne – die wichtigsten Themen und die semantischen Vorlieben potenzieller Wähler auf. Eine Analyse des Internetportals ProPublica hat ergeben, dass ein Spendenaufruf aus der Wahlkampfzentrale in Chicago in bis zu elf verschiedenen Varianten versendet wird, um die Adressaten mit größeren Erfolgschancen anzusprechen. Da es eine Woche vor der Wahl nur noch wenige unentschlossene Wähler gibt und am Ende nach Ansicht von Wahlbeobachtern entscheiden wird, wer das eigene Lager stärker mobilisiert, könnten die präziseren Botschaften den Ausschlag geben.Hinter Projekten wie Narwhal und Dreamcatcher stehen IT-Spezialisten, die man nicht nur wegen ihrer offiziellen Funktionen eher mit Internet-Start-ups als mit einem politischen Wahlkampfapparat in Verbindung bringen würde. So kommt Rayid Ghani, Chief Scientist der Obama-Kampagne und führender Kopf hinter Dreamcatcher, von den Technology Labs bei Accenture, wo er der Abteilung Analytics vorstand. Harper Reed, Obamas Chief Technology Officer (CTO) und Mastermind hinter Narwhal, hat sich bisher an mehr als einem Dutzend Internetprojekten versucht, zuletzt bei dem T-Shirt-Versand Threadless. Michael Slaby, der 2008 noch selbst die Rolle von Reed als CTO des Obama-Wahlkampfteams besetzte und heute Chief Integration und Innovation Officer der Kampagne ist, war zuvor bei der PR-Agentur Edelman Hauptansprechpartner für digitale Strategien. Jim Messina, der die Gesamtverantwortung für den Obama-Wahlkampf trägt, waren als Wahlkampfmanager zwar bislang der Bundesstaat Montana und der Capitol Hill in Washington näher als das Silicon Valley. Nachdem er im Dezember 2010 mit der Aufgabe betraut wurde, die Kampagne für die Wiederwahl Obamas zu organisieren, wandte er sich dennoch als Erstes an den damaligen Google-Chef Eric Schmidt. Auch mit Apple-Gründer Steve Jobs traf er sich, ebenso wie mit Managern von Facebook, Zynga, Microsoft und Salesforce, um zu erörtern, wie die Obama-Kampagne den technologischen Fortschritt für ihre Zwecke nutzen könnte. Mitt Romney im Silicon ValleyMitt Romney hat im Sommer ebenfalls im Silicon Valley rekrutiert. Die Daten, auf denen das Team rund um Zac Moffatt, Digital Director des republikanischen Präsidentschaftskandidaten, in Boston seine Entscheidungen aufbaut, werden allerdings mehrheitlich von privaten Dienstleistern wie den republikanisch gesinnten Target Point oder Grassroot Targeting eingekauft. Bei den “digital natives” selbst hätte Romney wohl keine Chance im Rennen um das Präsidentschaftsamt. Bei Facebook und Twitter genießt der Mitgründer von Bain Capital nur den Bruchteil der Aufmerksamkeit des amtierenden Präsidenten. Fragt man die Nutzer von internetfähigen Mobiltelefonen nach ihren Wahlpräferenzen, liegt der Herausforderer fast 20 Prozentpunkte hinter Obama (siehe Grafik).