WACHSTUM IN ZEITEN DER DISRUPTION

L'Homme Machine verlässt die Fabrik

Maschinenbau steht im Zentrum von Industrie 4.0 - Digitalisierte Fertigung wird völlig neu organisiert

L'Homme Machine verlässt die Fabrik

Von Daniel Schauber, FrankfurtWenn es um disruptive Entwicklungen geht, schlägt Deutschlands oberster Maschinenbauer Alarm: “Deutschland ist schlecht aufgestellt für disruptive Prozesse”, findet Carl Martin Welcker, der Präsident des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). Dabei meint er nicht die rund 6 000 Maschinenbauer selbst, die sich als agil und aufgeschlossen für Neues sehen. Er hat mit seiner Warnung die angeblich schlechten Rahmenbedingungen im Blick, die deutschen Unternehmen die Anpassung an eine veränderte Welt erschweren: Zu viele widersinnige Verordnungen sowie ein “zementierter Arbeitsmarkt” machten es schwer, mit der Moderne Schritt zu halten.Hat er recht, wäre das fatal. Denn glaubt man einer Umfrage von VDMA und McKinsey unter Maschinenbauern, so sind Flexibilisierung, technologische Umbrüche und die heraufziehende Digitalisierung die wichtigsten Zukunftstrends für den Maschinenbau. Der demografische Wandel, der jahrelang das Schreckgespenst eines drohenden Fachkräftemangels heraufbeschwor, ist dagegen an die vorletzte Stelle gerutscht (siehe Grafik). Plug-and-produceFünf Jahre nach der Prägung des Begriffs Industrie 4.0 in Deutschland gilt es als ausgemacht, dass die vierte industrielle Revolution (nach Dampfmaschine, Elektrifizierung und Informationstechnik) kommen wird. Die Maschinenbauer stehen dabei im Zentrum des Geschehens: Maschinen verschmelzen im Internet der Dinge zu einem Gesamtsystem, das sich mit Hilfe von künstlicher Intelligenz zumindest teilweise autonom steuert. Möglich soll das werden, weil Sensor- und ausgefeilte IT-Technik nicht nur verfügbar, sondern inzwischen auch so kostengünstig sind, dass sie nicht nur in Anlagen, sondern auch in den zu bearbeitenden Werkstücken eingesetzt werden können. So sollen Maschinen in den Produktionshallen per “Plug-and-produce” die per Funkchips gesteuerten Werkstücke wie von Geisterhand bearbeiten, dabei ihren eigenen Verschleiß an allen kritischen Stellen selbst überwachen und sich gegebenenfalls sogar selbst reparieren können. Und manches Teil für die Produktion kommt dabei aus dem 3-D-Drucker. 1 Billion für die UmrüstungZukunftsmusik? Technisch möglich ist es, und in Ansätzen und Projekten gibt es das schon. Adidas hat Schlagzeilen gemacht mit ihrer “Speedfactory” im mittelfränkischen Ansbach. Dort sorgen Roboterwagen für Materialnachschub im Maschinenpark, der weitgehend autonom die Schuhproduktion abwickelt.Was eine solche Fabrik kostet und ob sie günstiger produziert als der Mensch, der als “L’Homme Machine” wie ein Roboter im Takt in Fernost produzieren muss, legt Adidas freilich nicht offen. Billig ist die Umrüstung auf solche digitale Fabriken jedenfalls nicht: Rund 1 Bill. Dollar werde künftig pro Jahr in Ausrüstung für die digitalen Fertigungsstätten fließen, hat die Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers (PwC) ermittelt. Der Maschinenmarkt wird damit nicht unbedingt größer, aber er wandelt sich stark.Setzt sich die digitalisierte Produktion durch – und es sieht angesichts steigender Löhne in Fernost danach aus -, dann gehören zu den Gewinnern im Maschinenbau diejenigen, die solches Industrie-4.0-taugliches Gerät anbieten. Verlierer ist, wer den Trend verpasst und stur auf “Weiter so” setzt. Die Unternehmensberatung McKinsey ist gemeinsam mit dem VDMA in der Studie “How to succeed: Strategic options for European machinery” jedenfalls zu dem Schluss gekommen, dass die Maschinenbauer organisatorische Änderungen ins Auge fassen müssen, um mit dem Wandel Schritt zu halten. Und der PwC-Erhebung zufolge werden bis 2021 gut zwei Drittel aller Produktionsprozesse digitalisiert sein. Aktuell ist es erst rund ein Drittel. Roboter mit VirusDieser Wandel bietet für anpassungswillige Maschinenbauer große Wachstumschancen, aber er birgt auch Gefahren, die gern kleingeredet werden. Sind Maschinen in Fabriken und sogar Fabriken untereinander über das Internet verbunden, dann sind sie auch allen Kriminellen ausgesetzt, die im Internet lauern. Cyberattacken auf Produktionsanlagen können Ruf, Geld und Leben kosten. Die Maschinenbaulobby hat deshalb zusammen mit dem Fraunhofer Institut einen 46-seitigen “Leitfaden Industrie 4.0 Security” erarbeitet, der ahnen lässt, was alles passieren kann, wenn ein Schadprogramm nicht nur den Büro-PC zum Absturz bringt, sondern einen tonnenschweren autonom arbeitenden Roboter manipuliert, der Hand in Hand mit dem Menschen arbeitet. Sicherheit ist TrumpfSichere Internetprotokolle, Einsatz von Kryptografie, strenge Führung von Benutzerkonten und Absicherung von Funktechnologien sind künftig für den Menschen an der Maschine noch wichtiger als für den Manager am Laptop. Und wer meint, in Zeiten von “Plug-and-produce” reiche es aus, die eigene Anlage in einem abgeschirmten Firmennetz zu betreiben, der erlebt sein böses Erwachen, wenn das Virus unbemerkt von einem ahnungslosen Servicetechniker beim Software-Update direkt an der Maschine aufgespielt wird. Sicher ist: Auch die modernste Produktionstechnik wird nie sicher sein und Gefahren bergen, die wir heute nicht einmal erahnen können.