Nachzahlungen drohen

Mietendeckel gekippt

Das Bundesverfassungsgericht hat den Berliner Mietendeckel für verfassungswidrig erklärt. Die Länder seien für das Mietrecht nicht zuständig. Auf viele Mieter kommen nun Nachzahlungen zu.

Mietendeckel gekippt

hek Frankfurt

– Das Bundesverfassungsgericht hält den im vergangenen Jahr in zwei Stufen in Kraft getretenen Mietendeckel in Berlin für nichtig. Der Bundesgesetzgeber habe das Mietpreisrecht abschließend geregelt, entschied das höchste deutsche Gericht. Für eigene Gesetze der Länder bleibe deshalb kein Raum. Die Normenkontrollklage hatten 284 Bundestagsabgeordnete von CDU/CSU und FDP eingereicht. Zudem hatten das Landgericht Berlin und das Amtsgericht Mitte dem Bundesverfassungsgericht das Gesetz vorgelegt. Eine mündliche Verhandlung fand nicht statt.

Der Zweite Senat verweist in der Urteilsbegründung darauf, dass dem Bund in der Regel Doppelzuständigkeiten fremd seien. Der Bund habe in den vergangenen sechs Jahren mit teils umfangreichen Gesetzen auf die verschärfte Wohnungssituation in Ballungsgebieten reagiert und versucht, den Mietenanstieg in angespannten Wohnungsmärkten zu dämpfen. Spätestens mit Einführung der Mietpreisbremse im Jahr 2015 habe der Bund die Bemessung der höchstens zulässigen Miete für ungebundenen Wohnraum abschließend geregelt. Dieses Gesetz wurde später verlängert und verschärft. Die Mietpreisbremse begrenzt Neuvertragsmieten in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt. Sie dürfen maximal 10% über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Der Mietendeckel führe ein paralleles Mietpreisrecht auf Landesebene ein, so das Gericht. Nach Bundesrecht zulässige Mieterhöhungen würden verboten. Dafür fehle dem Land Berlin die Gesetzgebungskompetenz (Az. 2 BvF 1/20, 2 BvL 5/20, 2 BvL 4/20).

Die Entscheidung der Karlsruher Richter kommt früher als erwartet, stellt inhaltlich aber keine Überraschung dar. Viele Beobachter und Juristen haben das Gesetz als verfassungswidrig eingestuft, weil das Land Berlin seine Kompetenzen überschreite. Gleichwohl gab es auch gegenteilige Einschätzungen.

Das vom rot-rot-grünen Senat beschlossene Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin besteht im Wesentlichen aus drei Komplexen. Zum einen werden die Mieten auf dem Stand vom Juni 2019 eingefroren, erst ab 2022 sind als Inflationsausgleich Erhöhungen möglich. Zum anderen werden Mietobergrenzen für Neuvermietungen eingeführt, die von Baujahr und Ausstattung der Wohnung abhängen und im Normalfall bis 9,80 Euro je Quadratmeter kalt reichen. Zudem darf die Miete nicht höher sein als die Vormiete.

Deckel für Bestandsmieten

Drittens deckelt das Gesetz die Bestandsmieten. Beträge, die um mehr als ein Fünftel über die festgelegten Obergrenzen hinausgehen, gelten als überhöht und müssen gesenkt werden. Das Gesetz galt für 1,5 Millionen Wohnungen. Neubauten ab 2014 und Sozialwohnungen waren ausgenommen.

Die Aktien der Wohnimmobilienkonzerne zeigten überwiegend moderate Reaktionen. Vergleichsweise deutlich legte am Donnerstag zeitweise der Kurs von Deutsche Wohnen zu, die mit einem Plus von 2,5% aus dem Handel gingen. Der Konzern ist unter den börsennotierten Vermietern besonders stark von der Gerichtsentscheidung betroffen, da sich 73,5% seiner Wohnungen im Großraum Berlin befinden.

Die Entscheidung des Verfassungsgerichts bedeutet, dass der Mietendeckel ab sofort nicht mehr gilt. Mieter müssen sich daher auf Nachforderungen einstellen. Die für den Mietendeckel federführende Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen verweist in ihrer Stellungnahme ausdrücklich darauf, dass nun die mit dem Vermieter vereinbarten Mieten zu zahlen seien und gegebenenfalls die Differenz zwischen der gedeckelten und der Vertragsmiete nachzuzahlen sei.

Deutschland größter Vermieter Vonovia kündigt aber an, keine Nachforderungen zu stellen. Den Mietern sollten „keine finanziellen Nachteile aufgrund getroffener politischer Entscheidungen entstehen“, teilt Vorstandschef Rolf Buch mit. Viele Mieter hätten entgegen dem Rat der Politik die gesparte Miete nicht zur Seite gelegt. Vonovia verzichtet damit nach eigenen Angaben auf bis zu 10 Mill. Euro. Die Stellungnahme von Deutsche Wohnen hingegen legt nahe, dass der Konzern an Nachforderungen festhält. Für die Begleichung des Restbetrags der fälligen Miete biete man den vom Urteil betroffenen Mietern Möglichkeiten von Einmal- über Ratenzahlungen bis hin zu Stundungen an. Deutsche Wohnen werde mit „größtem sozialen Verantwortungsbewusstsein“ vorgehen, verspricht der Konzern, der im Großraum Berlin gut 114000 Wohnungen besitzt, die als Kernbestand gelten. Kein Mieter werde durch die Entscheidung die Wohnung verlieren. Bei sozialen Härtefällen würden individuelle Lösungen angestrebt. Im Durchschnitt betrügen die Ansprüche insgesamt 430 Euro pro Mieter, so ein Sprecher.

Nach Einschätzung des Instituts der deutschen Wirtschaft entlastet das Urteil den Markt. Denn seit Einführung des Mietendeckels gebe es in Berlin 28% weniger Mietwohnungen. Viele Vermieter verkauften lieber an Selbstnutzer, als erneut zu vermieten. Die Immobilienwirtschaft begrüßt, dass es nun Rechtsklarheit gibt. Mieterorganisationen zeigen sich enttäuscht.

Die vor dem Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts anhängigen Beschwerden von Wohnungsbaugenossenschaften und privaten Vermietern haben sich nach Einschätzung der Wirtschaftskanzlei Greenberg Traurig mit dem Urteil des Zweiten Senats erledigt. Denn durch die Nichtigkeitserklärung entfalle der Beschwerdegegenstand, sagt der Experte für Verfassungs- und Mietpreisrecht Christian Schede. Die durch den Mietendeckel eingeführte faktische Privilegierung von Besserverdienenden in guten Wohnlagen werde beseitigt.

8:0-Votum

„Die Nichtigkeitsentscheidung hat Rückwirkungscharakter und stellt die Betroffenen so, als hätte es das Landesgesetz nie gegeben“, sagt Wolfgang Spoerr, Verfassungsrechtler und Partner im Berliner Büro der Kanzlei Hengeler Mueller. Damit sei auch Tausenden Bußgeldverfahren gegen Vermieter die Grundlage entzogen. Hengeler hat die klagenden Abgeordneten in dem Normenkontrollverfahren vertreten: „Wir sehen uns mit dem eindeutigen 8:0-Votum des Zweiten Senats voll bestätigt.“

Sebastian Orthmann, Partner der Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland, betont, dass bei neuen Mietverträgen nun die sogenannte Schattenmiete gelte, falls diese wirksam vereinbart worden sei. Die Kanzlei Noerr warnt vor einem bundesgesetzlichen Mietendeckel. Dieser wäre verfassungsrechtlich bedenklich, meint Partner Clemens Schönemann. Denn Mietobergrenzen griffen erheblich in die grundrechtlich geschützte Eigentums- und Vertragsfreiheit ein, ohne das eigentliche Problem, den Wohnungsmangel, zu beheben.