InterviewVanda Rothacker und Carola Schroeder, Union Investment

„Nachhaltigkeit ist ein Stück weit Risikomanagement“

Die Fondsgesellschaft Union Investment beklagt eine anhaltende Ämterhäufung in Aufsichtsräten und pocht auf Festhalten an starken ESG-Zielen trotz Politikwende in den USA.

„Nachhaltigkeit ist ein Stück weit Risikomanagement“

Im Interview: Vanda Rothacker und Carola Schroeder

„Nachhaltigkeit ist ein Stück weit Risikomanagement“

Union Investment beklagt anhaltende Ämterhäufung in Aufsichtsräten und pocht auf Festhalten an starken ESG-Zielen trotz Politikwende in den USA

Union Investment bescheinigt Dax-Unternehmen Fortschritte in der unabhängigen Besetzung der Aufsichtsräte, moniert aber eine Ämterhäufung in den Gremien. Governance-Expertinnen der Fondsgesellschaft appellieren an die Firmen, trotz des Politikwechsels in den USA an ESG-Zielen festzuhalten.

Frau Rothacker, Frau Schroeder, im aktuellen Corporate-Governance-Ranking von Union Investment ist der Notenschnitt im Dax nahezu stabil geblieben, obwohl Sie etwas strengere Anforderungen gesetzt haben. Haben die Unternehmen schnell reagiert?

Rothacker: Die Unternehmen reagieren auf neue Anforderungen immer mit einer gewissen Verzögerung. Das Ergebnis spiegelt wider, dass sich einzelne Unternehmen in ihrer Corporate Governance deutlich verbessert haben. Es gibt allerdings auch signifikante Verschlechterungen, so dass sich der Notenschnitt im Dax insgesamt mit 2,8 im Jahr 2024 etwa auf dem Vorjahresniveau von 2,7 gehalten hat.

Wer sind die Auf- und Absteiger?

Rothacker: Merck, Beiersdorf und Deutsche Telekom sind die größten Aufsteiger. Am stärksten nach unten ging es bei Vonovia, SAP und MTU.

Klassenprimus ist diesmal Infineon. Womit hat das Unternehmen gepunktet?

Rothacker: Infineon stellt das Kompetenzprofil des Aufsichtsrats sehr transparent dar. Es wird erkennbar, wie sich die zugeschriebenen Kompetenzen in den Lebensläufen der Gremienmitglieder wiederfinden. Wir begrüßen es sehr, wenn Unternehmen aktiv eine Verbindung zwischen Vita und Expertise herstellen. Das erleichtert die Beurteilung von Aufsichtsräten erheblich. Leider bieten das nur wenige Unternehmen, aber Infineon ist hier Vorbild.

Positiv hat uns überrascht, dass die Entlastungsquoten von Aufsichtsräten in den Hauptversammlungen zugenommen haben.

Vanda Rothacker, Union Investment

Gibt es weitere Pluspunkte?

Rothacker: Infineon besticht zudem mit einer breiten Unabhängigkeit im Aufsichtsrat, die auch für den Vorsitzenden und den Prüfungsausschuss gilt. Die Vergütungsstrukturen sind transparent dargestellt, und es gibt keine Ämterhäufung im Aufsichtsrat.

Overboarding und Unabhängigkeit von Aufsichtsräten bleiben ein Dauerbrenner schlechter Governance ?

Rothacker: Leider ja. Immerhin sehen wir über alle Unternehmen hinweg leichte Verbesserungen in der Unabhängigkeitsthematik, zum Beispiel in der Besetzung des Vorsitzes im Vergütungsausschuss. Es gibt auch eine kleine Verbesserung bei der Ämterhäufung, sie ist aber immer noch zu groß. Positiv hat uns überrascht, dass die Entlastungsquoten von Aufsichtsräten in den Hauptversammlungen zugenommen haben. Es ist auch insgesamt eine höhere Sitzungsteilnahme als in früheren Jahren zu erkennen. Im vergangenen Jahr gab es zudem keine Anträge auf Sonderprüfung. Immer mehr Unternehmen richten Nachhaltigkeitsausschüsse ein und verpflichten sich auf eine Biodiversitäts-Policy.

Also durchaus Lichtblicke?

Rothacker: Die Unternehmen kommen voran, aber immer noch zu langsam. Die Themen sind lange bekannt, aber die Umsetzung zieht sich hin.

Viele Vorstände sind leider immer noch der Meinung, dass ein Aufsichtsratsposten in ihrem Unternehmen für sie nur in Frage kommt, wenn sie in dem Gremium den Vorsitz übernehmen.

Carola Schroeder, Union Investment

Für Wirbel hat der Stimmrechtsberater ISS mit der neuen Vorgabe gesorgt, wonach ehemalige Vorstandschefs generell nicht in den Aufsichtsratsvorsitz wechseln sollen − unabhängig von Cooling-off. Unterstützen Sie diese Haltung, die ja der deutschen Regulierung widerspricht?

Schroeder: Viele Vorstände sind leider immer noch der Meinung, dass ein Aufsichtsratsposten in ihrem Unternehmen für sie nur in Frage kommt, wenn sie in dem Gremium den Vorsitz übernehmen. Wenn das nicht vorgesehen ist, lehnen sie die Nominierung ab. Aus unserer Perspektive ist Unabhängigkeit immer zu begrüßen. Unsere Policy zielt aber in dem Anspruch auf das gesamte Gremium. Wir verlangen, dass mehr als die Hälfte der Anteilseignerbank mit unabhängigen Persönlichkeiten besetzt ist.

Für Union Investment könnte unter dieser Vorgabe der Aufsichtsratsvorsitz also nicht unabhängig besetzt sein?

Schroeder: Ein unabhängiger Aufsichtsratsvorsitz ist unser Wunsch, es ist aber kein K.o.-Kriterium. Es kann Gründe geben, dass sehr geeignete und für das Amt fachlich hochqualifizierte Kandidaten die richtige Besetzung sind, auch wenn sie bestimmte Unabhängigkeitskriterien nicht erfüllen. Das lässt sich in einzelnen Fällen vertreten, solange ausreichende Unabhängigkeit im gesamten Gremium gegeben ist.

Gibt es Themen außerhalb des Aufsichtsrats, in denen sich Unternehmen generell verschlechtert haben oder schlecht aussehen?

Schroeder: Ein zentrales Manko ist aus unserer Sicht ein unzureichender Frauenanteil im Vorstand und den beiden Führungsebenen darunter. Nur 13 Unternehmen im Dax erreichen einen Frauenanteil von 30% im Vorstand. Nur acht Unternehmen zeigen diese Quote in den beiden Führungsebenen darunter. Das ist unbefriedigend, denn mit so niedrigen Anteilen wird kein Kandidatenpool aufgebaut. Eine Schwelle von 30% halten wir für notwendig, damit die Diversitätskriterien zum erhofften Ergebnis führen.

Sie nutzen das Ranking auch für den Dialog mit Unternehmen. Finden Sie die nötige Aufmerksamkeit in den Gesprächen oder zählt Corporate Governance in den Konzernen inzwischen eher zu den Commodities?

Rothacker: Das Ranking ist in den Gesprächen mit Aufsichtsräten immer noch sehr hilfreich. Viele Unternehmen kommen nach der Veröffentlichung auf uns zu, um das Ergebnis zu diskutieren − unabhängig davon, ob sie gut oder schlecht abgeschnitten haben. Sie bekommen die kritischen Punkte schwarz auf weiß, das ist sehr gefragt. Unterjährig hilft uns das Ranking  im gesamten Team, weil wir die Knackpunkte und Erfolge jederzeit fundiert beurteilen können.

Virtuelle Hauptversammlungen werden von Investoren generell kritisch gesehen. Mehr Dax-Unternehmen haben zuletzt einen häufigeren Wechsel zwischen Präsenz- und Online-HV zugesagt. Ist das aus Ihrer Sicht akzeptabel?

Rothacker: Die virtuelle HV ist unverändert nicht unser präferiertes Format. Wir finden es aber gut, dass Bewegung in das Thema kommt und die Unternehmen bei bestimmten Anlässen wechseln wollen. Das sollte Gespräche über das Format erleichtern, nachdem sich die Fronten in den vergangenen Jahren sehr verhärtet haben. Die Versprechen müssen aber auch eingehalten werden.

Es wäre sehr zu wünschen, dass sich die Unternehmen endlich auch an das Hybrid-Format herantrauen.

Vanda Rothacker, Union Investment

Bei welchen Anlässen halten Sie das Präsenzformat der Aktionärstreffen für unerlässlich?

Rothacker: Bei Aufsichtsratswahlen, Änderungen in der Vorstandsvergütung, Strukturveränderungen oder Kapitalbeschlüssen sollte es unbedingt einen Austausch in Präsenz geben. Es wäre sehr zu wünschen, dass sich die Unternehmen endlich auch an das Hybrid-Format herantrauen.

Im Say on Climate sieht man nach den beiden Vorreitern Alzchem und Gea keine Nachahmer. Bayer hat einen Rückzieher gemacht und die Abstimmung zum Klimaplan 2025 doch nicht auf die Tagesordnung gesetzt. Wünschen Sie sich hier mehr Initiative der Unternehmen?

Schroeder: Wir werden dies weiterhin einfordern. Hier sind wir klar positioniert und halten es für sinnvoll, dass Unternehmen den Aktionären ihre Transformationspläne vorlegen.

Sie haben kein Verständnis dafür, dass Unternehmen wie Bayer vorsichtiger sind nach dem Politikwechsel in den USA und dem Sinneswandel von US-Investoren?

Schroeder: Die USA sind in Sachen Klimaschutz sicherlich ganz anders unterwegs als Europa. Unternehmen mit größerer US-Präsenz agieren in vorauseilendem Gehorsam nun etwas vorsichtiger, um keine Nachteile zu erleiden. Das mindert aber nicht die Relevanz des Themas. Der Klimawandel schreitet weiter voran und muss begrenzt werden.

Einen Schwenk gibt es in den USA auch im Thema Diversität. Ist es akzeptabel, wenn europäische Firmen in ihren US-Einheiten diesem Sinneswandel folgen und ESG-Ziele anpassen?

Schroeder: Nein. Nachhaltigkeit ist ein Stück weit Risikomanagement. Diversity ist kein Modethema. Es ist nachgewiesen, dass gemischte Teams erfolgreicher sind. Unternehmen, die Klimaziele verwerfen, sind schon heute in Teilen davon bedroht, keinen Versicherungsschutz mehr zu bekommen. Solche Entwicklungen bestätigen unsere Position, dass man an ESG festhalten sollte. Natürlich muss man berücksichtigen, dass sich Unternehmen auch einem Risiko aussetzen können, wenn sie sich in dem Thema zu stark exponieren. Insgesamt aber bleibt das Thema mit Blick auf Chancen und Risiken relevant.

Das Risiko, als Diversity-Verfechter in den USA Geschäft zu verlieren, schätzen einige Unternehmen ja hoch ein.

Schroeder: Es ist natürlich wichtig, dass Unternehmen rechtssicher handeln. Gleichzeitig halten wir die Entwicklung in den USA für bedenklich. Es bleibt zu hoffen, dass sich nur die Verpackung und die Begrifflichkeit ändern, die Inhalte aber gleich bleiben.

Rüstung ist notwendig, aber nicht nachhaltig.

Carola Schroeder, Union Investment

Mit Blick auf die geopolitischen Risiken nehmen einige Vermögensverwalter inzwischen Rüstungsaktien in nachhaltige Fonds auf. Wie hält es Union Investment?

Schroeder: Wir haben uns anders entschieden und folgen weiterhin der Maßgabe: Rüstung ist notwendig, aber nicht nachhaltig. Wir investieren nur in konventionellen Fonds in Rüstungstitel, aber nicht in nachhaltigen Fonds. Klarheit und Wahrheit ist uns bei dem Thema sehr wichtig. Der Kunde kann sich für oder gegen Nachhaltigkeit entscheiden. Entscheidet er sich dafür, muss der Fonds auch nachhaltig sein. Die Rüstungsindustrie bekommt über konventionelle Fonds ja genug Geld.

Das Interview führte Sabine Wadewitz.

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