„Politik muss jetzt Entscheidungen treffen“
„Politik muss jetzt Entscheidungen treffen“
Bilfinger-Chef: Investitionsstau nur so zu lösen – Diskussion über Wochenarbeitszeit und Renteneintrittsalter „absolut richtig“
md Frankfurt
Thomas Schulz, Vorstandsvorsitzender des Industriedienstleisters Bilfinger, hat einen Wunsch an die deutsche Politik: "Dass nicht immer nur gute Ideen hin und her diskutiert werden, bis sie dann irgendwann totgelaufen sind“, sagte er vor Medienvertretern, „sondern einfach mal machen!“ Er versicherte den Entscheidungsträgern in Berlin den Umsetzungswillen der Wirtschaft: "Wenn Sachen – egal ob positiv oder negativ – entschieden sind, geht die Industrie zur Implementierung und Execution über.“

Foto: Bilfinger
Seine Aussagen offenbaren Unzufriedenheit mit der Wirtschaftspolitik der schwarz-roten Koalition seit Übernahme der Regierungsgeschäfte. „Wir hatten durch die Bundestagswahl ein bedeutend besseres Gefühl in der deutschen Industrie bekommen. Jetzt sind 100 Tage rum. Es wird langsam Zeit, mehr von den vielen Ideen, die aus dem Wirtschaftsministerium kommen, auch mal umzusetzen.“ Schulz nannte als Beispiel die Investitionsinitiative sowie höhere Ausgaben für Aus- und Weiterbildung, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen. „Die Politik ist schwach, wenn man über Sachen nur redet, aber nichts durchführt. In der Industrie sind sie nicht lange CEO, wenn sie so agieren. Da reden wir nicht über 100 Tage; da sind sie schneller weg.“
„Die Uhr tickt“
„In der Politik müssen jetzt Entscheidungen getroffen werden", wiederholte Schulz. „Dann gewinnt die Wirtschaft – vor allem auch die ausländische – wieder mehr Vertrauen." Laut dem CEO würde das den Investitionsstau lösen. Doch er warnt – „Die Uhr tickt“ – und appelliert: „Bitte Frau (Wirtschaftsministerin Katherina) Reiche und vor allen Dingen Herr (Bundeskanzler Friedrich) Merz: Tut mal was. Nicht nur darüber reden.“
„Absolut richtige Diskussion über Wochenarbeitszeit“
Schulz rät der Bundesregierung, erstens besser zu kommunizieren und zweitens zu sagen, was man in Deutschland machen will – „und dann auch bei der Stange zu bleiben“. Drittens „muss sich die Produktivität in Deutschland verbessern. Es ist eine absolut richtige Diskussion, über die Wochenarbeitszeit, die Belastung durch Sozialabgaben für Unternehmen und vor allem Privathaushalte, über Renten und das Renteneintrittsalter zu reden.“
„Deutschland ist der Nachzügler in Europa“, konstatiert Schulz. „Der Standort schwächelt erheblich." Doch abschreiben will der Bilfinger-Chef das Land noch lange nicht: „Wir sehen Licht am Ende des Tunnels.“ Konkreter: "Wenn in Deutschland die richtigen Entscheidungen umgesetzt werden, wird Deutschland wieder eine Wachstumslokomotive sein.“
Hoher Auftragseingang
Anlass des Pressegesprächs waren die Halbjahreszahlen, die Schulz und Finanzvorstand Matti Jäkel als „sehr gut“ einschätzten. Im zweiten Quartal hätten insbesondere der Auftragseingang mit einem Plus von 18% auf 1,77 Mrd. Euro – der höchste Wert seit mehr als zehn Jahren – sowie die Verdoppelung des freien Cashflow auf 53 (i.V. 26) Mill. Euro überzeugt. Erlöse und operatives Ergebnis kletterten um einen mittleren einstelligen Prozentsatz. Das Verhältnis von Auftragseingang zu Umsatz (Book-to-Bill) betrug den Angaben zufolge 1,31.
Eine höhere Nachfrage aus der Energie- und Pharmaindustrie haben dem Industriedienstleister Auftrieb gegeben. Zudem profitierte das Unternehmen von Zukäufen. Der Umsatz kletterte im zweiten Kalenderviertel um 4% (organisch: 2%) auf 1,35 Mrd. Euro. Damit traf Bilfinger die Erwartungen der Analysten. Das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen auf den Unternehmenswert (Ebita) legte um 6% auf 74 Mill. Euro zu. Zum Anstieg trug das aufgelegte Sparprogramm bei. Die Ebita-Marge kletterte im Jahresvergleich auf 5,5 (5,4)%. Das Nettoergebnis verharrte bei 48 Mill. Euro. Die verbesserte Ertragslage habe zur erhöhten Steuerquote von 28 (25)% geführt, erklärte CFO Jäkel den lediglich stabilen Überschuss.
Mitte der Prognosespannen angepeilt
Die Jahresprognose wurde bestätigt. Der Umsatz wird nach Schätzung des Managements zwischen 5,1 und 5,7 (5,04) Mrd. Euro liegen und die Ebita-Marge zwischen 5,2 und 5,8 (5,2)%. Beim freien Cashflow sei ein Wert zwischen 210 und 270 (189) Mill. Euro zu erwarten. „Wenn man sich die Volatilität des Umfelds anschaut, dann spiegelt sich die in den Prognosespannen wieder“, sagte Jäkel, betonte aber: „Für uns zählt immer der Mid-Punkt unserer Prognosespannen, und daran halten wir fest. Das obere und das untere Ende sehen wir als weniger wahrscheinlich an.“ Am 2. Dezember sollen auf dem Kapitalmarkt die neuen Mittelfristziele bis 2030 veröffentlicht werden.
Von Importzöllen nicht betroffen
Von neuen bzw. erhöhten Importzöllen, insbesondere in den USA; sieht sich Bilfinger nicht betroffen. „Unser Geschäft ist ein lokales Geschäft“, stellte Jäkel klar.
„Wir arbeiten fast ausschließlich auf Inlandsmärkten“, so der Bilfinger-Finanzchef. Grenzüberschreitende Leistungen, die „von Importzöllen betroffen sein könnten“, machten einen „verschwindend geringen Anteil am Umsatz“ aus. Bilfinger bekomme allenfalls indirekte Folgen zu spüren, wenn etwa die Chemie- und Pharmaindustrie aufgrund von Zöllen eine Verlagerung von Produktionsstandorten vornehme; “das passiert aber nicht über Nacht". Außerdem sei Bilfinger international tätig – „dann sind wir halt an dem neuen Standort mit dabei", gab sich der CFO entspannt.
Kurs steigt fast auf Rekordhoch
Im späten Handel am Donnerstag kostete die im MDax enthaltene Bilfinger-Aktie auf Xetra 96,80 Euro; ein Plus von 3,6%. Zum Rekordhoch von 98 Euro ist das nur noch ein geringer Abstand. Die Marktkapitalisierung des Unternehmens, das seinen Sitz in Mannheim hat, liegt bei 3,6 Mrd. Euro.
Thomas Schulz hat seinem Unmut über schleppende Entscheidungsprozesse in Berlin Luft gemacht. Es werde Zeit, "mehr von den vielen Ideen, die aus dem Wirtschaftsministerium kommen, umzusetzen“, sagte der Vorstandschef von Bilfinger. Nur so lasse sich das Vertrauen der Wirtschaft wiedergewinnen und der Investitionsstau lösen. Dem Industriedienstleister, der im zweiten Quartal Zuwächse verzeichnete, käme das zugute.