EU-Regulierung

Tohuwabohu um Greenwashing-Regeln

Im Streit über EU-Regeln gegen irreführende Werbeaussagen von Unternehmen in Bezug auf den Umweltschutz droht die EU-Kommission den EU-Gesetzgebern mit Rücknahme des Gesetzesvorschlags.

Tohuwabohu um Greenwashing-Regeln

Tohuwabohu um Greenwashing-Regeln

Drohung der EU-Kommission mit Rücknahme eines Gesetzesvorschlags entwickelt sich zur Machtprobe – Grüne und Sozialdemokraten empört

Sie zieht zurück, sie zieht nicht zurück, sie zieht zurück... – im Streit über EU-Regeln gegen irreführende Werbeaussagen von Unternehmen in Bezug auf den Umweltschutz droht die EU-Kommission den EU-Gesetzgebern mit Rücknahme des Gesetzesvorschlags. Einige Europaabgeordnete sind entrüstet.

fed Brüssel

In der EU eskaliert der Streit über die geplanten Regeln zur Vermeidung von Greenwashing. Die EU-Kommission droht damit, den Gesetzesvorschlag über irreführende, auf Umweltaspekte bezogene Werbeversprechen von Unternehmen wieder zurückzunehmen, falls die EU-Gesetzgeber (Rat und EU-Parlament) den Anwendungsbereich auf Kleinstunternehmen ausdehnen. Sozialdemokraten und Grüne werten diese Drohung der EU-Kommission als übergriffig – und drohen ihrerseits EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, sie generell nicht mehr unterstützen und damit die politische Zusammenarbeit der politischen Mitte platzen lassen zu wollen.

Aber der Reihe nach: Gegenstand der Debatte ist ein Gesetzesvorschlag, der dafür sorgen soll, dass Unternehmen (Banken sind ausgeschlossen) wahrheitsgetreu über Umweltaspekte der von ihnen vertriebenen Produkte und Dienste berichten. Verbraucher, die ein als umweltfreundlich beworbenes Produkt kaufen, sollen sicher sein können, dass es das auch wirklich ist: umweltfreundlich. Werbeversprechen wie „meeresfreundliche T-Shirts“ oder „100% CO2-kompensierte Lieferungen“ sollten durch das Gesetz genauer überprüft werden.

Die EU-Kommission hatte den Gesetzesentwurf zur so genannten Green Claims Directive im Frühjahr 2023 vorgelegt. Im März vorigen Jahres legten das EU-Parlament und drei Monate danach auch der Rat, also das Gremium der nationalen Regierungen, die jeweiligen Verhandlungspositionen für die Schlussberatungen fest. Im vergangenen Herbst startete der so genannte Trilog, begannen also die Schlussverhandlungen zwischen Rat und EU-Parlament. Sie sind nach Angaben aus dem EU-Parlament weit fortgeschritten und könnten bald abgeschlossen werden. Nun aber grätscht die EU-Kommission dazwischen und droht mit einem ihrer schärfsten Schwerter: Die EU-Kommission kann Gesetzesvorschläge, die sie gemacht hat, in jeder Phase des Gesetzesverfahrens wieder zurücknehmen.

Wenn-dann-Ansage

Eine Sprecherin der EU-Kommission erklärte am Montag, genau diesen Schritt werde die EU-Behörde gehen, falls sich die beiden EU-Gesetzgeber darauf verständigen, den Anwendungsbereich des Gesetzes auch auf die 30 Millionen Kleinunternehmen in der EU zu erstrecken – und nicht nur auf mittlere und große Firmen. „Wenn die EU-Gesetzgeber an diesem Änderungsantrag festhalten, ziehen wir die EU-Richtlinie zurück", lautet die klare Ansage. Falls wiederum der Änderungsantrag wegfalle, werde die EU-Kommission ihre Rücknahme-Ankündigung überdenken. In anderen Worten: Dann würde das Gesetz weiterverhandelt und voraussichtlich verabschiedet werden.

Die EU-Kommission begründet ihre Haltung damit, dass eine Einbeziehung der Kleinstunternehmen frontal gegen das Vorhaben der EU-Behörde verstoße, Gesetzgebung zu vereinfachen. Die EU-Kommission wolle nun das nächste interinstitutionelle Treffen abwarten, also entweder die folgende Trilogsitzung oder die Zusammenkunft der Ständigen Vertreter, um dann zu entscheiden, wie sie sich verhält. Bis dahin bleibt unklar, ob die EU-Behörde zurückzieht oder nicht.

Die grüne EU-Abgeordnete und Vorsitzende des Binnenmarktausschusses, Anna Cavazzini, ist außer sich. Sie spricht von „einem Schlag ins Gesicht von Verbraucherinnen und Verbrauchern“, die sich nach wie vor einem Dschungel irreführender und halbwahrer Werbeaussagen über Umwelt- und Klimafreundlichkeit ausgesetzt sähen. Sie macht die Parteienfamilie der Christdemokraten und Konservativen, die Europäische Volkspartei, verantwortlich, die EU-Kommission zur Rücknahme eines vor dem Abschlusses stehenden Gesetzes zu drängen – „ein nie dagewesener Vorgang“. Der polnische Ratsvorsitz habe aufgrund des dadurch entstandenen Durcheinanders die Trilogsitzung am Montag abgesagt. Wenn sich EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen „vor diesen Karren spannen lässt, verliert sie das Vertrauen von dem Großteil der Fraktionen, die sie gewählt hat", antwortete sie auf Fragen der Börsen-Zeitung.

„Beunruhigender Affront“

Auch Sozialdemokraten reagieren mit galliger Kritik. „Die Sozialdemokraten im Europäischen Parlament verurteilen aufs Schärfste die Erklärung des Kommissionssprechers, der seine Absicht ankündigt, die Richtlinie über umweltbezogene Angaben zurückzuziehen – nur wenige Tage bevor eine wichtige interinstitutionelle Vereinbarung abgeschlossen werden soll“, heißt es in einer Erklärung. Der Schritt sei „ein zutiefst beunruhigender Affront gegen den demokratischen Prozess.“ Entgegen der Behauptungen der EU-Kommission unterstütze eine starke parteiübergreifende Allianz im EU-Parlament „ein ehrgeiziges Ergebnis in dieser Angelegenheit.“ Der SPD-Abgeordnete Tiemo Wölken, Mitberichterstatter der Green-Claims-Richtlinie, sagte: „Diese Richtlinie ist wichtig, um Greenwashing zu bekämpfen."

Lob kam hingegen von Christdemokraten. „Die geplanten Regelungen waren unverhältnismäßig komplex und hätten einen hohen bürokratischen Aufwand verursacht“, erklärte der christdemokratische EU-Abgeordnete Andreas Schwab die Rücknahmedrohung der EU-Kommission.

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