Corporate Governance

Update für die Online-HV

Im Zuge der Pandemie mussten die Unternehmen notgedrungen abrupt auf virtuelle Aktionärstreffen umschalten, ein Zurück zur reinen Präsenz-Hauptversammlung ist nicht mehr zeitgemäß.

Update für die Online-HV

Die meisten Unternehmen haben aus der Not keine Tugend gemacht. Der pandemiebedingte Übergang der Hauptversammlung (HV) ins digitale Zeitalter hat in aller Regel dazu geführt, dass nur das per Notfallgesetz verlangte Minimalprogramm angeboten wurde. Die Anteilseigner mussten ihre Fragen vor dem Aktionärstreffen schriftlich einreichen, Redebeiträge oder Nachfragen während der Versammlung wurden von wenigen Ausnahmen abgesehen nicht erlaubt. Eine Schockwelle schickte zur Premiere der Baukonzern Hochtief in den Markt, der als erster im neuen Format nach 100 Minuten Kamera und Mikrofon abschaltete und gerade mal 17 Minuten für die Beantwortung von Fragen einräumte. Bayer bildete am selben Tag das Kontrastprogramm. Hier beantwortete der Vorstand stundenlang eintönig alle 245 Fragen von 40 Aktionären. Nicht überliefert ist, wie viele Teilnehmer diese lähmende Monotonie durchgestanden haben.

Die Beteiligung der Aktionäre im neuen Online-Format war überraschend hoch. Die Präsenzen der Dax-Konzerne kletterten auf Rekordhoch. Die Anzahl des registrierten Publikums am Bildschirm war mancherorts höher als zuletzt in den Präsenzveranstaltungen. Bei der Telekom stieg die Teilnehmerzahl von 3200 auf 3800. Es wurden in der Regel mehr Fragen gestellt und mehr beantwortet als üblicherweise, so die Statistik. Dass die Firmen mehr Zeit für die Erörterung der Themen hatten, dürfte die Qualität der Auskünfte erhöht haben. In der Liga unterhalb des Dax verfinstert sich dieses Bild allerdings, wie es in vielen Corporate-Governance-Themen leider noch der Fall ist.

Was man anfangs noch wohlwollend als Schockstarre akzeptieren konnte, hat sich im Verlauf der ersten virtuellen Saison leider nicht gelöst. Auch große Konzerne, die nur zu gern ihre Erfolge in der Digitalisierung preisen, haben wenig Bewegung gezeigt, die technischen Möglichkeiten auch in der Hauptversammlung auszuschöpfen. Die wenigsten Firmen haben die Reden von CEO und/oder Aufsichtsratschef vor dem Aktionärstreffen veröffentlicht, um den Anlegern die Chance für gezieltere Fragen zu geben. Noch gravierender ist die starre Haltung, keine Fragen und noch nicht einmal Nachfragen während der Online-Veranstaltung zuzulassen, um zumindest ansatzweise eine Interaktion zu ermöglichen. Die Enttäuschung der Investoren ist berechtigt, die Aktionärsrechte sind erheblich eingeschränkt worden. Für Anleger ist es entscheidend, in der HV nachhaken zu können, wenn Vorstand und Aufsichtsrat kritischen Themen ausweichen. Wenn eine Konfrontation nicht gewährleistet ist, verliert das Aktionärstreffen im Machtgefüge der Corporate Governance seine Funktion. Die breite Zustimmung zum Ergänzungsantrag der Siemens-Belegschaftsaktionäre, um das Rederecht in der Satzung zu verankern, dürfte nicht die letzte Protestaktion gewesen sein.

Der Makel eingeschränkter Aktionärsrechte haftet der virtuellen Hauptversammlung an, gleichwohl herrscht Einigkeit, dass es nach Bewältigung der Pandemie kein Zurück in die Zeiten der Präsenzveranstaltung im alten Format geben wird. Erfreulich dass Emittenten, Investoren und Politik nun offensichtlich an einem Update arbeiten. Nach derzeitigem Kenntnisstand wird sich dies in zwei Stufen vollziehen, denn die notwendige umfassende gesetzliche Reform der Hauptversammlung ist nicht auf die Schnelle zu bewerkstelligen. Hier geht es darum, wie man eine Hybridlösung aus Präsenzveranstaltung gekoppelt mit einer umfassenden Online-Teilnahmemöglichkeit reguliert. Dabei müssen die Aktionärsrechte umfänglich gewahrt werden, den Gesellschaften aber auch Instrumente an die Hand gegeben werden, um die HV in einem akzeptablen Zeitrahmen absolvieren zu können. Auf Unternehmensseite wird vor allem befürchtet, dass im Online-Format auf Knopfdruck eine nicht zu bewältigende Frageflut hereinschwappen könnte. Deshalb gibt es Überlegungen, wesentliche Teile des Dialogs mit den Aktionären schon vor die HV zu ziehen.

Um kurzfristig nachzubessern und zumindest ein Nachfragerecht ungeachtet des Formats zu garantieren, zeichnet sich eine gesetzliche Zwischenlösung für 2022 und 2023 ab – sofern ein Konsens hergestellt werden kann. Dies könnte gelingen, indem die Punkte noch an ein anderes laufendes Gesetzgebungsverfahren angekoppelt würden. Für 2021 sind die Unternehmen aufgerufen, selbst aktiv zu werden, Nachfragen zuzulassen und zu demonstrieren, dass es nicht immer den Zeigefinger des Gesetzgebers braucht.