Lebensversicherer

Der Sprung in das Asset­management

Deutschland ist ein Staat der Lebensversicherung. Der Niedrigzins pflügt diese Landschaft um. Vermögensverwalter gedeihen unter den neuen Bedingungen wesentlich besser als das Geschäft mit Garantien.

Der Sprung in das Asset­management

Das Verschwinden des Zinses hat die Welt der Kapitalanlage grundlegend verwandelt. Die Bundesbürger klagen verbreitet, dass ihre Sparbücher und Festgelder keine Rendite mehr abwerfen – und meist sogar Geld in Form von Verwahrgebühren kosten. Weniger Emotion erzeugt ein Wandel infolge des Niedrigzinses, der noch fundamentaler in die Finanzplanung aller Deutschen eingreift: Die Garantien verschwinden aus der Altersvorsorge, und Lebensversicherer verwandeln sich in Vermögensverwalter.

Die Bewohner Deutschlands gelten im Schnitt als risikoavers. Sie stellen dies eindrucksvoll unter Beweis mit ihrer Altersvorsorge. Denn es gibt hierzulande mehr Lebensversicherungen als Einwohner. Gut 83 Millionen Menschen haben mehr als 86 Millionen Verträge bei Lebensversicherungsunternehmen, Pensionskassen und Pensionsfonds gezeichnet. Gut die Hälfte sind Rentenversicherungen.

Rendite für Risiko

Der Deal bisher: Der Kunde gibt sein Geld, der Versicherer eine Garantie. Die Bürger erhalten nach vielen Jahren ihre Beiträge samt einer fest versprochenen Mindestverzinsung zurück – meist fiel der letztlich erwirtschaftete Satz sogar wesentlich höher aus als das Mindestversprechen.

Diese Zeiten weitgehend risikofreier, moderater Erträge sind vorbei. Die Bruttobeitragsgarantie werde in Zukunft keine große Bedeutung mehr haben, stellt Jörg Arnold, CEO von Swiss Life Deutschland, quasi stellvertretend für die Branche fest: „Weil sie in der Niedrigzinsphase einfach nicht darstellbar ist.“ Die Assekuranz singt daher seit einigen Jahren das Hohelied fondsgebundener Verträge ohne Garantien. Eine „Win-win-Situation“, wirbt Allianz-Finanzvorstand Giulio Terzariol für kapitalmarktnahe Anlagen.

Was gewinnt der Kunde? Eine potenziell höhere Rendite. Denn die Erträge der Garantie-Lebensversicherung sind in Zeiten, in denen festverzinsliche Anlagen weitgehend zinsfrei sind, so gering, dass eine vernünftige Altersvorsorge unmöglich wird. Wenn der Kunde Glück hat, erhält er noch einen Inflationsausgleich. Immer mehr Leute wählen daher fondsgebundene oder kapitalmarktnahe Lösungen. Halb zieht ihn die Assekuranz, halb sinkt er hin: Den Kunden lockt die Chance auf eine höhere Rendite als bei Verträgen mit Garantien, aber die Assekuranz streicht außerdem ihr Garantie-Angebot fast komplett zusammen. Den meisten Bundesbürgern bleibt keine Wahl.

Keine Rendite ohne Risiko: Diese einfache Wahrheit verdrängen manche allerdings gerne. In einer Welt, in der Vermögenswerte seit der Finanzkrise ständig teurer werden, rückt in den Hintergrund, dass auch lange Phasen kaum steigender oder gar sinkender Preise von realen Assets möglich sind. Aus gutem Grund hatte der Chef eines Versicherers noch unter dem Eindruck des Platzens der Dotcom-Blase erklärt, es könne gesellschaftlich nicht gewollt sein, dass der Einzelne das Kapitalmarktrisiko für seine Altersvorsorge tragen müsse.

Welche Vorteile hat der Versicherer? Erstens müssen sie nicht mehr fürchten, dem Kunden einen Zinssatz versprochen zu haben, der sich am Kapitalmarkt gar nicht mehr erwirtschaften lässt und der durch Quersubventionierung bezahlt werden muss. Zweitens müssen Garantie-Lebensversicherungen, so will es der Regulierer, mit viel Kapital unterlegt werden – die Kapitalkosten pro erwirtschaftetem Gewinn-Euro sind also hoch. Das Aufsichtsregime Solvency II reagiere übermäßig sensitiv auf Bewegungen von Zinssätzen, bemängelte Allianz-Chef Oliver Bäte kürzlich auf einer S&P-Konferenz. Die Risikokategorie Spread Risk ändert sich so stark, dass Überschusskapital für neues Geschäft sich quasi über Nacht in Luft auflösen kann.

Im Neugeschäft ist die Garantie großteils verschwunden. Nun packt die Branche die bestehenden Verträge an. Mancher Versicherer verkauft die laufenden Policen, andere Unternehmen geben einen Großteil der Anlagerisiken durch Rückversicherung ab.

Auf den ersten Blick mag man dies mit Achselzucken quittieren: Es wechselt ja nur der Eigentümer oder der Risikoträger, das Geschäft bleibt unverändert. Dies ist richtig, weil die Lebensversicherungskunden ja tatsächlich ihre versprochene Leistung erhalten. Darauf achtet der Regulator. Es ist aber auch falsch: Da es im Neugeschäft keine Wahlmöglichkeit mehr gibt, verändert der Lebensversicherer seinen Charakter. Bäte predigt wie kaum ein anderer Vorstandsvorsitzender diese Transformation. Die Lebensversicherung wandle sich von einer kapitalintensiven Aktivität in eine Vermögensverwaltung und ein Geschäft für den Schutz gegen biometrische Risiken wie Berufsunfähigkeit:  „Ob ein Produkt, das sie heute kaufen, unter Lebensversicherungs- oder Assetmanagement-Produkt läuft, ist häufig eine Frage der Nomenklatur.“

Nur noch ein Annex?

Es gibt einem guten Grund, dass die Allianz diesen Wandel treibt, und Bäte hält damit nicht hinter dem Berg: „Assetmanagement ist eine Säule des Allianz-Geschäfts.“ Man sei wahrscheinlich der zweitgrößte aktive Vermögensverwalter der Welt: „Und wir sind wahrscheinlich der einzige Anbieter in unserer Branche, der sowohl in der Lebensversicherung als auch in der Vermögensverwaltung so stark ist.“

Der Deutschland-Chef der Swiss Life ist da vorsichtiger. „Es hängt stark davon ab, was der Kunde oder die Kundin so möchte“, erklärt Arnold. Es gebe ganz unterschiedliche Risikopräferenzen. Am Anfang eines Verkaufsgesprächs werde diese genau festgehalten. Daraus speise sich die potenzielle Altersvorsorgelösung. Neben einer rein aktienbasierten Anlage gebe es auch die illiquiden Assets wie Immobilien und Infrastruktur: „Der Umgang mit illiquiden Assets fällt Versicherern viel leichter als der Assetmanagement-Industrie reiner Prägung.“

Zudem würden viele Kunden trotzdem einen gewissen Sockelbetrag ihrer Altersvorsorge abgesichert haben wollen: „Auch da ist es so, dass die Lebensversicherungswelt ihren Beitrag machen kann.“ Arnold weist auch auf die Möglichkeit der Verrentung hin. Diese „grenzt uns von den reinrassigen Assetmanagern ab“. Sein Fazit: „Wir werden nicht nur ein Annex werden, sondern wir werden schon ein selbständiges Angebot haben.“

Von Michael Flämig, München

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