Corona

Wirtschaft bemängelt Perspektiven

Die Wirtschaft hat mit Enttäuschung auf die Beschlüsse von Bund und Ländern zu Öffnungsschritten aus dem Corona-Zwangsstillstand reagiert. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) verteidigte die Ergebnisse des Verhandlungsmarathons.

Wirtschaft bemängelt Perspektiven

sp Berlin

Die Beschlüsse der Spitzen von Bund und Ländern zu den Bedingungen für Öffnungsschritte aus dem seit Anfang November geltenden Corona-Zwangsstillstand sind in der Wirtschaft überwiegend auf Kritik gestoßen. Neben dem Einzelhandel (siehe Bericht auf dieser Seite) bemängelten auch Vertreter des Gastgewerbes und der Hotellerie sowie die Reiseunternehmen fehlende Öffnungsperspektiven für ihre Branchen. Kritik an den Beschlüssen gab es aber auch von Intensivmedizinern, die nach den beschlossenen Lockerungsschritten vor einer dritten Infektionswelle warnen.

Bund und Länder hatten in ihren Beratungen am späten Mittwochabend eine Kehrtwende in der Coronapolitik vollzogen. So wird der Lockdown zwar bis zum 28. März verlängert, ab dem 8. März sollen aber trotz steigender Corona-Neuinfektionen Öffnungsschritte erfolgen. Anders als bisher vorgesehen sollen Lockerungen der Kontakteinschränkungen dann nicht mehr an eine Sieben-Tage-Inzidenz von 35 geknüpft werden. Stattdessen wurde ein Stufenplan beschlossen, der Öffnungen schon bei einer Inzidenz unter 50 und sogar unter 100 vorsieht.

Siegfried Russwurm, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), nannte die Beschlüsse „unzureichend“. Nach der längst überfälligen Einbindung der Wirtschaft in die Erarbeitung einer Öffnungsstrategie durch das Bundeswirtschaftsministerium sei es umso unverständlicher, dass die Einschätzungen der Industrie so wenig Einfluss auf die Beschlüsse genommen hätten. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hatte nach einem Wirtschaftsgipfel mit Vertretern von mehr als 40 Verbänden vor etwa zwei Wochen Vorschläge für eine Öffnungsstrategie eingeholt und am vergangenen Wochenende in einem fünfseitigen Papier zusammengefasst, in dem „anstelle der ausschließlichen Orientierung an bundesweiten Inzidenzwerten“ eine stärkere Berücksichtigung „der Nachverfolgungskapazität der jeweiligen Gesundheitsämter, der Auslastung der Intensivpflegekapazitäten und der Verfügbarkeit notwendiger Schutzkonzepte“ gefordert wurde.

Altmaier zeigte sich am Mittwoch dennoch zufrieden mit den Beschlüssen. „Für die Wirtschaft wurde viel erreicht“, sagte er der Sendergruppe RTL/ntv. So werde es bereits im März erste Öffnungsschritte geben. Zudem habe sich die Bund-Länder-Runde vom umstrittenen Inzidenz-Grenzwert 35 verabschiedet. „Die Inzidenz von 35, die sehr streng war, die viele verärgert und aufgeregt hat, die ist nicht mehr für die Öffnung Voraussetzung“, sagte der Minister. Man achte nicht auf bundesweite Inzidenzen, sondern auf die regionale Situation in jedem Landkreis und jeder kreisfreien Stadt. Es gebe für den Einzelhandel und die Gastronomie die Möglichkeit, in Teilen Deutschlands wieder an den Start zu gehen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte nach den Beratungen betont, sie habe den gelockerten Inzidenzregeln nur zugestimmt, weil gleichzeitig eine „Notbremse“ beim Wert 100 eingezogen worden sei. Beträgt die Zahl der neuen Positivtests pro 100000 Personen mehr als 100 in einer Woche, müssen dem Beschluss zufolge Lockerungsschritte wieder zurückgenommen werden. Die Lockerungen wurden auch damit gerechtfertigt, dass man mittlerweile verstärkt impfen und testen könne.

Gespräche über Schnelltests

Schnelltests sollen auch verstärkt in Betrieben eingesetzt werden und dann mit Selbstschnelltests ergänzt werden. Am Freitag soll es dazu Gespräche der Bundesregierung mit der Wirtschaft geben. Entscheidende Fragen seien noch offen, monierte BDI-Chef Russwurm. „Wir stehen zu unserem Angebot, die Impfstrategie durch einen koordinierten Einsatz von Betriebsärzten zu unterstützen“, ergänzte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger. „Die spontane Aufforderung, dies auch im Testen zu tun, werden wir im Rahmen unserer Möglichkeiten aufgreifen.“