Reaktionen zur Wahl

Wirtschaft warnt Politik vor neuer Regulierung und Bürokratisierung

Vertreter aus Wirtschaft und Finanzen haben die nächste Koalition aufgefordert, endlich den Ernst der Lage zu begreifen und bei der nötigen marktwirtschaftlichen Modernisierung den Regulierungs- und Bürokratiedschungel zu lichten.

Wirtschaft warnt Politik vor neuer Regulierung und Bürokratisierung

Ob es nun am Ende von Koalitionsgesprächen zu einer Jamaica- oder Deutschland-Koalition kommt – die Herausforderungen für den ökologischen Umbau des Industriestandorts Deutschland sind gewaltig und erfordern von einer neuen Regierung nicht nur eine große Ernsthaftigkeit, sondern auch den Mut eingefahrene Wege zu verlassen sowie bisher verschonte Bereiche mit Reformen neu auszurichten. Das ist die Tonlage in den Stellungnahmen zur Bundestagswahl, die von der Börsen-Zeitung von wichtigen Vertretern aus dem Wirtschafts- und Finanzsektor eingeholt wurden.

„Regierung der Vernunft“

Was die möglichen Koalitionen angeht, so spricht Ingo R. Mainert, CIO Multi Asset Europe bei Allianz Global Investors, von einem „Fotofinish“. Eine neuerliche große Koalition schließt er aus, weil diese politische Ehe „stark zerrüttet“ sei nach zwölf gemeinsamen Regierungsjahren. Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie in Deutschland bei BlackRock, sieht hier die FDP in einer starken Verhandlungsposition. Christian Kullmann, Präsident des VDI und Chef von Evonik, betont, dass die „viertstärkste Volkswirtschaft der Welt nun eine Regierung der Vernunft – und keine unvernünftige Umverteilung zulasten von Wachstum, Wohlstand und Innovation“ brauche.

Inhaltlich rechnet der Wirtschaftsweise Volker Wieland damit, dass der Klimawandel im Zentrum der künftigen Politik steht. Die Grünen würden viel herausholen können, wenn auch die Schuldenbremse wohl bestehen bleibe und Steuererhöhungen vermieden werden könnten. Schließlich könne auch ein CO2-Preis einiges an Einnahmen generieren. Christian Bruch, CEO von Siemens Energy mahnt vor diesem Hintergrund zu Ehrlichkeit: „Der Wahlkampf ist vorbei, die Parteien müssen nun bereits in den Koalitionsverhandlungen zeigen, dass sie es ernst meinen mit der Energiewende. Dazu gehört auch mehr Ehrlichkeit in der Debatte: Die Transformation wird schmerzhafte Einschränkungen mit sich bringen und, zumindest am Anfang, auch Arbeitsplätze kosten – trotzdem muss es uns gelingen, die Menschen auf dem Weg mitzunehmen, sonst wird die Zeche für die nachfolgenden Generationen noch teurer.“

Investitionsschub gefordert

Als „zentrale Aufgaben“ identifizieren alle Stellungnahmen neben der Einhegung des Klimawandels die Bereiche Digitalisierung und Bildung. Es bedürfe „dringender Investitionen in Infrastruktur und Digitalisierung“, betont etwa BlackRock-Ökonom Lück. Im Innern gelte es zudem, „die fortschreitende Erosion des gesellschaftlichen Mittelbaus aufzuhalten“. Und in der Außenpolitik brauche es „schnell Fortschritte bei der finanziellen und sozialen Integration Europas sowie eine Neupositionierung Deutschlands und Europas an der Seite der USA“.

Mainert verlangt zum einen massive Investitionen, um die technische Infrastruktur ins 21. Jahrhundert zu katapultieren, zum anderen eine Lichtung des Steuer-, Subventions- und Bürokratiedschungels. Er spricht von einem notwendigen „Entfesselungspaket für die Bürokratie“. Aus Sicht von Wieland wird der Umbau in Richtung eines zukunftsfähigen Deutschlands nur gelingen mit „starken Anreizen für private Investitionen in neue Klimatechnologien und die Digitalisierung“. Dabei müsse es deutlich schneller gehen als bisher, die notwendigen Investitionen auch umzusetzen. Die Verwaltung müsse digitaler werden, während Regulatorik und Genehmigungsverfahren verschlankt würden.

Finanzsektor einbeziehen

Dies ist auch ein Anliegen von Thilo Brodtman, Hauptgeschäftsführer des VDMA. Denn der Klimaschutz brauche eine „klare Roadmap“ und eine „klare Ansage, wie Genehmigungsverfahren beschleunigt und vereinfacht werden“. Außerdem verlangt er in diesem Zusammenhang, dass die steuerliche Forschungsförderung mehr Unternehmen als bisher zugänglich gemacht werde, um Forschung und Innovationen anzukurbeln.

Marija Kolak, Präsidentin des Bundesverbands der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), warnt die Politik vor zu starker Reglementierung. Denn eine künftige Regierung sei angesichts der großen Herausforderungen „auf eine starke Wirtschaft angewiesen“. Dazu zähle auch ein stabiler Finanzsektor mit seinen verschiedenen Säulen, der nicht unnötig eingeschränkt werden dürfte. Mainert spricht in diesem Zusammenhang vom Finanzplatz als „kommunizierende Röhren“, um die gewaltigen Finanzierungsströme in die richtigen Bahnen zu lenken. Das sei „aktuell leider weitgehend ein blinder Fleck und müsse wieder stärker ins Bewusstsein gerückt werden“.

Wirtschaftliche Aufbruchsstimmung

Nach Ansicht von BVR-Präsidentin Kolak geht es darum, dass die neue Regierung eine wirtschaftliche Aufbruchsstimmung entfache. Sie müsse zeigen, „dass es nicht nur um neue Regulierung oder neue Belastungen geht, sondern auch Spielraum für wirtschaftliche Innovation und Dynamik vorhanden ist“. Das ist auch das Anliegen von Evonik-Chef Kullmann. Klimaschutz, Wirtschaftswachstum und sichere Arbeitsplätze müssten „in Einklang“ gebracht werden. Grundsätzlich hätten die Menschen nämlich in großer Mehrheit eine wirtschaftsfreundliche Politik gewählt. Die Grünen seien nach ihren Höhenflügen wieder „im Normalmaß angekommen“. Sie hätten nun die Chance, eine stabile Regierung der ökonomischen Vernunft mitzutragen: für Wirtschaftswachstum, Innovation und Klimaschutz. Vor der Wahl hätten zudem alle großen Parteien angekündigt, das EEG abzuschaffen. Dieser Schritt sei nun endlich fällig.

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