China

Xi überrascht mit Klimapolitik

Die Volksrepublik China, der weltgrößte Emittent von Treibhausgasen nimmt Kurs auf die CO2-Neutralität und feiert gleichzeitig Kohlekraftwerksorgien.

Xi überrascht mit Klimapolitik

Von Norbert Hellmann, Schanghai

Bei langfristigen Klimaschutzmaßnahmen zur Reduktion des CO2-Ausstoßes und Verlangsamung der Erderwärmung führt kein Weg an China vorbei. Das bevölkerungsreichste Land der Erde ist auch der mit Abstand größte Schadstoffemittent und pustet mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre als die USA und Europa zusammen (siehe Grafik). Entsprechend erfrischend mag es da erscheinen, dass China wachsende Bereitschaft an den Tag legt, am Pariser Klimaschutzabkommen mitzuwirken und sogar eine eigene Agenda mit ambitionierten Zielen zur Steigerung der Energieeffizienz und langfristiger Erlangung der Klimaneutralität vorantreibt.

Im September 2020 zog Chinas Staatspräsident Xi Jinping bei einem Auftritt vor den Vereinten Nationen ein regelrechtes Karnickel aus dem Hut und verkündete dem erstaunten Publikum, dass sich das Reich der Mitte dem Ziel verpflichte, bis zum Jahr 2060 klimaneutral zu werden. Gleichzeitig sollen die CO2-Emissionen bis 2030 ihren Kulminationspunkt erreicht haben und dann langsam zurückgefahren werden.

Nun stellt sich die Frage, wie ernst das gemeint ist. Geht es Peking tatsächlich darum, in eine verantwortungsvolle Rolle für ein drängendes Problem zu treten? Oder will man nur Sympathie- bzw. Soft-Power-Punkte sammeln im globalen Rund? Bis zum Jahr 2060 mag es noch lange hin sein, doch wenn man China beim Wort nehmen will, müssen bereits in diesem Jahr erste Weichen gestellt werden. Tatsächlich drängt die Zeit. Die weltweit zweitgrößte Volkswirtschaft ist zwar Vorreiter in Sachen Wind- und Solarenergie und längst der wichtigste Markt für Elektrofahrzeuge, doch ist all dies Makulatur, wenn China nicht von fossilen Brennstoffen wegkommt.

Chinas Wirtschaftsplaner haben die Zielsetzung, die Energieeffizienz jährlich um 2 bis 3% zu verbessern, und betonen, dass der Energieverbrauch pro Einheit des Bruttoinlandsprodukts (BIP) weiter gesenkt wird. Das mag ein Schritt in die richtige Richtung sein, trifft aber nicht das Kernproblem einer Fixierung auf Energiegewinnung durch Kohlekraftwerke. Will China glaubwürdig in die Rolle einer Klimaschutz-Leitfigur schlüpfen, müsste das Land langfristig aus der Kohle als Energieträger aussteigen und möglichst rasch den Neubau von Kraftwerken stoppen, betonen Experten.

Gewaltiger Kapazitätsschub

Der Blick in die jüngere Vergangenheit lässt einen diesbezüglich jedoch regelrecht erschaudern. 2019 befanden sich knapp zwei Drittel der weltweit neu in Betrieb genommenen Kohlekapazität in China. Zur Anregung von schwächelnden Anlageinvestitionen ist es 2020 auf Lokalregierungsebene zu einer Flut an Neugenehmigungen für den Bau von Kohlekraftwerken gekommen. Was im Frühjahr 2020 noch als sinnvolle Konjunkturstimulierungsoffensive galt, beißt sich nun gewaltig mit der neu abgesteckten Klimaagenda.

Insgesamt erstrecken sich die Projekte auf eine gewaltige neue Kohlekapazität von etwa 73 Gigawatt, heißt in einer Studie des Forschungsinstituts Global Energy Monitor. Das sei das Fünffache der im Rest der Welt im Jahr 2020 kommissionierten Kohlenergieprojekte. Selbst im chinesischen Maßstab kommt dies einer regelrechten Kohleorgie gleich. Die Kapazität der 2020 neu genehmigten Projekte für die Verbrennung des schwarzen Goldes lag höher als in den drei vorangegangenen Jahren zusammengenommen.

China hat daher also gerade im ver­gangenen Jahr die denkbar schlechtesten Voraussetzungen geschaffen, um von der Kohlekraft loszukommen. Um hier auf den Pfad der Tugend zurückzukehren, bedarf es harter Einschnitte in der Energiegewinnungspolitik. Gemäß einer Schätzung des Draworld Environment Research kann China die neu gesteckten Ziele nur dann auch nur annähernd erreichen, wenn man bereit ist, die Kohlenergiekapazität bis zum Jahr 2030 um die Hälfte zurückzufahren. Da der Bremsweg lange ist, muss Peking möglichst bald und energisch in die Eisen gehen.

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