Lebhafter Handel

Finanzplatz München im Wandel

Der Finanzplatz München bietet lebhaften Handel an gleich zwei Börsenplätzen. Hinzu kommen kraftvolle Banken und Versicherungen und innovative Fin- und Insuretechs, welche die bayrische Metropole auszeichnen.

Finanzplatz München im Wandel

„Historiker sind rückwärtsgewandte Propheten“, heißt es bei Friedrich Schlegel – vor 250 Jahren in Hannover geboren, Kunsttheoretiker, Schriftsteller und Philosoph. 70 Jahre Börsen-Zeitung wirken im direkten Vergleich mit 250 Jahren kurz. Sie lassen Nichthistoriker über die Frage nachdenken: Was in aller Welt sind rückwärtsgewandte Propheten? Schlegel sprühte vor Einfällen und gilt als Haupttheoretiker der Romantik. Allerdings schuf er wenig Vorzeigbares; seine Frau bezeichnete ihn gar als „Gott der Faulheit“. Herausgeber der Börsen-Zeitung, ihre Redakteure und Journalisten sind dies sicher nicht. Sie sind fleißig, kennen so manche Geschichten, orientieren sich nach vorn und haben gute Ideen. All dies haben sie mit den Akteuren am Finanzplatz München und Bayern gemeinsam.

Blick in den Rückspiegel

„Bescheiden“ war die wirtschaftliche Leistung Bayerns in den frühen 1950er Jahren, so die Einschätzung von Christoph Zeitler in dem Buch „Die Geschichte des Finanzplatzes München“. Zahlen belegen: 1950 lag das Bruttosozialprodukt pro Einwohner bei 7 700 DM und damit um fast 10 % unter dem Bundesdurchschnitt. 2020 ist Bayern mit 46 498 Euro an zweiter Stelle hinter dem Stadtstaat Hamburg. Der Anteil der Landwirtschaft an der Bruttowertschöpfung Bayerns sinkt von 1950 bis 2020 von 15 % auf 0,8 %, der Anteil des produzierenden Gewerbes von 42 % auf 31,7 %. Heute überwiegt der tertiäre Sektor mit 67,6 % – noch auf solider industrieller Basis in Höhe von rund 20 %!

Durch Versicherer gestärkt

Die Übersiedlung von zehn Versicherungsunternehmen aus Berlin noch während und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg sowie weiterer Konzerne aus der sowjetischen Besatzungszone prägt die Entwicklung des Finanzplatzes Bayern, unter anderem Allianz, D.A.S., Deutsche Lloyd und Thuringia. München wächst mit den drei größten deutschen Versicherungsunternehmen – Allianz, Münchener Rück und Bayerische Versicherungskammer – nach Anzahl, Beschäftigten und Prämienaufkommen und wird Nummer 1 der Versicherungsplätze in Deutschland. Hinzu kommen Versicherungen, die ihre Standorte stolz in ihrem Namen tragen: Nürnberger und HUK-Coburg.1950 belegt Bayern im Bankensektor auf Länderebene bei Einlagen und Krediten nach Nordrhein-Westfalen den zweiten Rang. Banken wachsen mit den Flaggschiffen Hypo-Bank, Bayerische Vereinsbank und Staatsbank. Die Bayerische Raiffeisen-Zentralkasse mit Sitz in München ist 1950 das größte Institut der Raiffeisenorganisation in Deutschland. 1952 hatten die 193 bayerischen Sparkassen über 5 500 Beschäftigte, davon allein fast 1 000 Beamte. Bereits 1949 wird die Allgemeine Deutsche Investment GmbH – Adig gegründet. Sie ist die erste Investmentgesellschaft nach amerikanischem Vorbild auf deutschem Boden und legt 1950 den ersten Investmentfonds auf.

Die Bayerische Börse liegt zu dieser Zeit beim Aktienumsatz an der Spitze in Deutschland. Der Grund ist auch regulatorischer Natur: Es darf nur mit effektiven Stücken gehandelt werden. Und diese sind gegen Ende des Krieges von Berlin nach Bayern transferiert worden und nicht verbrannt. Deshalb kann die Bayerische Börse als erste Börse in Deutschland den Betrieb schon im August 1945 aufnehmen – zwar ohne Dach und mit nur einem Telefon, aber mit viel Engagement. 1951 liegt der Anteil an bayerischen Werten nur noch bei 50 % des Umsatzes. Heute bewegt sich Anteil ausländischer Aktiengattungen bei 65 % – Tendenz steigend.

Mit Durchblick nach vorn

Die aktuelle Stärke der bayerischen Wirtschaft demonstriert die Zahl von zehn Dax- (plus Siemens mit Doppelsitz Berlin-München), neun MDax- und 16 SDax-Unternehmen in München und Bayern. 100 der Top-500-Familienunternehmen haben ihren Sitz im Freistaat.Der Finanzplatz München ist bei Versicherungen an erster und bei Finanzinstituten an zweiter Position in Deutschland. Er ist breit aufgestellt. Eine Vielzahl von Assetmanagern verwalten mehr als 1 Bill. Euro; rund 70 Versicherungsunternehmen beschäftigen etwa 63 000 Mitarbeiter; 74 Sparkassen, 263 Genossenschaftsbanken und 51 Privatbanken haben knapp 100 000 Mitarbeiter. HypoVereinsbank (UniCredit) und Bayerische Landesbank (BayernLB) zählen zu den zehn wichtigsten deutschen Banken. Mit der LfA Förderbank Bayern und der Bayerischen Landesbodenkreditanstalt sind bedeutende Förderbanken in München beheimatet.Laut Fintech-Studie von Comdirect und Barkow Consulting nimmt München regelmäßig Rang 2 hinter Berlin ein – für 2020 mit 116 Fintechs in München, die in 49 Finanzierungsrunden rund 433 Mill. Euro für ihre Ideen erhalten haben. Sieben „Einhörner“, die mit ihrer Marktkapitalisierung die Milliarden-Dollar-Marke übertreffen, gibt es in München, darunter das stark wachsende Fintech Scalable Capital sowie das Finanzportal Check24. Grund für diese positive Entwicklung sind Finanzierungen, die auch etwa 50 Private-Equity-Gesellschaften sowie Venture-Capital-Unternehmen in München bereitstellen.

Auch die Bayerische Börse mit ihren Börsenplätzen Börse München und gettex entwickelt sich in diesem Umfeld beachtlich. gettex legt 2021 über alle Gattungen um 145 % beim Orderbuchvolumen und um 261 % bei den Orderausführungen zu. Grund für dieses Wachstum sind Neukunden. 17,1 % der über 14-Jährigen sind in Aktien, Aktienfonds oder aktienbasierte Exchange Traded Funds (ETFs) investiert, so das Deutsche Aktieninstitut. Sie sind vielfach Kunden von Neobrokern und nutzen gettex. Schon altersmäßig sind sie „gekommen, um zu bleiben“. Sie gilt es mit innovativen Konzepten und stabilen Systemen, mit Qualität und Schnelligkeit zu bedienen, egal ob als Börsenorganisator, Bank oder Versicherung.

Jüngere Menschen begeistern

Das haben auch Neobroker erkannt. Ihr Geschäftsmodell mag unter dem Stichwort „Payment for Orderflow“ (PFOF) kritisch untersucht werden. Tatsächlich ist deren Wachstum ungebrochen. Sie schaffen es, jüngere Menschen an die Börse heranzuführen. Das ist nicht nur aller Ehren wert. Das gilt es, positiv zu begleiten. Ein Beispiel: Sparplan­orders würden im Keim erstickt, sollten pro Trade Kosten von 1 Euro bei einem Auftragsvolumen von 25 Euro aufgerufen werden (müssen).

Das diskutierte Verbot des PFOF ist kontraproduktiv, will man auf europäischer Ebene die Kapitalunion fördern und in Deutschland die Altersvorsorge auf zusätzliche Beine stellen. Deshalb ist es richtig, von einer Demokratisierung des Wertpapierhandels zu sprechen. Deshalb ist es richtig, dass es eine Segmentierung nach Kunden im Wertpapierhandel gibt und sich dies in den verschiedenen Handelsmodellen niederschlägt, wohlgemerkt, ohne dass die Kunden benachteiligt würden.

Der private Anleger ist auf gettex bestens aufgehoben. Das Marktmodell ist auf ihn zugeschnitten und auf seine Dienstleister – egal ob Neobroker wie Scalable Broker, Smartbroker und Finanzen.net zero, egal ob Comdirect, Consorsbank, ING oder die über die dwp Bank angebundenen Privatbanken, genossenschaftliche Institute oder Sparkassen. Er bekommt knapp 400 000 Wertpapiergattungen geboten – mit der Baader Bank und drei Zertifikate-Emittenten als Marketmaker (Goldman Sachs, HSBC und UniCredit Bank).

Zuverlässige Begleitung

Anders als 1945 geht es 2022 nicht mehr um effektive Stücke. Kryptowährungen, Stablecoins oder tokenisiertes Giralgeld sind Themen. Experten erwarten sich zum Beispiel von einem programmierbaren Euro Synergieeffekte für Industrie und Finanzwirtschaft auf Basis der Distributed-Ledger-Technologie (DLT), so das Ergebnis einer Untersuchung von Prof. Philipp Sandner, die das Frankfurt School Blockchain Center für die Finanzplatz München Initiative (fpmi) erstellt hat.

Friedrich Schlegel hat recht, wenn er behauptet: „Denke dir ein Endliches ins Unendliche gebildet, so denkst du einen Menschen.“ Menschen gestalten den Finanzplatz und Wirtschaftsstandort München und Bayern, und die Börsen-Zeitung wird sie dabei zuverlässig begleiten!

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