James Von Moltke

Deutsche-Bank-Finanzvorstand hält an Prognosen fest

Obwohl Krieg, Inflation und Rezessionssorgen die Welt seither verändert haben, hält James von Moltke die im März 2022 veröffentlichten Prognosen für wasserdicht.

Deutsche-Bank-Finanzvorstand hält an Prognosen fest

Herr von Moltke, als wir uns im Mai 2019 das letzte Mal zum Interview getroffen haben, steckte die Deutsche Bank tief in den roten Zahlen, die Erträge bröckelten weg und der Aktienkurs dümpelte bei ungefähr sechs Euro. Und Sie sagten diesen bemerkenswerten Satz, dass es vor allem darum gehe, das Narrativ über die Deutsche Bank zu verändern.

Was ich damit sagen wollte: Wir mussten auf vielen Ebenen das Vertrauen in das Unternehmen zurückgewinnen. In den Jahren zuvor hatte es diverse Wechsel im Management gegeben und einige Versuche einer strategischen Neuausrichtung. Es war uns bis dahin nicht gelungen, das Vertrauen in die Deutsche Bank wiederherzustellen. Genau in der Zeit, in der wir uns damals unterhielten, beschäftigten wir uns im Vorstand mit der Entscheidung für die Transformation der Bank.

Und darauf bezog sich Ihre Äußerung mit dem Narrativ?

Ja. Die Herausforderungen, vor denen wir standen, waren sehr vielschichtig. Aber wenn man ganz oben bei der Strategie anfängt, dann ist es eine elementare Frage, wie die Bank von Kunden, Investoren, Mitarbeitern und anderen wichtigen Interessengruppen gesehen wird – es geht also gewissermaßen um das Narrativ.

Wie lautete das Ihrer Meinung nach in der Zeit?

Die gängige Meinung war damals: Die Deutsche Bank versucht zwar, sich an die neue Realität nach Finanz- und Eurokrise anzupassen. Aber die Einschnitte gehen niemals tief genug, um zu einem nachhaltigen, erfolgreichen Kerngeschäft zu kommen. Unseren Investoren, Kunden und auch Mitarbeitern wäre es damals schwergefallen, das Ge­schäftsmodell der Deutschen Bank in ein paar kurzen Sätzen zu er­klären.

Hat sich das geändert?

Ja, ganz eindeutig. Wir haben jetzt ein klares Geschäftsmodell mit vier Kernsparten, das sich an den Bedürfnissen unserer Kunden orientiert und nachhaltig profitabel ist. Dadurch hat sich der Blick auf die Bank erstmals seit Jahren erheblich geändert. Das hat einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass sich das Vertrauen bereits nach relativ kurzer Zeit wiedereinzustellen begann.

Von einem Finanzvorstand erwartet man eigentlich eher, dass er sich über die Kennziffern Gedanken macht als über das Narrativ.

Natürlich sind Kennziffern wichtig. Im Zentrum der Transformation stand von Anfang an, unsere Eigenkapitalrendite auf 8 % nach Steuern zu verbessern. Um das zu erreichen, ging es auch darum, die Bilanz zu verkleinern und uns auf Geschäfte zu konzentrieren, in denen wir führend waren und die weniger Kapital erfordern. Aber wir brauchten auch eine genaue Vorstellung davon, wie die Bank künftig aussehen sollte – nur so konnten wir einen Pfad einschlagen, dem auch unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter folgen konnten. Um die Menschen mitzunehmen, kann man sich nicht allein auf Finanzkennziffern konzentrieren. Die strategische Richtung muss stimmen. Nur so kann man alle Energie bündeln, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Und ich glaube, das ist uns gelungen. Wer hätte uns damals zugetraut, dass wir nach neun Monaten des Jahres 2022 sagen können: Wir haben einen Vorsteuergewinn von fast 5 Mrd. Euro erreicht und sehen uns auf Kurs, unsere zentralen Finanzziele zu erreichen – und das nicht zuletzt dank eines gestiegenen Ergebnisbeitrags unserer Unternehmensbank und der Privatkundenbank, wie wir ihn uns vorgenommen hatten.

Was würden Sie rückblickend anders machen?

Ich werde nicht behaupten, dass wir in den letzten dreieinhalb Jahren alles perfekt hinbekommen haben. Im Nachhinein finden sich immer Themen, die man in der Rückschau vielleicht anders entschieden hätte und Dinge, die man früher hätte priorisieren können. Dann muss man sich fairerweise aber auch fragen, welche Informationen zum damaligen Zeitpunkt schon vorlagen. Die großen Entscheidungen und Weichenstellungen haben sich als richtig erwiesen, auch in der Rückschau. Wir sind zufrieden mit dem Fortschritt.

Und es gibt nichts, von dem Sie sagen würden: Das hätten wir anders anpacken sollen?

Nein, jedenfalls keine großen Themen. Natürlich haben wir das eine oder andere Detail im Laufe der Zeit korrigiert. Und natürlich gibt es Themen, bei denen wir gerne schon ein bisschen weiter wären.

Bei welchem zum Beispiel?

Ganz oben auf dieser Liste sehe ich das Thema Daten. Das ist eine Herausforderung für die gesamte Branche. Wir investieren erheblich, um unsere Daten besser nutzen zu können. Denn das wird uns in vielen Bereichen helfen, effizienter zu arbeiten. Das sind sehr umfassende Projekte, die Zeit brauchen. Auch wenn hier noch Arbeit vor uns liegt, ist die Transformation, die wir in den vergangenen Jahren erreicht haben, insgesamt bemerkenswert.

Welchen Anteil hatte das Timing daran? Zuletzt haben ja die Zinserhöhungen in den USA und der Eurozone der Deutschen Bank in die Hände gespielt.

Ja, das stimmt, aber der Zinsanstieg kam erst 2022, und erst seitdem profitieren unsere Erträge davon. Davor war es genau umgekehrt: Als wir unsere Pläne 2019 vorstellten, und auch in den Jahren danach, blies uns auf der Zinsseite ein strammer Gegenwind ins Gesicht. Ziemlich genau als wir den Konzernumbau ankündigten, signalisierte der Markt plötzlich einen weiteren Rückgang der Zinserwartungen. In den Jahren 2020 und 2021, also der herausforderndsten Phase unserer Transformation, waren die Zinsen deutlich niedriger, als wir das erwartet hatten – das war eine erhebliche Belastung für uns.

Seither hat der Aktienkurs der Deutschen Bank um fast 70 % zu­gelegt. Spiegelt das den Restrukturierungserfolg angemessen wider?

Ich bin grundsätzlich sehr zurückhaltend, wenn es darum geht, unseren eigenen Aktienkurs zu bewerten. Aber es ist unübersehbar, dass das Bild, das Investoren, Analysten und Ratingagenturen von uns haben, heute deutlich positiver ist als damals. Alle großen Ratingagenturen haben uns seitdem hochgestuft. Trotzdem ist auch offensichtlich, dass noch ein Stück Arbeit vor uns liegt. Unsere Marktbewertung weist noch immer einen deutlichen Abschlag gegenüber unserem Buchwert und auch gegenüber einigen Wettbewerbern auf. Natürlich wünsche ich mir, dass dieser Abschlag kleiner wird. Aber dieser Prozess kostet Zeit, wir müssen Geduld haben – zumal das Kapitalmarktumfeld derzeit natürlich stark von politischen und wirtschaftlichen Unsicherheiten geprägt ist. Das hat sich natürlich auch in unserem Aktienkurs niedergeschlagen.

In diesem Frühjahr haben Sie die Finanzziele für die kommenden Jahre bis 2025 vorgestellt.

Richtig. Wir wollen eine Nachsteuerrendite auf das materielle Eigenkapital von mehr als 10% erreichen und die Aufwand-Ertrags-Relation unter 62,5% bringen – bei einem durchschnittlichen jährlichen Ertragswachstum von 3,5 bis 4,5% zwischen 2021 und 2025.

So haben Sie das gut zwei Wochen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine formuliert. Seither hat sich die Welt verändert. Wir haben nicht bloß einen historischen Anstieg der Inflationsraten gesehen in Europa und in den USA, sondern auch ebenso historische geldpolitische Antworten der Notenbanken. Erfordert das nicht eine Überarbeitung der Ziele?

Nein, ich glaube nicht. Wir versuchen immer, in die Planung einzubeziehen, wie sich die Welt unserer Meinung nach entwickeln wird. Natürlich haben wir uns die Frage gestellt, ob die Entwicklungen der vergangenen Monate es nötig machen, unsere Strategie zu verändern. Wir sind jedoch zu dem Schluss gekommen, dass uns die Ereignisse seit Februar sogar darin bestätigen, dass wir mit unserer Ausrichtung richtig liegen.

Inwiefern?

Als wir uns 2021 Gedanken über die Strategie machten, die wir dann im März vorgestellt haben, stand für uns die Frage im Zentrum, was wir für dieses Jahrzehnt erwarten. Im Austausch mit unseren Volkswirten kamen wir zum Schluss, dass es ein schwieriges und volatiles Jahrzehnt sein wird, das uns auch als Gesellschaft vor große Herausforderungen stellen wird. Ein Jahrzehnt mit steigenden Zinsen und mit inflationären Tendenzen. Und mit aktiveren Regierungen, die sich mehr in das Wirtschaftsleben einmischen werden als bislang und dafür auch mehr Schulden aufnehmen werden. Für uns war klar: Darauf müssen wir uns als Bank einstellen. Und auch wenn wir das Jahr 2022 so natürlich nicht vorausgesehen haben, bestätigt es letztlich unsere Erwartungen – es hat nur viele dieser Entwicklungen noch einmal beschleunigt. Damit stimmt die Ausrichtung unserer Geschäftsbereiche weiterhin. Unsere Unternehmensbank zum Beispiel ist erfolgreich, weil wir unsere Kunden genau bei den Themen unterstützen, die aktuell die großen Herausforderungen sind. Finanzierung von Lieferketten, Absicherung gegen Währungskursschwankungen und der gesamte Zahlungsverkehr sind gerade jetzt essenziell für Unternehmen weltweit.

Aber auch wenn die große Linie stimmt, können Sie die Auswirkungen der geopolitischen Veränderungen, die erst später eingetreten sind, doch kaum in betriebswirtschaftliche Kennziffern umgesetzt haben?

Natürlich wird der Weg immer ein bisschen anders verlaufen als geplant – das ist ganz normal, wenn Sie ein Unternehmen in einem dynamischen Umfeld steuern. Und wir werden gewiss hier und da auch auf externe Veränderungen des Umfelds reagieren. Aber wir arbeiten weiterhin auf unsere Ziele hin, ebenso wie wir uns 2019 von der unerwarteten Zinsentwicklung nicht vom Weg abbringen ließen.

Damals war die Skepsis des Marktes in gewisser Weise ein Vorteil, weil es Sie davor bewahrt hat, zu viel zu versprechen. Investoren werden in der Regel ja lieber positiv überrascht.

Richtig ist, dass sich die Erträge und Ergebnisse über die vergangenen Quartale besser entwickelt haben, als der Markt uns das zuvor zugetraut hatte. Das begann im Sommer 2021, als Christian Sewing in der Telefonkonferenz zu den Zahlen für das zweite Quartal sagte, dass die Erträge der Unternehmensbank den Tiefpunkt erreicht hätten. Danach setzte tatsächlich ein Wachstum ein, das nicht nur die Erwartungen des Marktes, sondern auch unsere eigenen Planungen noch übertroffen hat. Das war wichtig und sicher auch positiv für unsere Glaubwürdigkeit.

Trotzdem haben Sie die Ziele davor im Großen und Ganzen auch schon erreicht.

Ja, das lag unter anderem daran, dass wir uns auf die unerwarteten Marktentwicklungen während der Corona-Pandemie gut einstellen konnten. Ich will nicht verhehlen, dass es uns 2020 mit einer gewissen Sorge erfüllt hat, dass unser Umbau plötzlich in eine weltweite Pandemie fiel. Letztlich blieb uns aber ohnehin nichts anderes übrig, als uns weiter voll und ganz auf die Restrukturierungsarbeit zu konzentrieren und die Transformation in Angriff zu nehmen.

Wie definieren Sie den Unterschied zwischen Restrukturierung und Transformation?

Unter Restrukturierung verstehe ich vor allem, sich von Geschäftsfeldern zu trennen, Sachkosten zu reduzieren und leider auch Stellen abzubauen. Das war natürlich ein wichtiger Teil unserer Neuausrichtung, denken Sie etwa an den Ausstieg aus dem Aktienhandel oder die Trennung von unserem Prime Brokerage, also dem Hedgefonds-Geschäft. Zu unserer Transformation gehörte aber weit mehr als das – unter anderem Investitionen in die Geschäftsfelder, auf die wir uns konzentriert haben, Investitionen in Wachstum und neue Technologie.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Zum Beispiel die Einführung der Cloud-Technologie. Auch wenn der Prozess bei Weitem noch nicht abgeschlossen ist, wird unsere Partnerschaft mit Google dafür sorgen, dass wir unsere Geschäfte künftig so aufsetzen können, dass Innovationen erleichtert werden und gleichzeitig unsere Kosten sinken. Das ist ein einschneidender Transformationsprozess, der uns in eine völlig neue Umgebung führen wird.

Ein Transformationsprozess, der eine weitere Restrukturierungnach sich ziehen wird, oder?

Es geht dabei nicht um einen nennenswerten Stellenabbau, wenn Sie das meinen. Aber Technologie wird dafür sorgen, dass wir unsere Produkte und Dienstleistungen noch wettbewerbsfähiger anbieten und Innovationen schneller an den Markt bringen können. Wir haben da künftig ganz andere Möglichkeiten als bisher.

Das Interview führte Anna Sleegers.

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