Finanzplatz Deutschland

„Deutschland sieht Verzwergung der Bankenbranche tatenlos zu“

Der Finanzplatz Deutschland ist in den vergangenen Jahren im internationalen Vergleich dramatisch zurückgefallen. Das gilt für den Finanzsektor insgesamt, aber vor allem für die Bankenbranche. Eine entsprechende Studie hat die Deutsche Bank veröffentlicht, inzwischen aber wieder zurückgezogen.

„Deutschland sieht Verzwergung der Bankenbranche tatenlos zu“

kb Frankfurt

Der Finanzplatz Deutschland ist in einem erschreckenden Zustand, folgt man der Analyse von Jan Schildbach vom Research Management der Deutschen Bank. Kein einziges größeres Land auf der Welt habe „seine Bankenbranche derart vernachlässigt und ihrer Verzwergung tatenlos zugesehen wie Deutschland“. Es brauche dringend einen neuen Aufbruch, fordert Schildbach.

„Sklerotisch“

Seiner Ansicht nach verharrt der Finanzplatz seit vielen Jahren strukturell im Dornröschenschlaf. Allen Restrukturierungen seit der Finanzkrise, allen Zusammenschlüssen unter Geschäftsbanken, Sparkassen und Genossenschaftsbanken, allen verbesserten internen Kontrollen und Aufsichtsbemühungen sowie allen Digitalisierungsprojekten zum Trotz sei der hiesige Finanzplatz im internationalen Vergleich dramatisch zurückgefallen. Das gelte vor allem für die Bankenbranche, die „chronisch wachstumsschwach, strukturell sklerotisch, außerordentlich wenig profitabel und viel zu ineffizient“ sei. Selbst ein Jahrzehnt nach der Finanzkrise seien die Banken immer noch in endlosen Restrukturierungen gefangen, während diese in anderen Ländern schon abgeschlossen seien und Banken dort nach vorn schauen könnten. „Deutsche Banken spielen als Branche insgesamt international nicht einmal mehr die zweite, sondern nur noch die dritte Geige“, moniert Schildbach.

Abzulesen sei dies an der Marktkapitalisierung. Nach Börsenwert liege der stärkste deutsche Vertreter global nur auf Rang 84, selbst hinter Banken aus Schwellenländern wie Indien, Indonesien, Saudi-Arabien oder Katar, konstatiert er mit Blick auf die Deutsche Bank. In den vergangenen 20 Jahren habe die größte deutsche Bank nominal die Hälfte ihres Marktwerts verloren, andere deutsche Großbanken habe es noch schlimmer getroffen, oder sie hätten sogar aufgehört zu existieren. Den deutschen Kapitalmarkt bezeichnet der Autor als unterentwickelt, etwa mit Blick auf den wenig genutzten Primärmarkt für Unternehmensanleihen sowie auf den relativ kleinen deutschen Aktienmarkt. Es sei „geradezu symptomatisch, dass die führende Börse Deutschlands in den letzten Jahren mit einer Vielzahl von Fusionsvorhaben gescheitert und international deutlich zurückgefallen ist“. Die kometenhaft aufgestiegene Biontech oder auch Curevac bevorzugten einen Börsengang in den USA.

Hart ins Gericht geht Schildbach mit den Zuständen bei der Finanzaufsicht BaFin, unter deren Augen in den vergangenen 15 Jahren derart viele Finanzskandale stattgefunden hätten wie kaum in anderen Indus­trieländern weltweit, wo man Defizite angepackt, schärfere Gesetze beschlossen, das Aufsichtssystem reformiert habe und italienische sowie griechische Banken ihren Bestand notleidender Kredite abgebaut hätten. Dagegen habe sogar die Staatsanwaltschaft mittlerweile offizielle Ermittlungen gegen die BaFin wegen deren Rolle im Wirecard-Skandal eingeleitet. Jahrelang hätten sich die Abgeordneten in Untersuchungsausschüssen auch mit Hypo Real Estate und Cum-ex beschäftigt, und „trotzdem hat sich in der ganzen Zeit an Struktur, Aufgaben oder Kompetenzen der Finanzaufsicht (bislang) fast nichts geändert“.

„Beschämend“

Schildbach bezeichnet dies als „beschämend“, da die vielen Vorfälle nicht nur kostspielig waren, sondern auch „katastrophal für das Ansehen des Finanzstandorts im Ausland“. Die Resistenz gegen offensichtlich notwendige, dringend gebotene Veränderungen scheine innerhalb der Institutionen, einschließlich des Finanzministeriums und des Bundestags, zu dominant zu sein, weswegen eine BaFin-Reform überfällig sei, resümiert der Analyst, den die infolge des Wirecard-Skandals eingeleiteten Veränderungen in der Aufsicht offensichtlich nicht zufriedenstellen. Der Behörde fehle es an einem Selbstverständnis, das auch kriminalistischen Spürsinn und echte Prüferqualitäten umfasse. Auch die Qualifikation der Mitarbeiter zeige erhebliche Defizite, etwa was die fachliche Expertise beim kritischen Blick auf Bilanzen und Gewinn- und Ertragsrechnungen angeht. Unter mehr als 2700 Mitarbeitern insgesamt beschäftige die BaFin gerade einmal fünf Wirtschaftsprüfer.

Auch der BaFin-Standort sei problematisch, denn die Finanzaufsicht sitze völlig allein auf weiter Flur in Bonn, das Finanzministerium dagegen in Berlin und die Notenbank in Frankfurt. In Bonn dürfte den BaFin-Mitarbeitern der intensive Austausch mit den beaufsichtigten Instituten sowie mit anderen Entscheidungsträgern fehlen.

Reformen seien auch am deutschen Bankensystem „völlig vorbeigegangen“. Nach Ansicht von Schildbach hat die „starre Separierung in drei Säulen eine weiter gehende Konsolidierung und Privatisierung verhindert, das Vordringen ausländischer Wettbewerber begünstigt und einen fast beispiellosen Bedeutungsverlust deutscher Kreditinstitute im internationalen Vergleich zur Folge gehabt“. Eine Flexibilisierung hält er daher für überfällig, um Risiken für die Kunden, Steuerzahler und die Finanzstabilität zu verringern.

Eine weitere Hürde für die deutsche Bankenbranche seien die Unternehmenssteuern von 30%, die über dem internationalen Durchschnitt von 22% lägen. Während „im Rest der Welt“ diese Steuern seit der Finanzkrise gesenkt worden seien, habe Deutschland in diesem sehr dynamischen Umfeld steuerpolitisch stillgestanden, „geprägt von Selbstzufriedenheit und Desinteresse an Wirtschaftspolitik“. Für die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt sei die Liste der Defizite und Fehlschläge ein „absolutes Armutszeugnis. Genauso wie die faktische Verweigerung der Entscheidungsträger in der Politik, das Siechtum des Finanzplatzes überhaupt zur Kenntnis zu nehmen und ihm kraftvolle, entschiedene Maßnahmen entgegenzusetzen“.

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