INTERNATIONALE FINANZAUFSICHT - GASTBEITRAG

Die EZB ist die falsche Adresse für eine EU-Bankenaufsicht

Börsen-Zeitung, 30.11.2012 Die EZB soll es wieder einmal richten. Ende Juni 2012 beschlossen die Staats- und Regierungschefs der Eurozone ziemlich überraschend, dass die EZB künftig für die Bankenaufsicht in der Eurozone zuständig sein wird. Aus...

Die EZB ist die falsche Adresse für eine EU-Bankenaufsicht

Die EZB soll es wieder einmal richten. Ende Juni 2012 beschlossen die Staats- und Regierungschefs der Eurozone ziemlich überraschend, dass die EZB künftig für die Bankenaufsicht in der Eurozone zuständig sein wird. Aus ökonomischen wie juristischen Gründen ist dieser Beschluss höchst problematisch. Besser wäre es, diese Aufgabe bei der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) oder bei einer neuen, noch zu gründenden Behörde (einer ” Euro Banking Supervisory Authority, EBSA”) anzusiedeln.Nicht ganz ohne Grund verlangen einige Südstaaten der Eurozone, dass ihre unterkapitalisierten Banken künftig direkt vom Rettungsschirm ESM Hilfe erhalten. Der lästige Umweg über den Staat soll damit wegfallen. Dass die Geberstaaten – nicht zuletzt auf Druck der Bundesregierung – dazu nur bereit sind, wenn auch die Bankenaufsicht der Eurozone zentralisiert wird, ist verständlich. Denn im Ergebnis tragen sie in erheblichem Umfang das Ausfallrisiko dieser Bankenhilfen.Die EZB ist aber die falsche Adresse für eine solche Zentralisierung. Erstens: Eine umfassende Bankenaufsicht durch die EZB ist mit den geltenden EU-Verträgen nicht vereinbar. Notwendig wäre eine von allen 27 Mitgliedstaaten mitgetragene Vertragsänderung. Art. 127 Abs. 6 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sieht nämlich vor, dass lediglich “besondere Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute” an die EZB übertragen werden können. Dass jedoch die EZB die Aufgaben der Bankenaufsicht vollständig wahrnehmen darf, lässt sich weder aus der Entstehungsgeschichte noch aus der Systematik der EU-Verträge schlussfolgern. Genau dies ist aber geplant: Die Vorschläge der EU-Kommission sehen vor, die EZB mit sehr weitgehenden Kompetenzen auszustatten.Zweitens: Eine EZB-Bankenaufsicht führt zu Interessenkonflikten zwischen der Geldpolitik und der Bankenaufsicht. Entscheidungen der EZB über Zinsen oder Sicherheiten (“Collateral”) können sich negativ auf Banken auswirken, zusätzlich auch auf den Bankenfinanzierer ESM und schließlich dazu führen, dass die Mitgliedstaaten das Kapital der ESM durch Barzahlungen aufstocken müssen. All dies dürfte die EZB vermeiden wollen. Auch gefährdet eine EZB-Bankenaufsicht die EU-vertraglich festgeschriebene Unabhängigkeit der EZB von der Politik. Angesichts der potenziell massiven Folgekosten von Entscheidungen der Bankenaufsicht, die sogar die Bonität ganzer Staaten gefährden können, erscheint die Vorstellung, solche Entscheidungen könnten in einem politikleeren Frankfurter Raum getroffen werden, schlicht naiv. “Chinesische Mauer” nötigBeide letztere Probleme könnten mit einer “chinesischen Mauer” innerhalb der EZB gelöst werden. Sie müsste dann aber eine strikte organisatorische und personelle Trennung innerhalb der EZB zwischen Geldpolitik und Bankenaufsicht garantieren. Dies ist allerdings nur durch eine Änderung der EU-Verträge denkbar. Nach Art. 129 Abs. 1 AEUV müssen alle Entscheidungen der EZB vom EZB-Rat oder vom Direktorium getroffen werden. Ein Bankenaufsichtsgremium der EZB kann also nicht eigenständig Entscheidungen treffen. Würde jedoch durch eine Vertragsänderung ein vollständig vom EZB-Rat getrenntes EZB-Bankenaufsichtsgremium mit Letztentscheidungskompetenzen explizit vorgeschrieben, könnte im Nebenbei noch ein weiteres Problem gelöst werden: Im EZB-Rat sind nur die Euro-Staaten vertreten, Nicht-Euro-Staaten verfügen über keinerlei Stimmrechte. Ein Aufsichtsgremium mit Stimmberechtigung für Nicht-Euro-Staaten würde für diese Staaten den Anreiz erhöhen, sich der EZB-Aufsicht zu unterwerfen.Die politische Bereitschaft zu solchen Vertragsänderungen erscheint heute ausgesprochen gering. Darüber hinaus verblieben auch nach erfolgreicher Trennung in der EZB zwischen Bankenaufsicht und Geldpolitik eine Fülle an Problemen. Erstens verfügt die EZB über keinerlei Erfahrung in der Bankenaufsicht. Zweitens dürfte die Ansiedlung der Bankenaufsicht gerade bei der EZB dazu führen, dass einige Nicht-Euro-Staaten – etwa Großbritannien – sich dauerhaft gegen eine Teilnahme entscheiden. Im EU-Binnenmarkt ist allerdings eine EU-weite Bankenaufsicht am sinnvollsten. Notenbank-Image in GefahrDrittens: Bankenaufsicht ist keine exakte Wissenschaft. Die unvermeidbaren Fehlentscheidungen einer EZB-Aufsicht können zu Unmut führen, der sich negativ auf den geldpolitischen Ruf der EZB auswirkt. Dass die Bevölkerung zwischen bankenaufsichtlichen und geldpolitischen Tätigkeiten der EZB unterscheiden wird, erscheint unwahrscheinlich. Viertens: Die EZB ist laut EU-Vertrag in all ihren Tätigkeiten unabhängig, also auch in der Bankenaufsicht. Wie diese Unabhängigkeit mit dem Demokratieprinzip vereinbar ist, ist schon heute rätselhaft.Spannungsgeladen dürfte auch das Verhältnis zwischen EZB und EBA werden. Eine funktionsfähige EBA und eine unabhängige EZB sind schlicht nicht miteinander vereinbar. Wohl um die Unabhängigkeit der EZB zu wahren, soll die EBA der EZB keine Weisungen erteilen können. Die Aufsichtsbehörden der Nicht-Euro-Staaten werden aber solche Weisungen der EBA umsetzen müssen, die dazu noch von Euro-Staaten dominiert wird. Als Folge dieser Schwächung der EBA geht ihre durchaus sinnvolle Kontrollfunktion der EZB gegenüber weitgehend verloren. Weder bei Schlichtungen noch bei Rechtsverletzungen durch die Aufsichtsbehörden unterliegt die EZB einer ernsthaften Überwachung durch die EBA. Dass die nationalen Aufsichtsbehörden der Eurozone in der EBA nicht von der EZB abgelöst werden, ist nur Kosmetik. Die EZB bekommt die explizite Aufgabe, für EBA-Sitzungen gemeinsame Standpunkte dieser Aufsichtsbehörden zu koordinieren.Angesichts der beschriebenen primärrechtlichen und ökonomischen Herausforderungen und der problematischen Wechselwirkungen mit der EBA muss über Alternativen zu einer Bankenaufsicht bei der EZB nachgedacht werden. Naheliegend wäre es, diese Aufgabe der EBA zuzuweisen. So ließen sich Interessenkonflikte mit der Geldpolitik vermeiden, und es wäre auch eine EU-weite Bankenaufsicht denkbar. Die Kontrollfunktion der EBA würde so allerdings ad absurdum geführt.Ideal wäre es daher, die Bankenaufsicht einer gänzlich neuen Behörde zuzuweisen, nennen wir sie EBSA (Euro Banking Supervisory Authority). Diese müsste völlig getrennt sowohl von der EZB als von der EBA arbeiten. Die Vorteile einer EBSA sind vielfach: Ihre Errichtung ist ohne Vertragsänderungen möglich, gewährleistet eine Trennung zwischen Geldpolitik und Bankenaufsicht, ermöglicht eine sinnvolle Kontrolle durch die EBA und lässt offen, ob sie nur die Banken der Eurozone oder die der gesamten EU umfasst.