Eine starke Wirtschaft braucht einen starken Finanzplatz

Um uns international zu behaupten, ist mehr Europa notwendig und nicht weniger - Klare politische Entscheidungen und gute Infrastruktur erforderlich

Eine starke Wirtschaft braucht einen starken Finanzplatz

Das neue Jahrzehnt ist gerade einmal zwei Monate alt, aber schon die ersten Wochen haben deutlich gezeigt: Deutschland und Europa stehen vor enormen wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen – vom Handelskonflikt über die digitale Disruption bis zum Klimawandel. Die Finanzbranche in Europa kann einen wichtigen Beitrag leisten, die anstehenden Aufgaben zu lösen, wenn sie von einem wettbewerbsfähigen Finanzplatz aus operiert. Dafür bleibt aber noch einiges zu tun.Die Ausgangslage ist von zahlreichen Risikofaktoren geprägt: Erstens gefährdet der Konflikt zwischen den USA und China nicht zuletzt auch das deutsche Erfolgsmodell. Wir wären einer der größten Verlierer, wenn das System der offenen Märkte und der internationalen Handelsregeln zum Kollateralschaden der angespannten Lage zwischen den Akteuren würde – und diese Gefahr ist auch nach Abschluss des sogenannten Phase-1-Abkommens zwischen den beiden Ländern nicht gebannt.Zweitens droht Europa bei der technologischen Revolution immer weiter zurückzufallen. Die Rangliste der börsennotierten Unternehmen wird ganz klar von Technologieunternehmen dominiert, und nur ein deutsches Unternehmen schafft es überhaupt unter die Top 100. Drittens belasten extrem niedrige Zinsen nicht nur Banken, sondern führen zu einer gravierenden gesellschaftlichen Umverteilung – es ist ein in der Geschichte einzigartiges Experiment mit ungewissem Ausgang. Und viertens verlangt der Klimawandel einen tiefgreifenden Umbau der Wirtschaft. Wettbewerbsfähig bleibenVon all diesen Herausforderungen sind der europäische und der deutsche Finanzsektor betroffen. Gleichzeitig ist die Bankenindustrie aber auch ein entscheidender Teil der Lösung. Starke Banken können Unternehmen im internationalen Handel begleiten und Investitionen möglich machen – im Heimatmarkt und rund um den Globus. Sie finanzieren die Infrastruktur, die für Innovationen notwendig ist. Fintechs wie etablierte Banken gestalten den digitalen Wandel mit. Und Banken sind aktiver Treiber, wenn es darum geht, nachhaltiger zu arbeiten, sowohl in ihrem eigenen Haus als auch bei der Finanzierung der grünen Transformation der Wirtschaft.Kurzum: Deutschland und Europa brauchen in der kommenden Dekade wettbewerbsfähige Banken, damit die Wirtschaft insgesamt wettbewerbsfähig bleibt. Da sind zuallererst die Banken selbst gefordert. Sie müssen ihre Geschäftsmodelle an die neue Zeit anpassen. Gleichzeitig ist es auch an der Politik, Europas Finanzbranche als Schlüsselindustrie im globalen Wettbewerb zu begreifen. Der Brexit, der die Kapitalmarkt-Metropole London von der EU trennt, verschärft die Situation zusätzlich und birgt Chancen wie Risiken.Dem Finanzplatz Frankfurt kommt hierbei große Bedeutung zu, nicht nur für Deutschland. Der Standort hat sehr gute Voraussetzungen – von der zentralen Lage über hervorragend qualifizierte Mitarbeiter und einer jahrhundertelangen Tradition mit Geldgeschäften bis hin zu einer exzellenten Banken-Infrastruktur inklusive der leistungsfähigen Deutschen Börse. So haben nicht nur die Europäische Zentralbank (EZB), der Einheitliche Aufsichtsmechanismus SSM und die Europäische Versicherungsaufsicht EIOPA hier ihren Sitz. Die Stadt verfügt auch über eine Vielzahl von spezialisierten Dienstleistern, etwa Anwaltskanzleien und Beratungsfirmen. Gleichzeitig hat sich ein enger Austausch mit Berlin als einer der Fintech-Hauptstädte Europas etabliert, was die Innovationskraft der deutschen Finanzbranche stärkt.Dabei verlief der Aufstieg zu Deutschlands bedeutendstem Finanzplatz aber keineswegs geradlinig. Die Geschichte zeigt vor allem die Bedeutung politischer Rahmenbedingungen. So war Frankfurt dank der Messe und der schon 1585 gegründeten Börse bereits in der frühen Neuzeit ein wichtiger Finanzplatz. Doch im Vorfeld der Gründung des Deutschen Reichs verlagerte sich die politische Macht immer stärker nach Berlin – und mit ihr auch die Rolle als dominierender Finanzstandort. Es ist kein Zufall, dass die Deutsche Bank vor 150 Jahren im März 1870 nicht in Frankfurt gegründet wurde, sondern eben in Berlin. Erst 16 Jahre später eröffnete die Bank ihre dritte Inlandsfiliale in Frankfurt – nach Hamburg und Bremen.Die Politik war es allerdings auch, die für den Finanzstandort Frankfurt nach dem Zweiten Weltkrieg die Weichen für den Wiederaufstieg stellte. Dass die “Bank deutscher Länder” im März 1948 ihren Sitz am Main bezog, war eine Entscheidung von enormer Tragweite. Nur wenige Monate später siedelte sich die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) in Frankfurt an, weitere Institutionen wie die Ausfuhrkredit AG (AKA) folgten.Spätestens in den 80er Jahren war Frankfurt innerhalb der Bundesrepublik zum Finanzstandort Nummer eins aufgestiegen. Und mit der Entscheidung, Frankfurt zum Sitz der Europäischen Zentralbank zu machen, sorgten die damals noch zwölf EU-Mitgliedstaaten 1993 für einen zusätzlichen Schub für die internationale Bedeutung des Standorts. Durch den Brexit erhält Frankfurt noch mehr Gewicht in der EU. Bund und Land haben dem Standort in dieser kritischen Phase den Rücken gestärkt, beispielsweise durch ein flexibleres Arbeitsrecht für Top-Verdiener im Finanzsektor.Auch wir als Deutsche Bank fühlen uns für den Erfolg des Finanzplatzes Frankfurt mitverantwortich, wir sind auf das Engste mit ihm verbunden. Wir sind dort seit 134 Jahren vertreten, seit mehr als 60 Jahren sogar mit unserer Zentrale. Und wir haben im Zuge des Brexit weitere Funktionen und Arbeitsplätze von London nach Frankfurt verlegt, etwa im Geschäft mit institutionellen Kunden. In einem BootGleichzeitig sind auch jetzt, im neuen Jahrzehnt, die politischen Rahmenbedingungen maßgeblich für den Erfolg des Finanzplatzes. Dabei geht es nicht nur um den Wettbewerb mit anderen Standorten innerhalb der EU, sondern auch um die Konkurrenz mit anderen globalen Finanzzentren. Und hier sitzen wir mit Paris oder Amsterdam in einem Boot, da wir bei aller Rivalität nur als Netzwerk erfolgreich sein können. Ich bin davon überzeugt: Um uns international zu behaupten, brauchen wir mehr Europa, nicht weniger.Die Europäische Union muss handlungsfähiger und selbstbewusster werden. Und wir müssen Standortfaktoren bei politischen Entscheidungen konsequenter im Blick haben – nicht zuletzt im Finanzsektor. Zwar haben die vielen neuen und verschärften Regeln, die Europa in den zurückliegenden zehn Jahren beschlossen hat, die Banken insgesamt robuster und sicherer gemacht. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die Kernkapitalquote der Deutschen Bank hat sich seit der Finanzkrise von unter 10 auf deutlich mehr als 13 % gesteigert – bei einer gleichzeitig deutlich strengeren Definition für diese Kapitalquote. Wir arbeiten heute also ebenso wie der Bankensektor insgesamt mit erheblich höheren Sicherheitspuffern. Es bedarf aber wichtiger Schritte, damit die Finanzplätze in Deutschland und Europa nicht an Boden verlieren. Vier Punkte sind zentral:Erstens: Wenn die EU-Staaten internationale Vorschriften in europäisches und nationales Recht umsetzen, darf das nicht zu Nachteilen für hier ansässige Banken und Unternehmen führen. Anders formuliert: Wir müssen die europäischen Verhältnisse und Bedürfnisse berücksichtigen – etwa bei Basel III beziehungsweise Basel IV. Laut der EU-Bankenaufsichtsbehörde EBA werden die jüngsten Basel-Vorschriften die risikogewichteten Aktiva für europäische Großbanken um mehr als ein Viertel erhöhen.Unter anderem werden Unternehmen ohne externes Kredit-Rating automatisch mit einem erhöhten Risikogewicht belastet. Das betrifft gerade den Mittelstand in Deutschland – obwohl in diesem Segment die Ausfallraten bei Krediten traditionell vergleichsweise niedrig, die Kredite also relativ sicher sind. Auch in anderen Bereichen haben EU-Banken Wettbewerbsnachteile. So werden bei uns Software-Investitionen vom regulatorischen Eigenkapital abgezogen – anders als in Amerika oder der Schweiz.Zweitens: Europa muss die Bankenunion vollenden. Wir unterstützen dieses Ziel der Bundesregierung. Der US-Finanzsektor hat allein schon durch die Größe des einheitlichen Heimatmarktes einen klaren Wettbewerbsvorteil. In der EU arbeiten dagegen immer noch verschiedene nationale und europäische Aufseher nebeneinander. Die Kapitalanforderungen an die Banken sind nicht in allen Staaten gleich, zudem setzt die Regulierung häufig auf Einzelinstituts- statt auf Konzernebene an. Das führt zu Ineffizienzen und höheren Kosten und verhindert, dass die Banken ihr Kapital bestmöglich einsetzen können. Deshalb befürworten wir eine weitere Integration. So wird ein europäisches Einlagensicherungs-System zum Gesamtpaket einer vollendeten Bankenunion gehören müssen.Wir brauchen zudem weniger Fragmentierung bei der Berechnung von Kapitalpuffern: Als systemisch relevante Bank müssen wir sowohl den international festgelegten Standard (G-SIB) als auch nationale Anforderungen einhalten. Diese werden unterschiedlich berechnet, sodass Banken immer den höheren Standard erfüllen müssen. Hier wäre mindestens ein einheitliches europäisches Vorgehen nötig.Drittens: Wir müssen die Kapitalmarktunion vorantreiben. Gerade nach dem Brexit müssen wir die Fragmentierung der EU-Finanzmärkte verringern – und bestenfalls überwinden. Derzeit gibt es noch viel zu häufig unterschiedliche Regeln in den 27 EU-Mitgliedstaaten, etwa bei den Vorschriften für Insolvenzen und im Verbraucherschutz. Wer Anleihen aus verschiedenen EU-Ländern erwerben will, muss sich mit unterschiedlicher nationaler Regulierung auseinandersetzen. Ohne einen liquiden europäischen Kapitalmarkt tun sich Unternehmen schwerer, Investitionen zu finanzieren, und Banken haben weniger Möglichkeiten, ihre Bilanzen zu entlasten – was ihren Spielraum für neue Kredite einschränkt.Und viertens: Wir müssen bestehende Regeln darauf überprüfen, welchen Nutzen sie stiften – und welche teils unbeabsichtigten Kosten und Nebenwirkungen sie verursachen. Die anstehende Revision der Mifid-II-Regeln bietet die Chance, kostenträchtige und arbeitsintensive Regularien zu streichen, die den Verbrauchern wenig nützen. Seit der Einführung von Mifid dauert es drei- bis fünfmal so lange, bis ein Kunde eine Wertpapierorder absetzen kann. Man muss also schon viel Geduld mitbringen, um das zu tun, was alle immer fordern – sein Geld klug anzulegen, um für später vorzusorgen.Es braucht also klare politische Entscheidungen, eine gute Infrastruktur und natürlich auch starke, zukunftsfeste Banken, um den Finanzplatz Frankfurt nach vorne zu bringen. Essenziell ist zudem ein weiterer, eher weicher Faktor: Wir brauchen eine positive Grundeinstellung zu Banken und zum Finanzsektor insgesamt. In der Öffentlichkeit hat der Ruf seit der Finanzkrise erheblich gelitten – und das nicht zu Unrecht. Aber die Banken haben aus ihren Fehlern gelernt. Wir müssen jetzt durch Wort und Tat Überzeugungsarbeit leisten: Damit Deutschland und Europa die Zukunftsaufgaben meistern und die Transformation der Wirtschaft finanzieren können, brauchen wir einen starken Finanzstandort. Karl von Rohr, Stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Deutsche Bank AG