EZB-Kuddelmuddel
München lockt mit Bergen und Seen im Voralpenland. Nicht nur die Vielzahl von Dax-Konzernen, auch die “landschaftlich attraktive Umgebung mit hohem Erholungsfaktor” spreche für die bayerische Metropole, wirbt die Finanzplatz München Initiative. “FRM” kontert mit De-CIX und hat die “Landingpage” welcometofrm.com geschaltet. Sollten auch Sie diesbezüglich unbeleckt sein: Das äußerst gewöhnungsbedürftige Akronym “FRM” steht für FrankfurtRheinMain und “De-CIX” für Deutscher Commercial Internet Exchange, das ist Europas drittgrößter Internetknoten. Womit die Spanier aufwarten werden, wissen wir noch nicht, die Bewerbung ist in Arbeit. Frankreich bereitet die Ausweitung von Steuervorteilen für ausländische Arbeitnehmer vor. Auch Luxemburg, Irland, die Niederlande haben alle das Gleiche im Sinn: möglichst viele der vermutlich etlichen tausend Arbeitsplätze für sich zu gewinnen, die nach dem Brexit-Votum vom Finanzplatz London auf den Kontinent verlagert werden dürften.Auf eine Institution, die allein mit Blick auf ihre Zahl von rund 160 Beschäftigten insoweit eher vernachlässigbar wäre, die aber das Zeug hat, die Anziehungskraft eines Finanzplatzes entscheidend zu stärken, haben es zumindest einige der Wettbewerber dabei besonders abgesehen: die 2011 in London gegründete EU-Behörde für Bankenregulierung (European Banking Authority – EBA), zu deren vorrangigen Aufgaben es gehört, ein einheitliches europäisches Regelwerk für die Finanzinstitute einzuführen, weshalb sie diese mit Myriaden von Standards malträtiert. Der bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU) hat die Bedeutung der EBA ebenso erkannt wie der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und dementsprechend bereits Pflöcke eingeschlagen. Auf hessischer Seite kommt am Montag das höchst selten tagende “Finanzplatzkabinett” – Bouffier und die fachlich zuständigen Landesminister – mit Vertretern der Bundesbank und des Finanzplatzes Frankfurt zusammen, um das weitere Vorgehen zu beraten. Übrigens soll in Sachen EBA auch Italien schon den Finger gehoben haben. Nun, gebrauchen könnte man eine Bankenaufsicht dort sicher.Der Ausgang des britischen Referendums über den EU-Austritt, zu dessen logischen Folgen es gehört, dass London nicht nur keine europäische Börse, sondern schon gar nicht Institutionen der Union beherbergen kann, trifft in der Eurozone mit einer anderen Entwicklung auf dem weiten Feld der europäischen Bankenaufsicht zusammen, die ebenfalls nach einer Veränderung schreit, in diesem Fall keiner räumlichen, sondern einer institutionellen. Die Europäische Zentralbank (EZB), seit November 2014 nicht mehr nur für die gemeinsame Geldpolitik, sondern im Rahmen des Single Supervisory Mechanism (SSM) auch für die direkte Aufsicht über rund 130 als bedeutend eingestufte Banken zuständig, agiert in einem flagranten Interessenkonflikt. Auf den Punkt gebracht: Zum einen verhindert sie als geldpolitische Instanz mit ihrer absurden Null- und Negativzinspolitik, dass die Banken auf Dauer auskömmlich Geld verdienen können, zum anderen schmiert sie als Aufsichtsinstanz den Instituten ein ums andere Mal aufs Brot, wie miserabel deren Ertragslage sei und dass sie gefälligst noch mehr Eigenkapital aufbauen sollten. Als kostenlose Zugabe bekommt die Branche den wenig hilfreichen Tipp, sie möge ihr Geschäftsmodell anpassen.Vor den absehbaren Interessenkonflikten der EZB in ihrer Doppel-, inklusive der führenden Rolle in der makroprudentiellen Aufsicht sogar Dreifachfunktion ist vernehmlich gewarnt worden, bevor und nachdem die Euroland-Regierungschefs 2012 in einer der berüchtigten Nachtsitzungen die – grundsätzlich sicher zweckdienliche – Bankenunion aus der Taufe hoben. In der damaligen Notsituation, als es galt, den Teufelskreis zwischen Banken- und Staatsschuldenkrise zu durchbrechen, mag es kaum Alternativen gegeben haben, als eine etablierte Institution wie die EZB mit der Aufsicht zu betrauen. Heute, da die europäische Geldpolitik bei den Banken eher Schaden anrichtet, als Nutzen zu stiften, ist es höchste Zeit, das Kuddelmuddel der Verantwortlichkeiten zu entwirren. Der Brexit bietet die unverhoffte Chance, Europas Bankenaufsicht unter Einbeziehung der EBA von Grund auf neu aufzustellen: unabhängig von der Zentralbank, aber natürlich an dem auch als “Bankfurt” bekannten kontinentaleuropäischen Finanzplatz, der schon in den neunziger Jahren “The Natural Choice” war, als mit vereinten Kräften der Politik in Bund, Land und Stadt, mit Unterstützung von Wirtschaft und Medien der Sitz der EZB gewonnen wurde.Sorry, München, Madrid & Co.——–Von Bernd WittkowskiDas Brexit-Votum bietet die Chance, die europäische Bankenaufsicht von Grund auf neu aufzustellen: unabhängig von der EZB, aber natürlich in Frankfurt.——-