IM INTERVIEW: WILLIAM COEN

"Ja, da gibt es Argwohn"

Baseler Ausschuss will die Nutzung interner Modelle eindämmen - Generalsekretär kündigt für kommendes Jahr Vorstoß zu Staatsrisiken von Banken an

"Ja, da gibt es Argwohn"

– Herr Coen, acht Jahre nach Beginn der Finanzkrise schickt sich die Europäische Union an, die Vorgaben zur Eigenkapitalunterlegung von als simpel, transparent und standardisiert geltenden Verbriefungen zu reduzieren, um den Verbriefungsmarkt anzukurbeln. Dabei waren es doch Verbriefungen, die zur Eskalation der Krise ab 2007 beitrugen, oder?Sie weisen zu Recht auf die Geschichte von Verbriefungen hin und auf die bedeutende Rolle, die sie in der Krise spielten. Ich kann dem noch etwas hinzufügen: Im Jahr 2011 legten der Baseler Ausschuss, die internationale Organisation der Wertpapieraufsichtsbehörden IOSCO und die internationale Vereinigung der Versicherungsaufsichtsbehörden IAIS ein Papier zu den Defiziten des Verbriefungsmarktes vor. Damals mangelte es an Transparenz und Standardisierung, und es gab eine ganze Reihe weiterer Dinge, die verbesserungswürdig waren. Im Sommer haben wir ein weiteres Papier mit Kriterien für simple, transparente und vergleichbare Verbriefungen veröffentlicht. Und schon in den nächsten Wochen werden wir eine Konsultation starten zu revidierten Kapitalanforderungen für diejenigen Verbriefungen, die diese Kriterien erfüllen.- Mit Kapitalerleichterungen nehmen Sie aber in Kauf, dass die Risiken steigen. Was halten Sie denn nun vom Vorhaben der EU? Ist es gut oder schlecht?Ich will mich in die Diskussion in einzelnen Ländern nicht einmischen. Für uns alle im Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht lautet der gemeinsame Nenner aufsichtliche Sicherheit und Stabilität mit Blick auf eine Erhöhung der globalen Finanzstabilität. Es ist aber eine komplizierte Welt, und wegen des wirtschaftlichen Zyklus herrscht derzeit eine komplizierte Situation in Europa und in anderen Teilen der Welt.- Gibt es so etwas wie einen regulatorischen Zyklus, der 2008 nach Jahrzehnten der Deregulierung drehte, und falls ja, wo stehen wir da jetzt?Das ist eine interessante Frage. Basel III haben wir 2010 für Baseler Verhältnisse in einem Rekordtempo abgeschlossen. Ich glaube, uns kam dabei zugute, dass wir sehr starke Unterstützung durch die Staats- und Regierungschefs der G 20 hatten und deswegen in relativ kurzer Zeit eine Menge Reformen abschließen konnten, wie die Höchstverschuldungsquote, eine höhere Kalibrierung von Kapitalvorgaben, die makroprudenziellen Kapitalpolster und auch die Liquiditätsstandards.- Nun schwindet die politische Unterstützung.Es gibt vereinzelte Anzeichen dafür. Und es besteht immer die Gefahr von Rückziehern. In der Normgebung ist es unvermeidbar, dass darüber debattiert wird, ob ein Standard zu streng, zu schwach oder gerade richtig ist. Dabei kann man sich uneinig sein. Die Banken denken oft, dass wir zu weit gegangen sind. Wissenschaftler und andere Interessengruppen dagegen sind in der Regel der Meinung, dass es nicht weit genug geht. Deswegen ist es wichtig, dass wir diese Debatte durch unsere öffentlichen Konsultationsverfahren unterstützen und mit unseren quantitativen Auswirkungsstudien für fundierte Diskussionsgrundlagen sorgen. Letztlich können politische Interessen und Argumente sich verschieben, weshalb es so wichtig für uns war, Basel III möglichst rasch abzuschließen.- Glauben Sie, dass im heutigen Umfeld eine Einigung auf die Leverage Ratio noch möglich wäre?Ohne die Art von Krise, mit der wir 2008 und 2009 konfrontiert waren? Da habe ich meine Zweifel. Ich glaube, dass wir damit etwas sehr Wichtiges erreicht haben und dass sich aus heutiger Sicht nur die Frage stellt, ob wir weit genug gegangen sind. Ist 3 % das richtige Minimum? Damit beschäftigen wir uns derzeit sehr intensiv.- Man sieht ja einige Regulierer schon strikter werden. Die Schweiz etwa plant für die ungewichtete Eigenkapitalquote eine Mindestvorgabe von 5 %. Wie weit wird die Höchstverschuldungsquote steigen?Lassen Sie mich klarstellen: Worauf wir uns im Baseler Ausschuss einigen, ist eine Mindestanforderung, es steht jedem Land frei, über das Minimum hinauszugehen. Auf nationaler Ebene hängen die Mindestvorgaben dabei von den jeweiligen Besonderheiten, etwa der Größe und Bedeutung des Bankensystems, und von einer ganzen Reihe anderer Faktoren ab, die die Behörden oft zu einem höheren Mindeststandard bewegen. Viele unserer Mitglieder haben bereits einen viel höheren Standard.- Der Baseler Ausschuss wird die Latte nicht höher legen in der Erwartung, dass die Mitgliedstaaten dies tun?Das würde ich nicht sagen wollen. Als die Höchstverschuldungsquote eingeführt wurde, haben wir klar festgehalten: Fürs Erste sind es 3 %, und wir werden prüfen, ob dies angemessen ist. Darüber wird im Moment intensiv diskutiert. Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn sich die Höchstverschuldungsquote ändert, dann nach oben. Wir haben ja schon eine Menge Veränderungen vorgenommen: Vor der Krise hatten wir nur eine einzige – risikogewichtete – Kapitalkennziffer. Inzwischen haben wir diese Messgröße durch eine neue Definition von Kapital und eine umfassendere Erfassung der Risiken optimiert. Zusätzlich haben wir die Höchstverschuldungsquote, und wir haben zwei neue globale Liquiditätskennziffern. Wir müssen sehen, wie alles interagiert. Die Stimmigkeit und die endgültige Kalibrierung des Regelwerks, all das sind Faktoren, die wir beachten müssen, wenn es darum geht, ob 3 % die richtige Mindestvorgabe ist oder nicht.- Wann wird über die Höhe der Höchstverschuldungsquote entschieden?Im kommenden Jahr dürfte es so weit sein. Wir gehen davon aus, dass die Höchstverschuldungsquote bis 2018 eine Mindestkapitalanforderung der Säule I des Regelwerks wird. Nachdem sich der Baseler Ausschuss auf einen globalen Standard geeinigt hat, erarbeiten die Länder auf dessen Basis nationale Vorschriften oder Gesetze, was typischerweise ein Jahr in Anspruch nimmt. Also sollten wir 2016 einigermaßen klare Antworten haben.- Nun überwacht der Baseler Ausschuss ja auch die Umsetzung neuer Standards. Wo hapert es denn am meisten?Ich glaube nicht, dass es dabei um ein einzelnes Gebiet geht. Die beiden neuen Liquiditätsstandards – die Mindestliquiditätsquote LCR und die strukturelle Liquiditätsquote NSFR – sind zusammen mit der Höchstverschuldungsquote Neuland für viele Länder. Also könnte es diesbezüglich Unstimmigkeiten in der Umsetzung geben. Darauf werden wir sorgfältig achten. Die Sache hat aber noch einen anderen Aspekt.- Welchen?Seit Gründung des Baseler Ausschusses 1974 war unser Hauptziel die Verbesserung der Aufsicht und die Festlegung von Standards. Die Bewertung der Umsetzung – das ist ein ganz neuer Tätigkeitsbereich für uns. Und dies hat sehr starken Einfluss darauf, wie wir die Regeltexte verfassen. In der Vergangenheit war dies vergleichsweise einfacher. Der Regeltext wurde durch die Erfahrungen im Verhandlungsprozess vielleicht in einer ganz bestimmten Weise formuliert. Nun haben wir Teams von Leuten, die in die einzelnen Länder reisen, um herauszufinden, wie die Regeln vor Ort umgesetzt werden. Dadurch sehen wir die Notwendigkeit, in den Texten klar, einfach und sehr direkt zu sein.- In Banken hat es eine Menge Fehlverhalten gegeben und zahlreiche milliardenschwere Strafen, gerade in den USA. Wie kann der Baseler Ausschuss als normgebende Instanz dem Risiko von Fehlverhalten beikommen, das ja oft wie ein schwarzer Schwan wirkt – da scheint in einer Bank lange Zeit alles in Ordnung, bis dann unversehens nichts mehr in Ordnung ist?Risiken gehören zum Bankgeschäft dazu. So funktionieren Banken, so verdienen sie Geld, und so finanzieren sie die Realwirtschaft. Mit diesen Risiken meine ich aber Dinge wie Kreditrisiken oder Marktrisiken. Verhaltensrisiken dagegen sind kein Gebiet, in dem Banken von sich sagen sollten, dass sie sich mit einem bestimmten Maß an Risiko wohlfühlen, auch nicht mit einem ganz geringen. Verhaltensrisiken sollten in einer Bank nicht toleriert werden. Daher kann auch kein Kapital für Verhaltensrisiken zur Seite gelegt werden, denn sie sollten von vornherein gar nicht erst in Kauf genommen werden. Es gibt Dinge, die wir regulieren können: die Eigenkapitalunterlegung von Kreditrisiken, Marktrisiken, operationellen Risiken. Hier lässt sich eine Regel verfassen, die davon ausgeht, dass es irgendwann zu unerwarteten Verlusten kommt, und die festlegt, wie viel Eigenkapital mindestens vorzuhalten ist, um diese abzudecken. Und dann gibt es Dinge, die sich nicht allein durch Aufsichtsvorschriften regulieren lassen.- Was kann man dann tun?Eine der Gruppen, denen ich vorsitze, beschäftigt sich mit Corporate Governance. Vor wenigen Monaten haben wir ein Papier vorgelegt, das Verhaltensrisiken behandelt. Dabei geht es um etwas, das im Vorstand einer Organisation, der den Ton an der Spitze vorgibt, anfangen muss. Und diese Botschaft muss in die gesamte Organisation getragen werden. Ich glaube nicht, dass dies eine regulatorische Angelegenheit ist. Hingegen können die Aufseher eine wichtige Rolle übernehmen. Wenn sie vor Ort Schwächen erkennen, etwa in den internen Kontrollen einer Bank, vor allem im Vergleich zu den jeweiligen Wettbewerbern, können die Bankenaufseher dies dem Management der Bank mitteilen und darauf hinweisen, dass Verbesserungsbedarf besteht. Meiner Meinung nach haben wir eindeutig einen Punkt erreicht, an dem solche Schwächen zu einem Problem für Sicherheit und Stabilität geworden sind.- Wenn aber die Strafen so hoch sind, dass sie am Eigenkapital einer Bank zehren, werden Verhaltensrisiken natürlich wieder zu einem Problem der Regulierer.Sie werden nicht überrascht sein, wenn ich Ihnen sage, dass die Bedeutung von Eigenkapital kaum überschätzt werden kann. Dabei gibt es freilich einen Zielkonflikt: Einerseits müssen Banken Risiken eingehen, und sie müssen die Realwirtschaft finanzieren. Andererseits aber machen Banken Fehler, oder es kommt zu unvorhergesehenen Ereignissen. Sie können Risiken unterschätzen, sich an kriminellen Aktivitäten beteiligen oder anderweitig ein Fehlverhalten an den Tag legen. Es gibt unzählige Möglichkeiten, Geld zu verlieren! Beim Eigenkapital muss die richtige Balance gefunden werden, doch man darf nicht vergessen, dass sich der Ausfall einer Bank vom Ausfall eines gewöhnlichen Unternehmens unterscheidet. Banken haben in der Wirtschaft eine besondere Funktion, es gilt die Einlagen der Bankkunden zu schützen, und letztlich kann sich ein Bankkonkurs sogar auf den Steuerzahler auswirken.- Sie betreiben gerade ein groß angelegtes Verfahren zur Bewertung der Übereinstimmung der Aufsichtsregelungen mit Basel III, das Regulatory Consistency Assessment Program. Liest man die entsprechenden Papiere, könnte man den Eindruck gewinnen, dass die Reise in Richtung harmonisierter und höherer Anforderungen an das Eigenkapital geht. Und dass der Baseler Ausschuss die internen Modelle, welche die EZB-Bankenaufsicht eigentlich harmonisieren will, in ihrer Bedeutung schmälern, wenn nicht gar abschaffen will.Ich glaube nicht, dass wir die internen Modelle abschaffen wollen. Wohl jeder erkennt an, dass Modellierungen für große Banken und komplexe Organisationen heutzutage ein integraler Bestandteil dessen sind, wie das Bankgeschäft geführt werden muss. Die Frage lautet eher: In welchem Ausmaß sollten wir uns bei der Berechnung des aufsichtsrechtlichen Kapitalbedarfs auf diese Modelle verlassen? Und ja, da gibt es Argwohn. Zuweilen sind auf internen Modellen beruhende Ansätze intransparenter, wandelbarer und weniger risikosensitiv als andere Ansätze. Ein Beispiel ist das operative Risiko. Zehn Jahre, nachdem wir Banken erlaubt haben, ihre Modelle zur Berechnung operativer Risiken zu nutzen, dürften wohl viele zu dem Schluss gekommen sein, dass der Nutzen nicht der ist, den wir uns erhofft hatten. Ich denke daher, dass wir uns bis Ende des Jahres mit den Banken und der Öffentlichkeit beraten werden, ob der Gebrauch dieser Modelle für die Kalkulation des operativen Risikokapitals untersagt werden sollte.- Dann wird es einen Standardansatz geben?Ja, es wird den Standardansatz geben, und ich glaube, in der Art, wie wir ihn entworfen haben, gibt er Banken noch immer den nötigen Anreiz, Verlustdaten zu sammeln, die ihnen wiederum helfen, Szenario-Analysen durchzuführen. Dies ist ein wichtiges Instrument für die Steuerung, Begrenzung und Verminderung des operativen Risikos. Ich habe nicht den Eindruck, dass im Ausschuss die Meinung herrscht, dass wir interne Modelle komplett aus dem regulatorischen Rahmenwerk entfernen sollten. Ich glaube aber schon, dass sich die Leute nach den Erfahrungen, die wir seit der Einführung von Basel II gesammelt haben, sehr genau das Ausmaß anschauen, in dem interne Modelle eingesetzt werden sollten.- Weshalb?Die Studien, die wir in den vergangenen Jahren dazu veröffentlicht haben, zeigen, dass es eine übermäßige Abweichung bei den Risikoaktiva gibt. Wir baten eine Reihe von Banken, den Eigenkapitalbedarf für ein und dasselbe Portfolio zu berechnen. Die Ergebnisse wiesen inakzeptable Unterschiede auf. Zum Teil liegen die Abweichungen an unterschiedlichen Entscheidungen der Aufseher, zum Teil an etwas, was wir erwartet und worauf wir gehofft hatten: dass nämlich Banken verschiedene Erfahrungen gemacht haben und deshalb bestimmte Risiken unterschiedlich einschätzen. Dann gibt es aber noch immer bedeutende Abweichungen bei den Risikoaktiva, die Anlass zur Sorge geben und sich nur dadurch erklären lassen, dass versucht wird, mit den Regeln zu tricksen, um zu versuchen, den eigenen Bedarf an Eigenkapital zu senken.- Diese Abweichungen wollen Sie reduzieren?Ja, das ist wirklich das Kernziel: die Schwankungsbreite bei den Risikoaktiva zu verringern. Als wir die Regeln für Basel II festlegten, herrschte die Auffassung vor, dass eine Bank, die ihre Modelle zur Berechnung des aufsichtsrechtlichen Kapitals einsetzt, dafür dieselben Modelle verwenden sollte wie in ihrem Alltagsgeschäft, also zum Beispiel beim Risikomanagement, der Preisfindung oder der Kapitalallokation. Außerdem schreibt Basel II vor, dass die Modelle und die Daten bestimmte Anforderungen erfüllen müssen. Erst dann dürfen sie zur Berechnung des regulatorischen Kapitals eingesetzt werden. Es scheint, als seien wir davon abgekommen. Ich habe mich mit verschiedenen Bankenvertretern unterhalten, und sie haben mir gesagt, dass sie tatsächlich zwei parallel laufende Modelle unterhalten: eines zur Berechnung des aufsichtsrechtlichen Kapitalbedarfs und eines für ihre Geschäftsführung. Das entspricht nicht der ursprünglichen Absicht. Wir schauen uns nun sehr sorgfältig an, wie die Freiheiten, die die Banken bei der Nutzung ihrer Modelle haben, reduziert werden können.- Sie untersuchen derzeit auch, ob Banken Kapital für Risiken im Zusammenhang mit ihren Beständen an Staatsanleihen vorhalten sollten.Ja, doch geht es bei den Staatsanleihen um weit mehr als nur um Eigenkapital.- Es geht auch um Großkreditgrenzen.Richtig. Es geht um Großkreditgrenzen, Risikokonzentrationen und um die Frage, welche Konzentrationsbegrenzung angemessen ist. Liquidität ist ebenfalls ein wichtiger Faktor bei den Staatsanleihebeständen von Banken. Banken halten Staatsanleihen, die typischerweise aktiv gehandelt werden. Zudem werden Staatsanleihen häufig als Sicherheiten eingesetzt. Es ist wirklich ein Problem, das mehrere Dimensionen hat. Deshalb haben wir erst einmal eine Bestandsaufnahme gemacht. Als Nächstes schauen wir uns nun die entsprechenden Kapitalvorgaben an. Sind hier Änderungen erforderlich? Das werden wir bis ins nächste Jahr hinein untersuchen, und ich gehe davon aus, dass wir im Laufe des Jahres 2016 entsprechende Vorschläge zur Konsultation stellen werden.- Um ein Ende der Nullgewichtung von Staatsanleihen durchzusetzen, müssten Sie die Regierungen der verschiedenen Länder davon überzeugen, diesen neuen Ansatz umzusetzen, obwohl er ihnen Nachteile bringen würde.Wir haben über das Kapital geredet, die Liquidität, Großkredite und Sicherheiten. Die fiskalische Dimension aber haben wir in der Tat noch gar nicht erwähnt. Für viele Regierungen hat dies enorme Relevanz.- In Europa könnte ein Ende der Nullgewichtung von Staatsanleihen eine Flucht von Investoren aus Anleihen von Staaten der Euroland-Peripherie hinein in deutsche Bundesanleihen, mit vermutlich niedrigerer Risikogewichtung, auslösen. Beziehen Sie solche Auswirkungen auf den Markt in Ihre Überlegungen mit ein?Das tun wir. Tatsächlich ist das eine der großen Veränderungen, die stattgefunden haben, seitdem ich 1999 zum Baseler Ausschuss kam. Bei der Festlegung eines Standards für Banken haben wir uns zuvor jeweils fast ausschließlich auf die spezifischen Auswirkungen für die Banken konzentriert. Seit der Krise beachten wir beide Dimensionen: die Auswirkungen auf Ebene der Institute, aber auch die makroökonomischen Folgen.- Im Markt wird ja nun schon viel über Basel IV geredet. Können Sie in einem Satz sagen, worum es dabei geht? Um noch höhere Kapitalanforderungen?Die Branche fragt oft: Was ist mit Basel IV? Basel III war als Name angesichts der vielen neuen Elemente des regulatorischen Rahmenwerks gerechtfertigt: die Höchstverschuldungsquote, die Liquiditätsstandards, die Kapitalpolster. Gemessen an diesen Elementen verdient das, woran wir derzeit arbeiten, meiner Meinung nach keinen neuen Namen wie Basel IV. Bei den aktuellen Veränderungen geht es um Revisionen bestehender Teile des Regelwerks. Wir wollen den Standardansatz für Kreditrisiken und für operative Risiken verbessern. Die Revisionen der Regeln für das Marktrisiko haben wir schon so gut wie abgeschlossen. In dieser Hinsicht bin ich nicht der Meinung, dass ein neues Regelwerk Basel IV bevorsteht. Ich rechne damit, dass wir bis Jahresende die revidierten Regeln für das Marktrisiko einführen und den revidierten Standardansatz für Kreditrisiken sowie für operative Risiken zur Konsultation stellen werden. Wir werden auch einige Veränderungen am Regelwerk für den auf internen Ratings basierenden Ansatz vorschlagen. Ich glaube, die gute Nachricht für Banken und Aufseher ist, dass uns die Notwendigkeit endgültiger Regelungen überaus bewusst ist und dass wir alles tun, um die regulatorischen Reformen abzuschließen.- Verbesserung bedeutet mehr Standardisierung und strengere Anforderungen?Ein Aspekt unserer Arbeit zu den Standardansätzen ist es, mehr Anreize dafür zu schaffen, dass sie und nicht die internen Modelle genutzt werden. Nicht jede Bank muss eigens entwickelte Modelle nutzen, um ihr regulatorisches Kapital zu berechnen. Ich denke, ein Anreiz dazu lag bisher in der Differenz beim Eigenkapitalbedarf nach dem Modell- im Vergleich zum standardisierten Ansatz. Wir versuchen, diese Diskrepanz anzugehen. Eine Möglichkeit bietet die Höchstverschuldungsquote. Zudem könnte man jeweils Untergrenzen für das vorzuhaltende Eigenkapital festlegen, was bereits für einige Aufmerksamkeit gesorgt hat. Grundgedanke wäre folgender: Bei einer Bank, die zur Berechnung des Eigenkapitalbedarfs ihre internen Modelle nutzt, könnten die Risikoaktiva höchstens auf einen gewissen Prozentsatz des Kapitalbedarfs fallen, der sich nach dem standardisierten Ansatz ergäbe. Über eine konkrete Zahl haben wir dabei noch nicht gesprochen. All dies ist ein Versuch, um sicherzustellen, dass regulatorisches Kapital risikosensitiv, ausreichend simpel und von Bank zu Bank vergleichbar ist. Hier ein ausgewogenes Verhältnis zu erzielen, ist für uns sehr wichtig.- Hat der Baseler Ausschuss als normgebende Instanz nun seinen Job für die nächsten Jahre erst einmal erledigt, oder stehen neue regulatorische Vorstöße bevor?Wir haben fast den Punkt erreicht, an dem die Banken nur noch genügend Zeit benötigen, um die Regeln umzusetzen, und dasselbe gilt für die Aufseher. Bitte bedenken Sie an dieser Stelle, dass die Organisation, für die ich arbeite, Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht heißt. Dessen Motivation war es ursprünglich, die Banken möglichst effektiv zu beaufsichtigen – und nicht unbedingt zu regulieren. Wir wollen, dass das Regelwerk, das heute so viel anders ist als vor der Krise, angemessen kalibriert ist und dass all diese beweglichen Teile gut aufeinander abgestimmt sind. Und wir wollen sowohl eine konsistente Umsetzung als auch eine effektivere Aufsicht sicherstellen. Effektive Aufsicht ist weniger greifbar als Regulierung, und es ist schwer zu quantifizieren, was gute Aufsicht ist. Aber mit 27 Ländern, die für rund 90 % der Bankaktiva weltweit stehen, haben wir ein wichtiges Forum, in welchem hochrangige Bankenaufseher miteinander über entstehende Risiken und aktuelle Probleme der von ihnen beaufsichtigten Banken reden können. Diese Informationen zu teilen, ist ein wichtiger Prozess. Und dahin gehen wir wieder zurück.—-Das Interview führte Bernd Neubacher.