ESG-Regulierung

Revolution am Reißbrett

Im Finanzsektor sorgt der grüne Wandel für eine ganze Welle neuer Vorgaben. Regulierern und Aufsehern steht ein heikler Balanceakt bevor. Und Banken sollten sich bei Umsetzung der Normen lieber keine Blöße geben.

Revolution am Reißbrett

Von Bernd Neubacher, Frankfurt

Nein, ein Blutbad werden die Umwälzungen im Zuge des Megatrends ESG im deutschen Finanzsektor sicher nicht nach sich ziehen. Schon 1989 hat man in Deutschland schließlich die Fähigkeit zu einer friedlichen Revolution bewiesen, und schon Dekaden zuvor soll Lenin erklärt haben: „Revolution in Deutschland? Das wird nie etwas, wenn diese Deutschen einen Bahnhof stürmen wollen, kaufen die sich noch eine Bahnsteigkarte!“ 

Nein, Ordnung muss sein. Und während der Planet sich zusehends erwärmt, muss die grüne Revolution am Finanzmarkt erst einmal exakt vermessen, definiert und reguliert werden, von der Bundesregierung und der deutschen Finanzaufsicht BaFin ebenso wie von der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Brüsseler EU-Kommission.

Auf die Branche rollt damit eine Welle kleinteiliger Regelwerke zu, von den Vorgaben der EU-Taxonomie und nicht finanziellen Berichtspflichten über Leitlinien der europäischen Bankenaufsicht und Anleitungen der nationalen Aufseher bis hin zu verwandten Anforderungen etwa zu Diversität und Lieferketten. Weitere dürften folgen. Denn die Politik hat den ohnehin bereits rigide regulierten Bankensektor auserkoren, um dort den Hebel im Kampf gegen den Klimawandel anzusetzen.

Diese Revolution findet nicht auf der Straße, sondern am Reißbrett statt, ihre Werkzeuge sind nicht Straßenkämpfe, sondern Richtlinien, Rundschreiben und andere Regelwerke. Die mit ihr verbundenden Umwälzungen sind deshalb nicht weniger elementar.

Angst vor Overkill

Wo Regulierung derart umfassend wirkt, ist die Gefahr ineffizienter, überlappender, widersprüchlicher und auch überflüssiger Vorgaben nicht weit. Im Falle der Finanzrichtlinie Mifid II ließ sich schon am Beispiel eines Regelungskreises mit einem weitaus kleineren Radius studieren, wie Normensetzer das Feld der Wertpapierberatung so gründlich beackerten, dass sich schon bald die Einsicht in die Notwendigkeit einer Revision durchsetzen sollte.

Was Wunder, dass ähnliche Sorgen nun wieder kursieren: „Ich habe ein wenig Sorge, dass wir in Richtung eines Regulierungsoverkills laufen könnten“, erklärte jüngst DZ-Bank-Kapitalmarktvorstand Wolfgang Köhler der Börsen-Zeitung: „Das würde gerade die so dringend erforderliche Flexibilität in der Transformationsphase unnötig einschränken oder gar konterkarieren.“

Zugleich dürstet der Sektor geradezu nach einem Regelkorsett. „Die Banken wünschen sich, dass die Vorgaben konkreter werden“, sagte kürzlich Raffaela Ritter, bei Arthur D. Little Partner und Head of Financial Services für den deutschsprachigen Raum und Osteuropa: „Sie freuen sich regelrecht auf die im kommenden Jahr anstehenden Klima-Stresstests, weil sie derzeit im Dunkeln tapsen.“ Investoren und Unternehmen litten darunter, dass vieles noch nicht geregelt sei. Ihr Kollege Florian Forst, Partner und Leiter des Bereichs Financial Services in Zentraleuropa bei Arthur D. Little, pflichtete ihr bei: „Das Problem ist, dass die Regulierung sich als bewegliches Ziel erweist. Wäre das Zielbild klar, könnte man darauf hinarbeiten. Diese Ungewissheit aber ist vor allem für durchstrukturierte Banken schwierig zu akzeptieren.“

Regulierer und Aufseher müssen also Vorgaben erarbeiten, die geeignet sind, den Klimawandel wirksam einzudämmen, ohne die Finanzbranche und deren Kunden zu überfordern, und dies bitte möglichst rasch. Sie müssen aber auch darauf achten, dass sie mit ihren ESG-Vorgaben nicht den gleichen Trend befeuern wie schon im Zuge der Reregulierung nach der Finanzkrise: dass ihre Vorschriften Risiken vielfach keineswegs verschwinden lassen, sondern bloß im großen Stil aus dem regulierten Markt in den Schattenbankensektor drängen.

Bei Bankvorständen äußert man sich schon jetzt besorgt darüber, dass Teile von Private Equity den grünen Wandel zwar vielfach vorantreiben, zugleich aber offenbar eine ganz neue Branche aus Finanzinvestoren und Hedgefonds entsteht, die sich darauf spezialisiert hat, im Wert gefallene braune Assets günstig einzusammeln. Auf diese Weise könnte ESG-Regulierung wie ein Subventionsprogramm für Akteure im Schattensektor wirken. Denn dass der Wert eines Assets auf lange Sicht gegen null geht, bedeutet ja keineswegs, dass sie bis auf Weiteres nicht erkleckliche Cash-flows abwerfen. Wenn nur der Name desjenigen wechselt, der braune Assets finanziert, ist nichts gewonnen, wird bei Bankern argumentiert. Ratsamer wäre es daher, lieber Treibhausgasemissionen zu verteuern, anstatt dem Finanzsektor eine lenkende Funktion zuzuschreiben.

Risiko für Reputation

Auch wenn die Regulierung ihre Aufgabe so effektiv und effizient wie möglich bewältigen sollte und ein Blutbad ausbleibt – das eine oder andere Haus könnte die grüne Revolution durchaus Kopf und Kragen kosten. Wer den Wandel allein als regulatorische Pflichtaufgabe auffasst, den Aufbau der erforderlichen ESG-Datenhaushalte schleifen lässt oder gar entsprechender Kundennachfrage nicht nachkommt, hat besonders schlechte Karten, auch weil die Erwartungen der Öffentlichkeit an die Finanzinstitute stetig zunehmen.

Adressen, die sich ein ausgeprägtes ESG-Profil zugutehalten, stellen fest, dass die Fallhöhe in Sachen Reputation beträchtlich geworden ist. Das Beispiel der mit Greenwashing-Vorwürfen konfrontieren DWS hat allen Finanzmarkt-Akteuren vor Augen geführt, was ihnen blüht, setzen sie sich dem Verdacht aus, mehr zu versprechen als sie halten können. Im vergangenen Jahr fiel einem Team der Abteilung Non-Financial Risk des Bundesverbands Öffentlicher Banken Deutschlands bei einer Analyse von über 3000 operationellen Schadenfällen in der Sammlung „Öffentliche Schadenfälle OpRisk“ auf, dass der Anteil der Vorfälle mit Nachhaltigkeitsrisiko doppelt so hoch war wie ihr Anteil an der Schadensumme. Ihre Erklärung: „Überdurchschnittlich viele Nachhaltigkeitsfälle“ fanden primär als Reputationsrisiko oder als Risikoszenario ohne Schadensumme Eingang in die Statistik – ein Hinweis darauf, „dass mit Nachhaltigkeitsrisiken verstärkt Reputationsrisiken einhergehen“, wie es hieß.

Merke: Rechtsrisiken lassen sich über Nacht mit Vorsorge abdecken – an einem Reputationsschaden dagegen hat eine Bank mitunter jahrelang zu knabbern. Und je vielschichtiger die Regulierung wird, umso größer die Gefahr, ihr nicht Genüge zu tun.

„Nachhaltigkeit: Vom Versprechen zur Vorgabe“ – unter diesem Titel steht die Serie, unter dem die Börsen-Zeitung in den kommenden Ausgaben die Regularien für verschiedene Segmente des Finanzsektors beleuchten wird. Neben den Vorgaben für Banken und Versicherer, fürs Immobiliengeschäft und das Assetmanagement wird unter anderem die Nachhaltigkeit der Kryptoszene Thema sein, die Frage, welche Spielarten der nachhaltigen Kreditvergabe es gibt und wie etwa Unternehmen ESG-Vorgaben in der Bilanzierung meistern. Korrespondentenberichte aus dem Ausland und Gastbeiträge runden das Angebot ab. Lesen Sie mehr in den kommenden Ausgaben der Börsen-Zeitung.

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