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Schnellschuss oder Fehlschuss?

Mit Aktivierung antizyklischer Kapitalpuffer schaltet die deusche Finanzaufsicht vom Pandemie- in den Präventivmodus. Dieser Wechsel kommt zur falschen Zeit und kollidiert zudem mit ehrgeizigen sozialpolitischen Zielen der neuen Bundesregierung.

Schnellschuss oder Fehlschuss?

Die Schelte der BaFin an die Anbieter von Baufinanzierungen ist mit einem Wechsel vom Pandemie- in den Präventivmodus verbunden. Er wurde vielfach gefordert, da die Immobilienmärkte nach Meinung der Regulierer heiß zu laufen drohen. Finanzministerium, Bundesbank und die BaFin legen nun hastig den Hebel um. Überraschend ist die Zeitschiene und das Ausmaß. Die makroprudenziellen Maßnahmen der Aufseher setzen den antizyklischen Kapitalpuffer, der im Umfeld der Pandemie auf null ausgesetzt wurde, nun in einem gewaltigen Schritt auf 0,75% hoch, was dem Dreifachen einer möglichen Anpassung entspricht. Noch überraschender kommt die Einführung eines Kapitalpuffers in Höhe von 2% speziell für Wohn­immobilienkredite. Beide Kapitalpuffer belasten die Banken nach Schätzung der Aufsicht um zusätzliche 22 Mrd. Euro.

Zur falschen Zeit

Der Paradigmenwechsel kommt gerade für den Immobilienbereich zur falschen Zeit und kollidiert zudem mit ehrgeizigen sozialpolitischen Zielen der neuen Bundesregierung im Rahmen eines Umbaus der Wirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit. So sollen beispielsweise jährlich 400000 neue Wohnungen gebaut und für mehr Nachhaltigkeit und Energieeffizienz auf dem Bau gesorgt werden. Politiker und Wirtschaftsforschungsinstitute werden zudem nicht müde zu betonen, dass die Vermögenssituation und die Wohneigentumsquote eng miteinander gekoppelt sind und hierzulande dringend einer Verbesserung bedürfen. Mit Blick auf Europa nimmt denn auch Deutschland hier abgeschlagene Plätze ein.

Experten sind sich einig, dass die künftige Bedienung der Kapitalpuffer durch die Banken zu einer Verknappung und Verteuerung im Kreditangebot führt. Die Schere von billigem Baugeld und Wohnpreissteigerungen wird sich folglich weiter öffnen und schiebt die Verwirklichung sozialpolitischer Ziele weiter auf.   

Kollision mit EU-Plänen

Die Maßnahmen zur Reaktivierung der Kapitalpuffer kollidieren vorab mit der Vorgehensweise und den Zielen des Gesetzesvorschlages der EU-Kommission zur Umsetzung der Basel-III-Bankregeln. Brüssel verfolgt zwar gleichermaßen das Ziel eines Anstiegs der Kapitalanforderungen an die Baufinanzierer, um die Anfälligkeit der Branche gegen Verwerfungen zu schützen, geht aber westlich differenzierter vor. So hat sie den Start der Maßnahmen aufgrund des Pandemieverlaufes nochmals um zwei Jahre auf 2025 verschoben und sieht die vollständige Umsetzung der einschlägigen Vorschriften nun bis spätestens 2030 vor.

Demgegenüber streben die deutschen Regulierer für ihre makroprudenziellen Maßnahmen nun ein Übersoll an, indem sie die Umsetzung binnen Jahresfrist über Allgemeinverfügungen unter Ausschluss individueller Spielräume durchziehen wollen. Die Zeitschiene ist kurz bemessen. So beträgt die Frist zur Anhörung eines Kapitalpuffers für systemische Risiken für die betroffene Branche knapp zwei Wochen und endet bereits am 26. Januar 2022. Ungewöhnlich kurz im Vergleich zu anderen finanzpolitischen Anhörungsverfahren.

Inhaltlich gibt es weiter gravierende Unterschiede, da Brüssel mittels sogenannter „Hard Tests“ den nationalen Immobilienmärkten die An­wendung präferenzieller Risikogewichtungen erlaubt, während die nationalen Regulierer keine Differenzierung regionaler Immobilienmärkte vorsehen.

Schärfere Standards

Die Aufforderung an die Finanzdienstleister, bei der Vergabe von Wohnimmobilienkrediten besondere Sorgfalt und Vorsicht walten zu lassen, und die Erwartung, konservative Bewertungs- und Kreditvergabepraxen in den Vordergrund zu stellen, erwecken den Anschein, als ob die Vergabestandards zu lax seitens der Banken gehandhabt werden und teils zu einem Wildwuchs an Kreditvergabe führen.  Marktuntersuchungen wie auch eine Studie des Verfassers haben vielmehr ergeben, dass die Finanzdienstleister in der Pandemie ihre Kreditvergabestandards weiter geschärft haben. Dies schlägt sich in Forderungen nach höherer Eigenkapitalbereitstellung, höheren Beleihungsausläufen, verbunden mit höheren Tilgungsraten, nieder. Werden die strengeren Bonitätsanforderungen seitens potenzieller Kunden nur teilweise erfüllt, bewirkt dies höhere Ablehnungsquoten oder zumindest höhere kalkulatorische Risikoaufschläge mit teils drastisch steigenden Konditionen. Mit dieser Risikostrategie verschafft sich die Branche bereits intern ausgiebige Risikokapitalpuffer.

Historisch betrachtet verzeichnet die Branche eine niedrige Ausfallquote von unter 1%. Geschuldet wird dies der soliden Aufstellung der privaten Immobilienfinanzierung, den in Deutschland traditionell konservativ ausgelegten Kreditstandards, langfristiger Zinsfestschreibungskultur (über 14 Jahre) und hohen Tilgungsraten, die derzeit im Schnitt knapp über 3% liegen.

Auch wird der Anschein erweckt, dass das derzeit zur Verfügung stehende Paket an Markteingriffsmöglichkeiten seitens der Aufsicht nicht ausreichend und den Herausforderungen der Märkte nicht gewachsen sei. Allein das im Jahr 2017 ver­abschiedete Finanzaufsichtsrecht­er­gänzungsgesetz integriert bereits umfangreiche makroprudenzielle Eingriffsmöglichkeiten, um einer spekulativen Überhitzung am Immobilienmarkt schnell entgegenwirken zu können.

Relativierung tut not

Allein die Argumentation der Bundesbank, dass der Markt für Immobilienfinanzierung unter überbewerteten Vermögenswerten und Kreditsicherheiten leide, bedarf einer Relativierung. Ja, es ist richtig, dass die Wohnimmobilienpreise stark um 12% im dritten Quartal 2021 gestiegen sind.  Die Gründe sind vielfältig und bekannt. Geopolitische und pandemiebedingte Störungen erleben wir aber auch an anderer Stelle wie beispielsweise auf dem Energiesektor, wo deutliche zweistellige Verteuerungsraten zu verzeichnen sind.

Der jüngste Anstieg bei der Vergabe von Wohnimmobilienkrediten um 7% relativiert sich angesichts einer Inflationsrate von deutlich über 5% und hohen Preissteigerungen im Baugewerbe. So verteuerten sich beispielsweise Rohbauleistungen um bis zu 30% und Leistungen im Ausbaugewerbe wie Heizung, Elektro und Sanitär gleichfalls deutlich im zweistelligen Bereich. Führt dies mit zu einer breiten Immobilienblase?

Hier gehen die Meinungen weit auseinander. Natürlich haben wir in Bestlagen eine extreme Preisentwicklung. Sie ist aber nicht repräsentativ. Überhitzung in Top-Lagen lässt sich sicherlich nicht als Wohlstandsproblem abtun. Klar ist auch, dass nicht jede Familie einen Anspruch auf Wohneigentum in Top-Lagen wie Grünwald, Taunuskreis und Blankenese haben kann. Entscheidend ist die Steigerung von Wohneigentum in der Bevölkerung. Schließlich darf die wirtschaftspolitische Wirkung auf die Märkte und auf unsere Ge­sellschaft nicht außer Acht gelassen werden.

Der Erwerb wird erschwert

Im Mainstream von Politik und EU wird trotz Pandemie weiter Wirtschaftsoptimismus verbreitet, der die Aussetzung der Schuldenbremse rechtfertigt und ungebremstes Schuldenmachen legitimiert.

Im Gegensatz hierzu wird den Bürgern der Erwerb von Wohneigentum durch die geplanten Maßnahmen einer raschen drastischen Erhöhung der Kapitalpuffer neben vermehrten bürokratischen Hürden und Vorschriften wie beispielsweise energetischen Pflichtvorschriften, die zwingend private Zusatzinvestitionen erfordern, weiter erschwert.  

Das Anziehen der Stellschraube antizyklischer Kapitalpuffer wird steigende Immobilienzinsen zur Folge haben – ungeachtet einer im Raume stehenden Leitzinserhöhung seitens der EZB, die gleichfalls weitgehend 1:1 an die Verbraucher durchgereicht werden dürfte.

Bauzinsen sind eine wichtige Schlüsselgröße für eine positive Entwicklung der Immobilienmärkte. Derzeit stehen die Ampeln auf gelb. Die Regulierer setzen durch ihren Schnellschuss der Einführung sektoraler Systemrisikopuffer für Wohnimmobilien falsche Signale und riskieren ein Umspringen der Ampel auf rot.  Vielmehr sollte der Schulterschluss mit der einhergehenden An­passung der Kapitalvorschriften im Kontext von Basel III gesucht werden. Ergänzend hierzu steht den Regulierern ein Instrumentenkasten im Rahmen des Finanzaufsichtsrechtänderungsgesetzes zur Verfügung, den es zu nutzen gilt. Er ermöglicht es, zur Marktsteuerung ausreichend gezielte Maßnahmen wie eine Limitierung des Beleihungslaufes oder der Relation zwischen Darlehenssumme und Immobilienwert sowie auch eine Anpassung von Risikogewichten für bestimmte Risikoarten zeitnah vorzunehmen.

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